Berlin. Im „Tatort“ gerät eine rechtsextreme Jugendbewegung ins Visier. Das Gezeigte ist näher an der Wahrheit dran, als einem geheuer ist.

„Das wird ein Scheiß-Tag“, sagt Charlotte Lindholms Kollegin Anaïs Schmitz gleich am Anfang des „Tatorts“. Im Göttinger Stadtwald wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Die Identität des Opfers setzt das Team unter großen Druck: Marie Jäger (Emilia Schüle) war mit ihrem erfolgreichen Videoblog „National feminin“ ein Star der jungen rechten Szene und Aushängeschild der „Jungen Bewegung“.

Die Ermittlerinnen sehen sich nicht nur mit einer komplizierten Mordermittlung konfrontiert, sondern auch mit einem Verdächtigenkreis, der partout nicht mit der Polizei kooperieren will. Schon gar nicht mit einer dunkelhäutigen Kommissarin wie Schmitz (Florence Kasumba). Maries Freunde aus der „Jungen Bewegung“ lassen ihren Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund natürlich auch im Verhör raushängen.

Göttinger „Tatort“: Ermittlungen im jungen rechtsradikalen Umfeld

In den sozialen Netzwerken beginnt unterdessen ein Shitstorm gegen die Polizei, gegen den Staat, gegen die Demokratie. Die junge Frau sei mal wieder einem „Messermörder“, einem Asylsuchenden zum Opfer gefallen. Lindholm und Schmitz ermitteln in unterschiedlichste Richtungen und werden dann doch im engsten Kreis des Göttinger „Bewegungs“-Ablegers fündig.

Das ist leider wenig überraschend und etwas einfallslos. Ähnlich wie auch die Beziehung der beiden Ermittlerinnen zueinander vor angedichteter künstlicher Spannungen nur so strotzt. Lindholm und Schmitz zicken sich entweder an oder suchen eine Schulter zum Anlehnen. Irgendwie können sie sich nie entscheiden, ob sie miteinander arbeiten oder doch lieber Alleingänge durchziehen wollen.

„National feminin“ überzeugt dennoch – weil die Darstellung der „Jungen Bewegung“ dem Sonntagabend-Publikum der ARD sehr realistisch näher bringt, wie rechte Jugendorganisationen ticken. Und weshalb sie so gefährlich sind.

„Tatort“ über rechte Jugendorganisation: Wie realistisch ist die Darstellung?

Der Krimi spielt mit der „Jungen Bewegung“ auf die „Identitäre Bewegung“ (IB) an, die zu Beginn der 2010er-Jahre entstanden ist. Laut Verfassungsschutz gab es die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) 2012 zunächst als rein virtuelles Phänomen im Internet – mittlerweile habe sie den Sprung in die reale Welt aber vollzogen und organisieren bundesweit Aktionen.

Die Gruppierung wird von der Behörde als klar rechtsextremistisch eingestuft und nachrichtendienstlich überwacht – ihre Positionen seien nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Ähnlich wie die „Junge Bewegung“ im ARD-Krimi treten die Identitären radikal rechts für die Werte Heimat, Freiheit und Tradition ein. Lesen Sie dazu auch: Was macht die „Identitäre Bewegung“ so gefährlich?

„Identitäre Bewegung“ als Vorlage für „Tatort“-Plot

Zudem fordern die Anhänger eine kulturelle „Reinhaltung“ Deutschlands und vertreten die Ideologie des „Ethnopluralismus“. Ihre Idealvorstellung: ein ethnisch und kulturell homogener Staat. Hört man Maries Videoblogs oder den Verhören ihrer angeblichen Freunde im „Tatort“ zu, so fühlt man sich an Reden von Identitären-Vordenker Martin Sellner erinnert.

Der Wortschatz ist ebenso derselbe: Die „Junge Bewegung“ will den „Großen Austausch“ verhindern, den vermeintlichen Ersatz der europäischen Bevölkerung durch nichteuropäische Einwanderer, wettert gegen Islamisierung und modernen Feminismus. Auch die „Junge Bewegung“ im Film fordert eine „Remigration“, ein Begriff den die IB für Maßnahmen zur Umkehrung der Flüchtlingsströme verwendet.

Die „Neue Rechte“ erkennt man nicht mehr an Springerstiefeln und Glatzen

Sogar das Haus, in dem Marie und ihre Mitstreiter wohnen hat ein prominentes Vorbild: In Halle (Saale) betrieb die Ortsgruppe der „Identitären Bewegung“ ein Hausprojekt in der Adam-Kuckhoff-Straße 16. Im selben Haus unterhielt der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro.

Auch dass die jungen Rechtsextremen im Krimi nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen auftreten ist real, wie auch Regisseurin Franziska Buch recherchierte: „Viele der jungen Frauen sehen tatsächlich aus wie „Fridays for Future“-Aktivistinnen. Sie tragen „Doc Martens“-Stiefel und Parkas zu ihren Blümchenkleidern und haben eine sehr moderne Attitüde. Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, und das macht es so perfide. Sie transportieren ihre Botschaften eben eleganter, intelligenter und raffinierter als dumpfe Neonazis.“

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Die rückwärtsgewandte Gesinnung bleibe aber die gleiche – egal wie geschickt junge Frauen als It-Girls der Bewegung positioniert werden, so Buch. Die gründliche Recherche macht den Göttinger „Tatort“ auf jeden Fall sehenswert – egal wie schwach das Ermittlerduo zur Zeit auch wirken mag. Dass die „Neue Rechte“ mal nicht in einer trockenen Dokumentation, sondern in einem Spielfilm entschlüsselt wird, tut dem Stoff gut.

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