Genf. In mehreren Ländern Europas und in den USA zeigen Kinder Symptome des Kawasaki-Syndroms. Besteht ein Zusammenhang mit dem Coronavirus?

  • Bei mit dem Coronavirus infizierten Kindern wurden in mehreren europäischen Ländern Symptome beobachtet, die denen des Kawasaki-Syndroms ähneln
  • Auch in Deutschland wurden Fälle gemeldet
  • Die USA berichten von ähnlichen Beobachtungen bei betroffenen Kindern
  • Das Kawasaki-Syndrom, das vor allem durch entzündete Blutgefäße auffällt, verursacht mehrere starke Symptome
  • Lesen Sie hier, wie sich das Kawasaki-Syndrom äußert und ob es auch für Erwachsene gefährlich ist

Entzündete Blutgefäße, Fieber und oftmals Hautausschlag – bei Kindern in Europa und in den USA wurden Symptome einer seltenen Entzündungskrankheit, des Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) beobachtet. Die PIMS-Symptome ähneln denen des sogenannten Kawasaki-Syndroms.

Bei einigen der betroffenen Kinder wurde zugleich das Coronavirus nachgewiesen. Ob es einen Zusammenhang gibt, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Wir haben wichtige Fragen und Antworten zusammengestellt.

Kawasaki-Syndrom: Wie sehen Symptome und Verlauf aus?

Erkrankte zeigen plötzliches, hohes Fieber, Hautausschlag, Bindehautentzündung, Rötung des Rachens und des Mundes, geschwollene Hände und Füße sowie vergrößerte Lymphknoten am Hals. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu Herzproblemen kommen. Ansteckend ist die Krankheit nicht.

Die erste Phase, die akute Phase genannt wird, dauert bis zu zehn Tage. Bis zur vollständigen Genesung kann es Monate dauern, wobei Erkrankte auf dem Weg zur Besserung oft von erhöhter Müdigkeit heimgesucht werden.

Der New Yorker Kinderarzt Sunil Sood berichtet, in den meisten nun beobachteten Fällen sei das Syndrom vier bis sechs Wochen nach einer Coronavirus-Infektion aufgetreten. In der Regel hatten die Kinder demnach bereits Antikörper gegen Sars-CoV-2 entwickelt. Sood sprach von einer „verspäteten und übersteigerten Immunabwehrreaktion“ des Körpers.

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    Coronavirus bei Kindern: Bluttest macht Hoffnung

    Ärzte haben eine Gruppe von Blutverbindungen identifiziert, die Aufschluss darüber geben können, bei welchen Kindern das größte Risiko besteht, eine seltene, aber lebensbedrohliche Immunreaktion gegen das Coronavirus zu entwickeln. Das berichtet der „Guardian“.

    Forscher am Imperial College London analysierten demnach das Blut einiger der Kinder, die am stärksten erkrankt waren, und stellten fest, dass sie hohe Konzentrationen von fünf Verbindungen aufwiesen, die in Routinetests gemessen werden können.

    Zwei der Verbindungen, Ferritin und C-reaktives Protein (CRP), sind übliche Blutmarker für Entzündungen. Die anderen sind mit Herzschäden und Blutgerinnung verbunden, nämlich Troponin, Brain natriuretic Peptide (BNP) und sogenannte D-Dimere.

    „Wir glauben, dass sie uns bei der Entscheidung helfen können, bei welchen Kindern das Risiko eines Herzversagens besteht“, sagte Michael Levin, Professor für Pädiatrie und internationale Kindergesundheit am Imperial College dem „Guardian“. Es werde jedoch mehr Forschung erfordern, um herauszufinden, ob die Marker zuverlässig sind. In diesem Fall könnten Ärzte potenziell Kinder, die am stärksten von der Erkrankung bedroht sind, mit einer einfachen Blutuntersuchung identifizieren.

    Tritt das Kawasaki-Syndrom auch bei Erwachsenen auf?

    Bei Erwachsenen tritt das Kawasaki-Syndrom äußerst selten auf. Vielmehr sind die meisten erkrankten Kinder jünger als fünf Jahre.

    Das Syndrom wird nicht als Erbkrankheit angesehen, es wird jedoch vermutet, dass es eine genetische Veranlagung bei Erkrankten gibt.

    Kawasaki-Syndrom: Welche Länder berichten von Fällen?

    In den USA wurde das Syndrom bei mehr als hundert Kindern im Bundesstaat New York nachgewiesen, drei von ihnen starben. Vorerkrankungen seien bei ihnen nicht bekannt gewesen, so Gouverneur Andrew Cuomo. Zwei weitere verdächtige Todesfälle werden untersucht. Auch aus anderen Bundesstaaten wurden Fälle gemeldet. Das Seuchenkontrollzentrum CDC forderte Ärzte auf, bei Todesfällen von Kindern, die nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert waren, eine Kawasaki-Erkrankung zu erwägen.

    In Europa wurden bisher etwa 230 Verdachtsfälle beobachtet.

    In Frankreich ist womöglich ein Kind dem mysteriösen Syndrom zum Opfer gefallen. Mitte Mai meldete ein Krankenhaus in Marseille, ein neunjähriges Kind sei infolge „neurologischer Schäden im Zusammenhang mit einem Herzstillstand“ gestorben. Tests hätten gezeigt, dass das Kind sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hatte.

    Professorin Caroline Ovaert, Ärztin Fabrice Michel und Professor Hervé Chambost hatten das verstorbene neunjährige Kind behandelt.
    Professorin Caroline Ovaert, Ärztin Fabrice Michel und Professor Hervé Chambost hatten das verstorbene neunjährige Kind behandelt. © dpa | Daniel Cole

    In der Universitätsklinik Genf wurden ebenfalls Kinder mit schweren Entzündungen behandelt. Der Schweizer Corona-Beauftragte Daniel Koch hielt eine Immunreaktion auf eine Infektion mit dem Coronavirus für wahrscheinlich. „Das Virus löst einen Entzündungssturm aus, eine Überreaktion des Immunsystems“, sagte zudem der Genfer Kantonsarzt Jacques-André Romand.

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    Auch aus Italien und Spanien wurden Fälle gemeldet. In Großbritannien machte der nationale Gesundheitsdienst (NHS) Krankenhäuser auf etwa zwei Dutzend schwer kranke Kinder aufmerksam. Viele, aber nicht alle seien positiv auf das neue Virus Sars-CoV-2 getestet worden. Die Gesellschaft für Intensivpflege von Minderjährigen (PICS) riet Ärztinnen und Ärzten, besonders auf Symptome bei Kindern zu achten, die einem toxischen Schock ähnelten.

    Auch Kinder in Deutschland sind betroffen. So hatte es zum Beispiel am Uniklinikum Dresden mindestens zwei Fälle gegeben. In Asien wurden bislang keine Fälle mit Entzündungsreaktionen bei Corona-infizierten Kindern registriert. Einige Mediziner vertreten die These, dass manche Bevölkerungen genetisch anfälliger für das Syndrom seien als andere, so der Kinderarzt Sood. Wissenschaftlich belegt ist diese Theorie jedoch nicht.

    Coronavirus und Kawasaki-Syndrom: Was sagt die WHO?

    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befasste sich bereits mit dem Thema, wie die Covid-19-Beauftragte Maria van Kerkhove mitteilte: „Wir wissen, dass Kinder in der Regel weniger schwere Krankheitsverläufe haben, aber einige entwickeln schwere Krankheiten, und einige sind auch gestorben“, sagte sie. „Wir haben unser globales Ärztenetzwerk aufgerufen, wachsam zu sein.“

    WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan fügte hinzu: „Dies zeigt, dass das Virus nicht nur die Lunge, sondern auch anderes Gewebe angreift.“ Allerdings beruhigte Ryan besorgte Eltern: „Der allergrößte Teil der Kinder, die sich mit dem Virus anstecken, haben eine milde Infektion und erholen sich komplett.“

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    Was sagen Experten aus Deutschland zum einem möglichen Zusammenhang?

    Philipp Henneke von der Klinik für allgemeine Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Freiburg sagte, ein Zusammenhang zwischen einer Covid-19-Erkrankung und dem Kawasaki-Syndrom sei nicht erwiesen: „Wir können noch nichts dazu sagen.“ In Deutschland gebe es im Jahr etwa 200 bekannte Kawasaki-Fälle, diese seien aber nicht nachweisbar „conona-induziert“.

    Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach, warnte vor Panik: „Es gibt keine Hinweise auf einen Zusammenhang von Covid-19 und dem Kawasaki-Syndrom“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Bezahlangebot).

    Das Kawasaki-Syndrom gebe es schon lange und es sei sehr selten, so Fischbach weiter. Ein Anstieg der Erkrankung seit Beginn der Covid-19-Pandemie sei nicht zu erkennen. Was das Kawasaki-Syndrom auslöst, wissen Ärzte bis heute nicht. Es betrifft vor allem kleine Kinder.

    Der Berliner Virologe Christian Drosten machte im NDR-Podcast deutlich, dass er keinen Grund zu Alarmismus sieht. Es handle sich um ein seltenes Phänomen, über das die internationale Kinderheilkunde nun beginne zu diskutieren. Drosten verwies auch auf die gute Behandelbarkeit des Kawasaki-Syndroms. (jkali/jb/ba/bef/küp/jha/AFP/dpa)