Berlin. Künstliches Licht gilt als großer Fortschritt. Doch es beeinflusst Ökosysteme und die Gesundheit. Forscher fordern mehr Dunkelheit.

Als das Boot um vier Uhr morgens ablegt, liegt die Finsternis schwer über dem Stechlinsee im Norden Brandenburgs. Einzig die Sterne funkeln, sonst kein Licht. Nicht am Ufer, nicht an der nahe gelegenen Straße, auch kein fernes Glühen einer Stadt ist zu sehen. „Wir sind hier an einem der dunkelsten Flecken in Deutschland“, wird Dr. Franz Hölker später mit Blick auf den See erklären, als die Sonne längst aufgegangen ist.

Jetzt sitzt der Biologe vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zusammen mit einer Gruppe Wissenschaftler in dem Boot, die Arme zum Schutz vor der Kälte verschränkt, und schweigt. Es ist früh, alle sind müde, doch sie müssen arbeiten. Mitten auf dem See schwimmt ihr Labor. Dort suchen die Forscher eine Antwort auf die Frage, wie künstliches Licht das Leben im Wasser beeinflusst.

„Je wohlhabender ein Mensch, desto mehr Licht braucht er“

Licht ist Hölkers großes Thema. Er ist Initiator des Projekts „Verlust der Nacht“, das Biologen, Mediziner, Astronomen, Schlafforscher versammelt, die alle sagen: Es ist zu hell in Deutschland – und es wird immer heller. Zuletzt hat das eine Studie des Deutschen Geoforschungszentrums in Potsdam gezeigt. Eine Auswertung von Satellitenaufnahmen zwischen 2012 und 2016 hatte ergeben, dass die Nächte etwa in Bayern und Baden-Württemberg um drei bis vier Prozent im Jahr heller geworden sind.

Licht sei ja erst einmal etwas Gutes, sagt Herbert Lohner vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Es bedeute Leben, Sicherheit, Fortschritt und Wohlstand. „Wir wissen: Je wohlhabender ein Mensch ist, desto mehr Licht braucht er“, sagt der Biologe.

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    Zu wenig Forschung zum Leben in der Nacht

    Lohner hat um ein Treffen in der Falckensteinstraße in Berlin-Kreuzberg gebeten – einer Straße, in der Berlin seit einigen Jahren Lichtpolitik macht. Auf der einen Seite stehen historische Gaslaternen mit Glühstrümpfen, auf der anderen Gaslaternen, die auf warmweiße LEDs umgerüstet sind. Sie verbrauchen wesentlich weniger Energie und erzeugen ein Licht, das für Insekten nicht besonders attraktiv ist. Hier sollen die Berliner sehen, dass Rücksicht auf die Umwelt und ein schönes Stadtbild sich nicht ausschließen.

    „Wir müssen die Menschen bei diesem Thema mitnehmen“, sagt Lohner. Denn Licht sei ein gesellschaftliches Thema, es habe psychologische und soziologische Komponenten. Der Biologe war vor mehr als 20 Jahren beim BUND Berlin Mitbegründer einer der ersten Gruppen in Deutschland, die sich mit dem Thema Lichtökologie beschäftigte. „Bis heute ist es nicht viel besser geworden“, sagt Lohner. „Noch immer gibt es viel zu wenig Forschung zum Leben in der Nacht.“ Doch es gibt Erkenntnisse.

    Lichtverschmutzung lenkt Zugvögel ab

    Licht ist gut, wichtig, sogar lebenswichtig. Aber zum falschen Zeitpunkt und in falscher Intensität beeinflusst es die Gesundheit des Menschen, weil es die innere Uhr und die Produktion des Schlafhormons Melatonin durcheinanderbringen kann. Und es beeinflusst Ökosysteme negativ. So haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie herausgefunden, dass Vögel früher im Jahr singen, was sich auf die Aufzucht der Jungen negativ auswirken könnte. Zugvögel werden von ihren Zugrouten abgelenkt, ebenso wie Fledermäuse, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im vergangenen Jahr herausfand. So lassen sich zahlreiche Folgen künstlichen Lichts auf die Umwelt finden. Ob sie alle negativ sind, muss weitere Forschung zeigen, klar ist aber: Es gibt biologische Effekte.

    Das IGB-Seelabor am Stechlinsee.
    Das IGB-Seelabor am Stechlinsee. © IGB | IGB

    Forscher sprechen bei der Aufhellung des Nachthimmels durch künstliches Licht von Lichtverschmutzung. Natürliches Licht, wie etwa das des Mondes und der Sterne, wird also durch künstliches „verschmutzt“. Diese Verschmutzung imitieren Franz Hölker und sein Team mithilfe eines speziell entwickelten Lichtsystems in ihrem Seelabor, das jetzt unter den Füßen der Wissenschaftler in der Dunkelheit schwankt.

    Himmelsleuchten verändert Fressverhalten von Fischen

    24 große Wasserbecken, ein großes in der Mitte. In den Becken schwimmen Barsche, Zooplankton und unendlich viele Mikroorganismen wie Bakterien und einzellige Algen. Auf diese Organismen konzentrieren sich die Forscher bei dem Projekt „Seeökosysteme erleuchten – ILES“. „Erste Beobachtungen haben gezeigt, dass der Skyglow (deutsch: Himmelsleuchten) dazu führt, dass die Barsche in der Lage sind, auch nachts zu fressen“, erklärt Hölker. Außerdem vermuten die Forscher, dass das Zooplankton dann nicht mehr so stark wandert. Der Skyglow entsteht, wenn das in den Nachthimmel abgestrahlte Licht von den Wolken wieder zur Erde zurückgestreut wird. Der Skyglow von Berlin scheint bis zu 80 Kilometer ins Umland.

    Das Zooplankton wandert vertikal. Tagsüber versteckt es sich im dunklen Tiefwasser vor Feinden wie dem Barsch, in der Nacht wandert es im Schutz der Dunkelheit an die Oberfläche um dort die Algen abzuweiden. Wird das Wasser jedoch beständig von Licht beschienen, bekommt das Plankton das Signal: Es ist Tag, bleib mal in Sicherheit. „Wir müssen uns dann ansehen, was so ein verändertes Wanderverhalten erstens für die Nahrungskette bedeutet und auch wie sich die Stoff-Flüsse in den Seen verschieben“, sagt Hölker.

    Die meisten Menschen können die Milchstraße nicht sehen

    Und nicht nur Ökosysteme leiden unter Lichtverschmutzung. Manche sagen, dem Menschen gehe auch ein Kulturgut verloren: der Blick in die Sterne. So können in Europa laut einer Studie 60 Prozent der Menschen die Milchstraße von ihrem Wohnort aus nicht mehr sehen. „Alle großen Forschungssternwarten in Deutschland sind inzwischen weiter nach draußen gezogen“, sagt der Astronom Dr. Andreas Hänel, der das Planetarium in Osnabrück leitet.

    Dabei habe der Mensch der Beobachtung der Gestirne viel zu verdanken: Die Navigation zum Beispiel, Wettervorhersage oder Zeitrechnung. „Untersuchungen zeigen: Würde man die Lichtmenge halbieren, würden es die Menschen ohne einen direkten Vergleich überhaupt nicht merken“, sagt Hänel. „Wir können die Entwicklung nicht zurückdrehen. Aber wir können verantwortungsvoll mit Licht umgehen.“ Das sagt auch Franz Hölker. „Es muss einen guten Grund geben, Licht einzusetzen.“ Die Gartenbeleuchtung, die nachts leuchtet, um die Beete schön anzustrahlen, sei jedenfalls kein Grund.