Berlin. Das BKA verzeichnet mehr Fälle häuslicher Gewalt. Bundesweit fehlen Plätze in Frauenhäusern. Wo es Hilfe gibt, wer die Täter sind.

Es passiert im siebten Stock der Hochhaussiedlung. Aber auch in der Abgeschiedenheit der Vorstadtvilla oder hinter der dünnen Wand des Reihenhauses. Im Durchschnitt wird in jeder Stunde irgendwo in Deutschland eine Frau schwer körperlich verletzt.

Nicht durch Fremde – sondern durch den eigenen Ehemann, Partner oder Ex-Freund. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt mehr als 140.000 Opfer von Partnerschaftsgewalt – mehr als 80 Prozent davon waren Frauen. Für 122 Frauen kam jede Hilfe zu spät – sie starben.

„Alarmierend“ seien diese Zahlen, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Montag in Berlin – und appellierte an die Länder: Um Gewaltopfer besser zu schützen, müsste die Zahl der Plätze in Frauenhäusern verdreifacht werden.

Wie oft kommt es zu Gewalt in der Partnerschaft?

Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will am Montag die bundesweite Initiative „Stärker als Gewalt“ starten.
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) will am Montag die bundesweite Initiative „Stärker als Gewalt“ starten. © Getty Images | Carsten Koall

Die Fallzahlen sind zuletzt gestiegen. 2017 wurden laut BKA 138.893 Frauen und Männer Opfer häuslicher Gewalt – 2018 waren es insgesamt 140.755 Personen. Gezählt werden nur die angezeigten Fälle – das Dunkelfeld aber ist gerade bei häuslicher Gewalt sehr groß. Experten schätzen, dass jede dritte Frau einmal im Leben Opfer von Gewalt wird – das sind rund zwölf Millionen Frauen.

Bei den statistisch erfassten Taten geht es um versuchte und vollendete Gewalt, um Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Bedrohung, Stalking, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Nicht in allen Fällen waren 2018 die Opfer weiblich, rund 19 Prozent der Betroffenen waren Männer. Dabei gibt es deutliche Unterschiede bei einzelnen Delikten: Bei sexueller Gewalt waren die Opfer zu 98,4 Prozent weiblich, bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen waren 77.

Wer sind die Opfer? Wer sind die Täter?

Auch hier lassen sich nur die offiziell bekannten Fälle aus der BKA-Statistik auswerten: Die meisten Opfer waren demnach zwischen 30 und 39 Jahren alt, Opfer und Täter waren in der überwiegenden Zahl Deutsche: 67 Prozent der Tatverdächtigen hatten einen deutschen Pass. 5,7 Prozent waren türkische Staatsangehörige, gefolgt von Polen (2,6 Prozent), Syrern (2,3 Prozent) und Rumänen (1,6 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Opfern: 70,6 Prozent waren Deutsche, vier Prozent Türken und 3,2 Prozent Polen.

Giffey will nichts beschönigen: „Wir wissen, dass wir durch Zuwanderung mit einem Frauenbild konfrontiert werden, das nichts mit gleichwertiger Behandlung und gewaltfreien Beziehungen zu tun hat. Und wir wissen auch, dass es Kulturen gibt, wo es zur Tagesordnung gehört, dass Frauen geschlagen werden.“ Aber: „Die Mehrheit der Täter ist deutschstämmig.“

Falsch sei es, Partnergewalt nur in sozial schwachen Milieus zu erwarten, sagen Fachleute wie Stephan Buttgereit vom Sozialdienst katholischer Männer: Höhere Bildung oder besseres Einkommen schützten keinesfalls vor Gewalt. Sie bleibe in vielen Fällen bloß nach außen unsichtbar: Rastet der Zahnarzt in seiner Villa aus, schlägt der Unternehmer seine Frau zu Boden – dann geschieht das oft ohne Folgen für den Täter. Schon deshalb, weil die Zahnarztgattin oder die Unternehmerfrau oft alles daran setzten, um die scheinbar heile Fassade der bürgerlichen Ehe zu retten.

Wo finden Frauen Schutz?

Demonstranten tragen am Samstag bei einem Protestzug in Paris Plakate gegen häusliche Gewalt. Zehntausende forderten von der französischen Regierung, stärker gegen häusliche Gewalt vorzugehen.
Demonstranten tragen am Samstag bei einem Protestzug in Paris Plakate gegen häusliche Gewalt. Zehntausende forderten von der französischen Regierung, stärker gegen häusliche Gewalt vorzugehen. © dpa | Thibault Camus

Bundesweit gibt es etwa 350 Frauenhäuser mit rund 7000 Plätzen. Viel zu wenig, findet nicht nur Giffey. Die dreifache Zahl sei nötig, mehr noch: Gewaltopfer bräuchten einen Rechtsanspruch auf einen geschützten Zufluchtsort. Doch das kostet – und diese Kosten will im Moment niemand tragen.

Seit Monaten verhandelt die Ministerin mit den Ländern. „Die Länder sind in der Pflicht, hier mehr zu tun“, mahnt Giffey. Mit insgesamt 120 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt will sie nun in den nächsten vier Jahren schon mal kleinere Lücken stopfen: ein paar bestehende Frauenhäuser ausbauen, hier und da für barrierefreie Zugänge sorgen oder Extraplätze für Mütter schaffen, die sich mit Söhnen im Teenageralter ins Frauenhaus flüchten. „Ein 15-Jähriger ist ja nicht der klassische Bewohner eines Frauenhauses“, sagt Giffey lapidar.

Was können Freunde, Verwandte oder Nachbarn tun?

Neben dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, bei dem Betroffene und andere Hilfesuchende Rat bekommen (Hotline 08000 116 016), ist seit Montag auch die Website stärker-als-gewalt.de freigeschaltet. Hier finden nicht nur Gewaltopfer Hinweise – sondern auch Freunde, Verwandte oder Nachbarn. Zum Beispiel: Woran erkenne ich häusliche Gewalt? Welche Warnsignale gibt es? Und wann wächst das Risiko? Die Antwort: Vor allem in familiären Krisen oder Umbrüchen. Das kann die Geburt eines Kindes sein, die Trennung vom Partner – aber auch Arbeitslosigkeit, Schulden oder eine Suchterkrankung.