Berlin. Die Hinterlassenschaften der Nutztiere landen als Dünger auf dem Feld und im Boden. Dort werden sie aber zum Problem für die Gewässer.

Den Mist der anderen müssten sie hier ausbaden, sagt Ulrich Hermanns. Er klingt wütend. Seine Heimat im Osten der Eifel werde zur „Entsorgungsstelle“ für die Abfälle der Tierhaltung in Niedersachsen und den Niederlanden. Hermanns ist Vorsitzender einer Bürgerinitiative, die seit sechs Jahren gegen die zunehmende Menge an Gülle in der Eifel kämpft. „Wenn das so weitergeht, haben wir bald die gleichen Probleme, das gleiche belastete Grundwasser wie die“, sagt er.

2018 sind 67.000 Tonnen Gülle aus den Niederlanden nach Euskirchen importiert worden – fast 14-mal so viel wie in 2017. Das geht aus einer Antwort der NRW-Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor – und sorgt bei den Bürger im Kreis für Aufregung. Mit der tatsächlichen Ausbringung von Gülle im Kreis habe dies nichts zu tun, entgegnet Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Der größte Teil der Gülle sei anschließend wieder aus dem Kreis heraus in andere Kreise in NRW sowie nach Rheinland-Pfalz exportiert worden.

Das Problem wird damit nur weiter transportiert. Wird die Gülle ausgebracht, gelangen Nitrate, das sind Salze der Salpetersäure, in den Boden. Und von dort über den Wasserkreislauf in Flüsse und Seen. Dort kann das Nitrat das Algenwachstum ankurbeln und für lebensfeindliche Bedingungen sorgen.

Strafzahlungen von 850.000 Euro pro Tag

Die Gewässer in Deutschland sind an einigen Stellen so stark mit Nitrat belastet, dass die Landwirte in besonders gefährdeten Gebieten die zulässigen Düngemengen, auch die Gülle auf den Feldern, um 20 Prozent reduzieren müssen. Sollte sich der Zustand der Gewässer nicht absehbar verbessern, droht die EU-Kommission Deutschland mit Strafzahlungen von bis zu 850.000 Euro pro Tag. Was den belasteten Gewässern helfen soll, könnte jedoch den Gülle-Tourismus weiter ankurbeln.

Wohin also mit der braunen Masse? Das wüssten sie schon jetzt nicht mehr, sagt Bernd Stania, Geschäftsführer einer sogenannten Gülle-Börse in Vechta. Stanias Geschäft besteht darin, Bauern mit zu viel Mist mit denen zusammenzubringen, die zu wenig haben. Vechta ist der Landkreis im westlichen Niedersachsen mit der deutschlandweit höchsten Dichte an Nutztieren. Hier, etwa 340 Kilometer von der Eifel entfernt, ist das Grundwasser besonders stark belastet. Hier entstehen die Entwicklungen, die sie auch andernorts fürchten.

Landwirte müssen Zwischenlager anmieten

Ein Landwirt düngt auf dem 1055 Meter hohen Auerberg vor dem Panorama der Alpen eine Wiese mit Gülle.
Ein Landwirt düngt auf dem 1055 Meter hohen Auerberg vor dem Panorama der Alpen eine Wiese mit Gülle. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

„Die Bauern müssen immer größere Strecken und Kosten in Kauf nehmen, um ihre Gülle loszuwerden“, sagt Bernd Stania. Bis ins Sauerland, nach Brandenburg und Sachsen-Anhalt würden sie inzwischen fahren. Auch die 800 Kilometer entfernte polnische Grenze sei immer wieder in der Diskussion, zeitweise müssten Zwischenlager für die Gülle angemietet werden. Wahnsinn sei das, meint Stania – ökologisch und wirtschaftlich.

Gülle besteht zu 97 Prozent aus Wasser, bis zu 20.000 Euro kostet einen Landwirt der Abtransport pro Jahr. „Im vergangenen Sommer war’s besonders schlimm“, sagt Stania. Durch die Hitze sei weniger gedüngt, die Landwirte durch eine Verordnung von 2017 zusätzlich verunsichert worden. Damals hatte die Politik schon einmal den Versuch unternommen, das Nitrat durch strengere Gülle-Regeln zu senken – mit mäßigem Erfolg fürs Grundwasser. „Jetzt werden einige Betriebe an ihre Grenzen kommen“, ist Stania sich sicher.

Dabei kann Gülle ein wertvoller Dünger sein, der viele Nährstoffe für die Pflanzen auf dem Feld und den Humusgehalt der Böden enthält. Was aus den Tieren hinten rauskommt – darunter Stickstoff, Phosphor, Kalium – soll wieder auf dem Acker landen, um den Kreislauf Pflanze-Tier-Boden zu schließen. So die Theorie.

Die Ackerflächen sind nicht mitgewachsen

Die Praxis sieht aber oft anders aus. „Die Verteilung ist das Problem“, sagt Torsten Müller, Professor für Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim. 28 Millionen Schweine, über 12 Millionen Rinder und 41 Millionen Legehennen leben in Deutschland, die zusammen mehr als 200 Millionen Tonnen Gülle produzieren.

Die sind nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern finden sich geballt im westlichen Niedersachsen und in Westfalen. Dort wurden die Tierställe über die Jahrzehnte immer größer. Die Ackerflächen wuchsen jedoch nicht mit. Das Futter für die Tiere stammt nur zum Teil aus der Umgebung, ein Großteil ist Soja aus Nord- und Südamerika.

Eigentlich, sagt Müller, gäbe es in Deutschland sogar genügend Bedarf an Gülle. In den Börderegionen Sachsen-Anhalts oder rund um Braunschweig etwa betrieben die Bauern vor allem Ackerbau, hielten aber kaum noch Tiere. Richtig eingesetzt, sei sie im Vergleich zu dem mit viel Energie hergestellten Kunstdünger ein „Gewinn“. Gülle habe jedoch einen schlechten Ruf. Bei den Anwohnern, weil „sie eben stinkt“. Und bei den Landwirten, weil sie schwieriger zu dosieren ist.

Das Maximale im Rahmen des rechtlich Erlaubten

Das Problem aus Müllers Sicht: Bisher sei nur geregelt, wie viel ein Betrieb an Gülle insgesamt auf all seinen Feldern einsetzen darf, berechnet anhand der Gesamtfläche. Nicht jedoch, dass die Gülle gleichmäßig verteilt werden muss. Er rechnet vor: Ein hundert Hektar großer Betrieb darf 17.000 Kilogramm Gesamtstickstoff im Jahr einsetzen, wie es im Fachjargon heißt. „Egal wo“, solange es der maximale Bedarf an Dünger auf der Fläche zulässt.

Da werde die Gülle oft geballt an den Orten abgeladen, „die besonders schnell zu erreichen sind oder wo besonders düngeintensive Kulturen wie Mais wachsen“, sagt der Agrarexperte. Die Landwirtschaft verhalte sich da wie jede andere Branche auch. Sie versuche das Maximale im Rahmen des rechtlich Möglichen rauszuholen. „Hier muss die Politik endlich die erlaubte Menge runterschrauben und die vor allem exakt an den Hektar knüpfen.“

Alles also nur eine Frage der Logistik? Muss man womöglich die Zahl an Rindern und Schweinen gar nicht senken, wie von Umweltverbänden gefordert, um Gewässer und die Umwelt zu schützen? „Nein“, entgegnet der Agrarexperte. Wolle man das Wasser und das Klima schützen, komme man um eine Reduzierung nicht herum.

Landwirtschaft produziert 7,3 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland

Die Landwirtschaft produziert nach Angaben des Umweltbundesamtes 7,3 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland – fast 70 Prozent davon in der Tierhaltung und mit der Herstellung des dazu notwendigen Futters.

Die Umweltschutzorganisation BUND fordert daher eine Obergrenze: In Zukunft dürften nur so viele Tiere auf einer Fläche gehalten werden, wie davon satt werden, also etwa zwei Kühe pro Hektar. Das könne das Gülle-Pro­blem einhegen und dazu führen, dass das Futter nicht etwa auf Flächen in Brasilien wachse, wo es den Regenwald bedrohe. Agrarexperte Müller fügt hinzu: „Dafür müssten sich natürlich auch unsere Ess- und Kaufgewohnheiten ändern – weniger Fleisch, Milch und Eier zu einem etwas höheren Preis.“