Hamburg. Tarek Müller, der Chef des Online-Modehändlers About You, fordert im Interview mehr Eigeninitiative von Gründern in Deutschland.

Im Empfangsbereich der Firmenzentrale von About You steht ein Tannenbaum, daneben stapeln sich Pakete des Online-Modehändlers. Das ist nicht nur vor Weihnachten so, erklärt Mitgründer Tarek Müller. Die Mitarbeiter sind das ganze Jahr über gute Kunden. Der 30-jährige Hamburger kommt mit Laptop und Smartphone zum Interview. Das Gespräch über Wachstum, Digitalisierung und Gründertum in Deutschland kann starten.

Vier Jahre nach der Gründung läuft das Geschäft noch nicht profitabel. Wann schreibt About You schwarze Zahlen?

Tarek Müller: Normalerweise sagt man, dass ein neues E-Commerce-Unternehmen rund fünf bis sieben Jahre dafür braucht. Wir könnten die Profitabilität heute schon erreichen, aber es ist immer eine Frage von Wachstum – und wir wachsen momentan noch massiv. Für dieses Jahr prognostizieren wir einen Umsatz von bis zu 480 Millionen Euro, 2017 waren es 283 Millionen Euro. Wir sind bereits in sieben Ländern aktiv. Wenn wir in unserem Kernmarkt, dem deutschsprachigen Raum, das Wachstum drosseln würden, wären wir sofort hochprofitabel. Unser Hauptgesellschafter, die Otto Group, erwartet von uns, die erste Umsatzmilliarde bis 2023 zu überschreiten und dann profitabel zu sein. Aber wenn man sich unsere Entwicklung anschaut, könnte beides schon früher klappen.

About You wird als eines der wenigen jungen Digitalunternehmen bereits mit einer Milliarde Euro bewertet. Warum schaffen das nicht mehr?

Weltweit gibt es immerhin etwa 200 sogenannte Einhörner, aber die meisten sind in China und den USA. In Deutschland sind wir nach meinem Kenntnisstand Nummer sechs. Warum es nicht mehr sind, kann ich nicht genau beantworten. Aber für About You kann ich sagen, dass ich nie das Gefühl hatte, dass uns irgendwas aufgehalten hat, dieses Zwischenziel zu erreichen. Im Gegenteil. Wenn ich mit Gründern aus den USA spreche, sind die eher verblüfft, wie einfach wir etwa Arbeitserlaubnisse für Fachkräfte bekommen, wie vergleichsweise günstig die Mieten in Hamburg sind und wie gut die Infrastruktur ist. Ja, der Netzausbau könnte besser sein. Aber das kann nicht der Grund sein, warum wir nicht in der Lage sind, mit anderen Ländern unternehmerisch mitzuhalten.

Fehlen Gründer?

Ja, würde ich sagen – und es mangelt an Ambitionsniveau. Denn vor allem fehlt es an Gründern, die globale Unternehmen bauen wollen. In den USA ist das ganz anders – und natürlich oft auch völlig übertrieben, was für Gedanken im Silicon Valley gespielt werden. Überspitzt gesagt will da fast jeder, der eine Pizzabude aufmacht, sein Unternehmen zum Weltmarktführer machen. Was für ein Realitätsverlust! Auf der anderen Seite: Wenn man keine Ambitionen hat, wird man auch nie globaler Marktführer.

Ist das die viel zitierte „German Angst“?

Ich glaube, es hat viel mit realistischer Selbsteinschätzung zu tun. Darauf werden wir in Deutschland trainiert, und ich finde das sehr sympathisch. Auf der anderen Seite: Obwohl Selbstüberschätzung meistens eher nicht zum Erfolg führt, klappt es manchmal eben doch. Das kann man aus Unternehmensgeschichten wie Google oder Facebook lernen.

Was würden Sie dem Bundeswirtschaftsminister raten, wenn er Sie in eine Beraterrunde zum Gründertum einladen würde?

Vieles könnte besser sein. Konkrete, politisch änderbare Gründe für den Rückstand Deutschlands im globalen Digitalmarkt sehe ich aber nicht. Das muss tiefere Ursachen haben. Wir haben zum Beispiel keine moderne und internationale Gründerkultur in Deutschland. Eventuell ist es etwas Kulturelles. Denn faktisch hält einen in Europa nichts auf, ein Unternehmen wie Google, Facebook oder Apple zu bauen. Im Gegenteil: In vielen formellen Aspekten ist Europa deutlich gründerfreundlicher als die USA. Trotzdem wäre es natürlich wünschenswert, wenn die Digitalisierung in Deutschland schneller vorangetrieben würde.

Muss sich in den Schulen etwas ändern?

Schon Schüler sollten verstärkt lernen zu präsentieren, frei zu reden und auch sich gut zu verkaufen. Es wäre gut, wenn mehr wirtschaftliche Grundlagenbildung stattfinden würde wie Gründungsgrundlagen, Umgang mit digitalen Medien und Quelleneinschätzung. Das wird immer wichtiger, um Wissen im Internet zu vertiefen und Informationen zu bewerten.

Haben Sie einen Masterplan für die Digitalisierung?

Es haben schon viele versucht, ihre Hypothesen zu formulieren, was angeblich alles verändert werden müsse, damit man Digitalfirmen in Europa hochziehen kann. Wir sind eine der wenigen Firmen, denen es bisher halbwegs gelingt. Und ich kann sagen, alles, was ich da bisher gelesen habe, was Digitalfirmen angeblich aufhält und politisch verändert werden muss, ist Quatsch gewesen oder höchstens ein „Nice to have“. Die Voraussetzungen hier sind gut. Wir machen oft nur nicht genug daraus.

Weil wir die Schuld bei anderen suchen?

Wir Europäer sind richtig gut darin zu analysieren, was fehlt. Was man als Unternehmer aber vor allem braucht, sind nahbare Vorbilder. Im Silicon Valley hat sich ein Ökosystem gebildet, in dem sich Unternehmen gegründet und andere nach sich gezogen haben. Ein Ökosystem, in dem sich Unternehmer gegenseitig helfen und nahbar sind. Ich habe zwar keinen Masterplan, aber vielleicht hilft es ja auch, wenn mal jemand sagt, dass die Voraussetzungen in Deutschland und Europa nicht so schlecht sind und dass das Einzige, was einen aufhält, meist man selbst ist und nicht Politiker oder sonst irgendwer.