Berlin. Häufig werden Juden in Deutschland beleidigt und angegriffen. Seehofer warnt, der Antisemitismus-Beauftragte fordert Konsequenzen.

Es ist ein brutaler Mord. Mitte April vergangenen Jahres töten drei Neonazis im sächsischen Aue den jungen Christopher W., mit Tritten und Schlägen. Schließlich schneiden sie dem 27 Jahre alten Mann mit einer Glasscheibe den Arm auf. Der Grund für das Verbrechen ist nach Ansicht der Ermittler politisch motiviert: Christopher W. ist homosexuell. Und das passt nicht in die menschenverachtende Ideologie der drei Rechten.

Die Tat in Sachsen ist der brutale Endpunkt, wohin politisch motivierte Straftaten führen können. Es ist einer von insgesamt drei Tötungsdelikten, die Kriminalpolizisten 2018 einem radikalisierten Täter zuordnen. In den anderen beiden Fällen waren die Täter ein Islamist und ein ausländischer Extremist.

36.000 Straftaten durch Neonazis, Linksextremisten, Islamisten und andere Radikale

Die politisch motivierten Straftaten sind in Deutschland im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen – und doch ist es der dritthöchste Stand seit Einführung dieser Kriminalstatistik 2001. Mehr als 36.000 Straftaten registrierte die Polizei 2018 von Neonazis, Linksextremisten, Islamisten und anderen Radikalen. 2017 waren es 39.500. Ein Rückgang um fast neun Prozent. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, stellten die aktuellen Zahlen in Berlin vor.

Trotz des Rückgangs insgesamt will Innenminister Seehofer keine Entwarnung geben – vor allem aufgrund der Straftaten durch Rechtsextremisten. Diese Fälle sind kaum zurückgegangen, rechte Gewalttaten sogar um mehr als zwei Prozent angestiegen. Und: Von insgesamt 36.062 politisch motivierten Straftaten fallen laut BKA 20.431 auf rechtsextreme Täter. Oftmals geht es um Volksverhetzung und das Zeigen von verfassungswidrigen Kennzeichen etwa von verbotenen neonazistischen Gruppen. Doch auch 1156 Gewaltdelikte gehen auf das Konto von Rechtsradikalen.

Antisemitismus kommt von rechts

Vor allem antisemitische Straftaten sind nach Angaben der Polizei 2018 um fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen: Beleidigungen, judenfeindliche Parolen an Hauswänden, aber in Einzelfällen auch Übergriffe auf der Straße. 90 Prozent aller Taten gehen laut Polizei von Rechtsextremisten aus. „Wenn mehr als die Hälfte aller politisch motivierten Straftaten Rechtsextremisten zuzuordnen sind, dann ist das die Botschaft, die wir in die Gesellschaft tragen müssen“, sagte Seehofer.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte Konsequenzen aus dem aktuellen Bericht des BKA. „Wir müssen nun unsere gesamten politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken“, sagte Klein unserer Redaktion. Dabei müsse man auf der einen Seite sicherstellen, dass Täter rascher und konsequenter als bisher ermittelt und vor Gericht gestellt werden, so Klein weiter. Andererseits müsse man die Maßnahmen bei der Extremismusprävention, der Erinnerungskultur und im Schulunterricht erheblich verstärken.

Oftmals keine Täter ermittelt

Der Antisemitismusbeauftragte erklärte, er hätte „angesichts der fortschreitenden Enthemmung und Verrohung in unserer Gesellschaft“ mit einem Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten 2018 gerechnet. „Dass der Anstieg so hoch ausgefallen ist, halte ich jedoch für äußerst alarmierend“, sagte Klein.

In vielen Fällen auch im Bereich Antisemitismus können die Ermittler allerdings keinen Täter fassen. Sobald die Polizisten bestimmte Muster einer fremdenfeindlichen oder rassistischen Beleidigung oder Schmiererei feststellen, ordnen die Ermittler die Tat dem Rechtsextremismus zu. In der Vergangenheit hätten stichprobenartige Überprüfungen der Fälle gezeigt, dass die Polizei mit diesen Zuordnungen richtig liegt. Dennoch weisen Kritiker der Polizeistatistik daraufhin, dass die Täter in vielen Fällen nicht klar seien. Gerade bei antisemitischen Delikten könnten demnach auch Islamisten die Täter sein.

Rückgang bei Angriffen auf Flüchtlinge

Einen starken Rückgang verzeichnet die Statistik der Polizei bei den Übergriffen auf Asylbewerberunterkünfte. Das hängt vor allem auch damit zusammen, dass im Vergleich zur Hochphase der Asylkrise deutlich weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen – und zuletzt entsprechend weniger Unterkünfte in deutschen Städten und Gemeinden eingerichtet wurden. Den Angreifern schwinden die Ziele.

Weniger linke Straftaten

Auch die Zahl der linksextremistischen Straftaten ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen, um insgesamt knapp 20 Prozent auf 7961 Delikte, die Mehrzahl sind Widerstandstaten gegen Polizeibeamte oder aber das Werfen von Flaschen oder Steinen am Rand von Demonstrationen. Der Rückgang hat vor allem eine Ursache: 2018 gab es keine Großveranstaltung wie 2017 mit dem G20-Gipfel in Hamburg, bei dem es zu schweren Ausschreitungen gekommen war.