Berlin. In Deutschland sollen bald die ersten Schulen wieder öffnen. Ist das Risiko vertretbar? Eine Studie aus Island lässt Eltern hoffen.

In der Debatte um die Wiedereröffnung von Schulen und Kitas stellt sich vor allem eine Frage: Welche Rolle spielen Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus? Wochen nach dem Beginn der Pandemie werden nun immer mehr Studien dazu veröffentlicht, wie Covid-19 bei den Kleinen verläuft.

Eine breit angelegte Studie aus Island machte Eltern Mitte April zunächst Hoffnung: Demnach seien Kinder weit weniger von Sars-CoV-2 betroffen als Erwachsene. Die Ergebnisse einer weiteren Studie, die in der US-Fachzeitschrift „Clinical Infectious Diseases“ veröffentlicht wurde, deuteten zudem darauf hin, dass Kinder bei der Verbreitung keine wichtige Rolle spielen.

Eine Studie der Berliner Charité unter Leitung von Virologe Christian Drosten kommt nun allerdings zu einem etwas anderem Ergebnis.

Coronavirus-Studie der Charité: Sind Kinder so infektiös wie Erwachsene?

Für die Studie wurden 3712 Proben von Positiv-Getesteten zwischen Ende Januar und Ende April ausgewertet. Darunter waren 37 Kinder im Kindergartenalter und 16 Grundschüler. Im Coronavirus-Podcast des NDR erklärte Drosten, man habe bei Kindergruppen keine andere Viruskonzentration als bei Erwachsenen nachweisen können.

In seiner Studie machte Drosten eine weitere Beobachtung: „Die kranken Kinder haben eher weniger Virus-Konzentration als die gesunden“, so Drosten. Mit „gesund“ meint der Berliner Virologe Kinder, die sich zwar mit Covid-19 infiziert haben, jedoch keine Symptome zeigen. Für die unterschiedlichen Messwerte bei den kleinen Corona-Patienten hat Drosten eine simple Erklärung. „Wer Symptome hat und getestet wird, ist tendenziell schon einige Tage in der Krankheit drin, sodass die Virus-Konzentration da schon auf dem absteigenden Ast ist“, sagt der Experte.

Der Virologe Drosten hatte in einer früheren Folge Spielplatz-Öffnungen vorgeschlagen.

Drosten will sich nicht darauf festlegen, dass Kinder, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, genau so infektiös sind wie Erwachsene. Der Virologe vorsichtig: „Ich sage, es könnte gut sein.“ Am Donnerstag teilte er auf seinem Twitter-Account eine Studie aus Shanghai, die im „Science“-Magazin veröffentlicht wurde. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Coronavirus bei Kindern womöglich nur ein Drittel so ansteckend ist wie bei erwachsenen Infizierten.

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Im NDR-Podcast vom Donnerstag schließt sich Drosten dieser Arbeitshypothese an – und er geht davon aus: „Wenn sie’s dann aber haben, dann haben sie genauso viel Virus wie Erwachsene.“

Coronavirus in Island: Schulen und Kindergärten weitgehend offen

Island war von einer ähnlichen Hypothese ausgegangen. In dem Land hatte man gegen die Ausbreitung des Virus Maßnahmen wie das Verbot von Versammlungen mit mehr als 20 Teilnehmern verhängt, Schulen und Kindergärten aber mit Einschränkungen weitgehend geöffnet gelassen. Zuvor hatten mehrere Analysen auf eine vergleichsweise geringe Beteiligung von Kindern am Infektionsgeschehen hingewiesen.

Etwa 13.000 Personen haben die Forscher um Kári Stefánsson vom isländischen Unternehmen deCODE Genetics in Reykjavik untersucht. Dabei waren 0,6 Prozent der Frauen und 0,9 Prozent der Männer infiziert. Bei Kindern unter 10 Jahren gab es keinen einzigen positiven Befund, wie es im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ heißt. Bei Menschen ab 10 Jahren waren es 0,8 Prozent.

Unter den erfassten Covid-19-Fällen hätten Kinder nur einen sehr kleinen Anteil, heißt es auch von der EU-Gesundheitsbehörde ECDC. Nur rund ein Prozent der Fälle seien bei Kindern unter 10 Jahren erfasst, vier Prozent bei 10- bis 19-Jährigen.

Kinder würden demnach gleiche Chancen einer Infektion haben wie Erwachsene. Sie hätten aber ein wesentlich geringeres Risiko als Erwachsene, Symptome zu entwickeln oder ernsthaft zu erkranken. Unsicherheiten gebe es derzeit noch bei der Beurteilung, in welchem Ausmaß infizierte Kinder mit kaum oder keinen Symptomen andere Menschen anstecken können.

Infiziertes Kind aus Frankreich steckte nicht mal seine Geschwister an

Bemerkenswert ist der Fall eines neunjährigen französischen Kindes, das trotz einer über längere Zeit unentdeckt gebliebenen Coronavirus-Infektion niemanden ansteckte. Bei allen 172 Kontaktpersonen des Kindes seien Coronavirus-Tests negativ ausgefallen, heißt es in der Fachzeitschrift „Clinical Infectious Diseases“.

Das neunjährige Kind hatte sich in der ostfranzösischen Region Haute-Savoie mit dem Coronavirus angesteckt und ohne Kenntnis seiner Infektion an drei Ski-Kursen teilgenommen. Die Gesundheitsbehörden machten später 172 Menschen aus, die während der Inkubationszeit mit dem Kind in Kontakt gekommen waren. Selbst seine eigenen Geschwister hatte das Kind nicht angesteckt.

Bei 64 Prozent der Kontaktpersonen seien allerdings saisonale Erkrankungen wie die Grippe festgestellt worden, heißt es in der Studie. Der Fall liefere Hinweise darauf, dass „Kinder möglicherweise keine bedeutende Übertragungsquelle dieses neuartigen Virus sind“, heißt es weiter.

Das neunjährige Kind habe nur leichte Symptome gehabt, schreiben die Autoren. Wie der Epidemiologe und Ko-Studienautor Kostas Danis der Nachrichtenagentur AFP sagte, habe das Kind zusätzlich weitere Erkrankungen der Atemwege gehabt.

WHO-Studie zum Coronavirus: Kinder wohl keine wichtigen Überträger

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte es in einem Vergleich von Covid-19 und Influenza bereits im März geheißen, dass Kinder bei der Corona-Pandemie anders als bei der Grippe wohl keine bedeutsamen Treiber für Übertragungen seien.

Erste Auswertungen hätten gezeigt, dass Kinder weniger betroffen sind als Erwachsene und nur selten deutliche Symptome entwickeln. Vorläufige Daten ließen zudem annehmen, dass Kinder sich vor allem bei Erwachsenen anstecken. Zudem stecken sich Erwachsene demnach möglicherweise kaum bei Kindern an.

Schulbetrieb soll in Deutschland für verschiedene Klassen ab 4. Mai starten

Der Schulbetrieb in Deutschland soll ab 4. Mai zunächst mit den obersten Grundschulklassen wieder aufgenommen werden. Abschlussklassen waren schon seit dem 20. April teilweise in die Schulen zurückgekehrt. Anstehende Prüfungen für die restlichen Schüler und Schülerinnen sind bereits vorher möglich. Darauf haben sich Bund und Länder am Mittwoch verständigt. Diskutiert wird außerdem, ob wegen des Coronavirus die Sommerferien verkürzt werden. Bis zum 6. Mai will der Bund ein Konzept vorlegen, in dem unter anderem über die Öffnung von Schulen und Kitas entschieden wird.

(küp/reba/dpa)

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