Berlin. Das NetzDG ist am 1. Oktober 2017 in Kraft getreten. Hat sich die Diskussionskultur bei Facebook und Co. verbessert? Wir ziehen Bilanz.

Schon vor Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) am 1. Oktober 2017 ging die Furcht vor einer breiten Zensur in sozialen Netzwerken um. Zwar scheint ein Jahr danach die freie Meinungsäußerung nicht dauerhaft gefährdet, doch die Kritik am Gesetz reißt nicht ab: Einige sehen das Gesetz sogar als Vorbild für Schurkenstaaten, die die Redefreiheit aushebeln wollen.

Die Bundesregierung hat das NetzDG als nützliches Werkzeug gegen Hass-Kommentare, Terrorpropaganda und pornografische Inhalte in sozialen Netzwerken verkauft. Doch spätestens seit das Gesetz ab 1. Januar komplett greift, zeigt sich: Die Zange, die strafrechtlich relevante Inhalte auf Facebook, Twitter und Co. verhindern soll, greift immer wieder daneben.

Deutscher Journalisten Verband spricht von „Zensur“

So hatte etwa Twitter einen Beitrag und den Account des Satiremagazins

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voreilig gesperrt. Auch Beiträge der Künstlerin

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fielen vorschnellen Sperrungen zum Opfer – wohl aus Angst vor einer empfindlichen Geldbuße, die bis zu 5 Millionen Euro betragen kann. Die sieht das NetzDG nämlich vor, wenn Netzwerke strafrechtliche Relevante Inhalte nicht innerhalb einer Frist von 24 Stunden löschen, nachdem sie darauf hingewiesen wurden.

Als auch dem

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-Team klar wurde, dass es sich bei dem „Titanic“-Beitrag über die AfD-Politikerin Beatrix von Storch um Satire gehandelt hatte, wurde der Zugang wieder freigegeben. Zu dem Zeitpunkt war das Gesetz erst zwei Tage in Kraft, alle Kritiker fühlten sich bestätigt. Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) sprach damals von „Zensur“ und kommt auch heute im Gespräch mit unserer Redaktion zu diesem Ergebnis.

Schnelle Neuregelung erscheint unwahrscheinlich

Hendrik Zörner, Sprecher des DJV, sagt ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes aber auch: „Der „Titanic“-Fall war zum Glück nicht der Auftakt zu einer Löschorgie gegen redaktionelle Inhalte.“ Ist also eine Neureglung nötig? „Bei einer Reform müsste das Justizministerium die vielen berechtigten Einwände gegen das NetzDG ernst nehmen. Nicht mehr und nicht weniger.“

Das Gesetz sieht eine Überprüfung der bisherigen Regeln innerhalb der laufenden Legislaturperiode – also bis spätestens 2021 vor. Eine Zwischenbilanz liegt noch nicht vor – lediglich die ersten

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verlangt.

Dazu heißt es beim Bundesjustizministerium: „Diese sind die ersten ihrer Art. Sie werden derzeit vom Bundesamt für Justiz, einer nachgeordnete Behörde des BMJV, als zuständige Verwaltungsbehörde nach dem NetzDG geprüft.“ Nach einer schnellen Neuregelung klingt das nicht.

EU will Netzwerke zur Sperrung innerhalb einer Stunde verpflichten

Dabei könnte die bald nötig werden. Denn EU-Sicherheitskommissar Julian King sagte Anfang August der „Welt“, dass die EU neue Löschregeln anstrebe. Terroristische Inhalte müssten dann eine Stunde nach einer Meldung an die sozialen Netzwerke gelöscht werden. Diese Regelung ginge deutlich weiter als die Fristen, die das NetzDG bisher vorsieht.

Die sozialen Netzwerke reagieren unterschiedlich auf möglicherweise noch strengere Regeln. Eine Facebook-Sprecherin sagte zu dem Vorschlag von King: „Wir haben signifikante Schritte gemacht, um Terrorpropaganda schnell und in großem Maße zu finden und zu entfernen, aber wir wissen, dass wie noch mehr machen können“. Mithilfe von künstlicher Intelligenz ist Facebook wohl jetzt schon in der Lage, Videos des „Islamischen Staates“ beim Upload zu blockieren – das Unternehmen spricht von einer Löschquote bei Terrorinhalten von 99 Prozent.

Diese Inhalte wurden bei Facebook laut Transparenzbericht am häufigsten gesperrt:

Ist das NetzDG Vorbild für Schurkenstaaten?

Andere Unternehmen sehen allerdings mit dem NetzDG und wohl noch mehr mit den möglichen EU-Verordnungen eine Grenze überschritten. Regeln zu Fake-News und Beleidigungen seien schwer zu beurteilen und könnten den öffentlichen Diskurs zum Erliegen bringen, teilt ein großes Tech-Unternehmen mit, das nicht genannt werden möchte. Das Unternehmen kritisiert auch die kurze Umsetzungsphase des NetzDG von nur sechs Monaten und sieht es als schlechtes Beispiel. „Nicht-demokratische Regimes könnten das NetzDG zum Vorbild nehmen, um mit ähnlichen Regelungen freie und demokratische Meinungsäußerung zu unterbinden“, heißt es wörtlich im Gespräch mit unserer Redaktion.

So unterschiedlich die Reaktionen auf das Gesetz sind, ist bisher auch die Anwendung. Tatsächlich hatte Facebook in seinem Transparenzbericht deutlich geringere Meldungen nach dem Gesetz ausgewiesen als seine Mitbewerber. Im Juni sagte Justiz-Staatssekretär Gerd Billen, dass dies auch an dem Weg liege, über dem Nutzer zum entsprechenden Formular kommen. „So hat Facebook einen komplizierteren Beschwerdeweg nach NetzDG eingeführt als zum Beispiel YouTube“, so Billen.

Nutzer können sich also nicht darauf verlassen, dass die großen sozialen Netzwerke einheitliche Beschwerdemöglichkeiten oder Lösch-Standards bieten – daran hat auch ein Jahr NetzDG nichts geändert.