Berlin. Rasseln und Puppen mit Wlan-Verbindung sind ein Milliardenmarkt. Umweltschützer warnen jetzt vor Gefahren durch strahlendes Spielzeug.

Der Schnuller wird schlau, hat einen Sensor. Nimmt das Kind ihn in den Mund, funkt er die Körpertemperatur an das Handy der Eltern. Die Windel, in der ein kleiner Minirechner eingelegt wird, misst Feuchtigkeit und Methangehalt und schickt eine Nachricht, wenn der „Füllgehalt“ zu groß wird. Die bunte Plastikrassel für das sechs Monate alte Kind hat in der Mitte Platz fürs Smartphone, im grünen Plüschtier mit großen weißen Augen sendet ein Babyfon Signale.

Alles praktisch. Doch die moderne Elektronik berge Gefahren, warnt Hubert Weiger, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND, als er am Mittwoch die Broschüre „Mobilfunk im Kinderzimmer“ vorstellte. Die Umweltschützer haben zwei Jahre lang den Markt analysiert, Studien durchforstet und Empfehlungen für Eltern und Politik entwickelt. Weiger fordert, „gerade“ Klein- und Vorschulkinder vor Funkstrahlen zu schützen. „Sie sind besonders sensibel, es ist dringend notwendig, einen vertretbaren Umgang zu finden.“

Deutschland verbot die sprechende „Cayla“-Puppe

Die Digitalisierung schreitet enorm voran, klassisches Spielzeug im Kinderzimmer verschmilzt mit Computern, Tablets und Handys. Es ist ein vielversprechendes Geschäft. Die Marktforscher der britischen Juniper Research gehen von einem enormen Wachstum der sogenannten Smart Toys, dem Kinderspielzeug 3.0, aus: Bis 2023, so rechneten sie jetzt vor, wird sich deren weltweiter Umsatz verdreifachen – auf mehr als 13 Milliarden Euro.

Die Elektronik, die Interneterweiterung, die die Spielzeughersteller in Plüsch und Puppen einbauen, ist schon länger umstritten. Bisher war aber vor allem vom „Lauschangriff im Kinderzimmer“ die Rede. Im vergangenen Jahr verbot Deutschland zum Beispiel die sprechende „Cayla“-Puppe. Sie nahm durchgängig Stimmen im Kinderzimmer auf, abschalten lässt sie sich nicht. Der ein oder andere sorgte sich auch, woher die Rohstoffe, die seltenen Erden für die viele Elektronik, kommen. Ein Gesundheitsrisiko, das vom digitalen Kinderzimmer ausgehen soll, ist neu.

Smartphones, Tablets, Babyfone oder Wlan-Router – alle strahlen

Viele Untersuchungen zeigten, dass der „kindliche Organismus auf Funkstrahlung empfindlicher reagiert als der des Erwachsenen“, heißt es beim BUND. Mobilfunksendeanlagen, Handys, Schnurlostelefone, Smartphones, Tablets, Babyfone oder Wlan-Router – alle strahlen. Vor allem bei der Nutzung der Endgeräte „in Auto, Bus und Bahn sowie innerhalb von Gebäuden“ könne eine „intensivere“ Strahlung entstehen. Diese wirkt im Prinzip wie eine Mikrowelle: Alles, was Wasser enthält, wird von der Strahlung erwärmt.

Experten sind sich sicher, dass Schäden entstehen, sobald in einem Körperteil die Temperatur um ein Grad zunimmt. Deshalb gibt es für Handys Grenzwerte. Das Maß dafür ist der SAR-Wert, die spezifische Absorptionsrate. Sie gibt an, wie viel Strahlungsenergie der Körper maximal aufnimmt. Handys dürfen einen SAR-Wert von zwei Watt je Kilogramm nicht überschreiten.

Bei Mäusen wuchsen bereits bestehende Tumore schneller

Inwieweit auch die Durchblutung des Gehirns gestört wird, Spermien oder Erbinformationen beeinträchtigt werden, ist umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Funkstrahlung 2011 als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz stellten Wissenschaftler fest, dass zumindest bei Mäusen bereits bestehende Tumore schneller wuchsen.

In jedem Fall sei davon auszugehen, „dass der in der Entwicklung befindliche, kindliche Organismus empfindlicher auf Funkstrahlung reagiert als derjenige von Erwachsenen“, sagen die Umweltschützer. Sie pochen auf das Vorsorgeprinzip, also darauf, schon mögliche Risiken ernst zu nehmen.

In Frankreich ist Wlan in Kindergärten verboten

„Wir, die seriösen Hersteller, halten uns an die Vorschriften, die es gibt“, sagt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie. Nur haben diese Vorschriften, genauer die EU-Spielzeugrichtlinie, aus Sicht von Weiger und seinen Mitstreitern eine Lücke: Regeln, um die Belastungen speziell für Kinder durch digitale Spielzeuge zu mindern, fehlen.

Einige Länder sind darum vorgeprescht. In Frankreich ist Wlan in Kindergärten und in Vorschulen für Kinder bis drei Jahren verboten und in Grundschulen nur zugelassen, wenn es der Unterricht erfordert. In Belgien ist der Verkauf von Handys für unter Siebenjährige verboten, ebenso entsprechende Werbung. Und der SAR-Wert von Handys muss in Reklame und Verkauf immer angegeben werden.

BUND schlägt für das digitale Kinderzimmer neue Standards vor

Der BUND empfiehlt: Hersteller sollten verpflichtet werden, für mobile Geräte einen Kindermodus zu entwickeln. Anders als beim Flugmodus, bei dem eine Wlan-Verbindung noch möglich ist, soll diese im Kindermodus auch gekappt sein. Kinderabteile in der Bahn sollten wahlweise als funkfreie Zonen angeboten werden. Bei Planung und Bau von Mobilfunk-Sendeanlagen müssten künftig Kindergärten und Schulen besonders berücksichtigt werden. Und der BUND schlägt für das digitale Kinderzimmer neue Standards vor.

Das Bundesamt für Strahlenschutz rät vorerst, Handytelefonate bei Kindern „so weit wie möglich einzuschränken“ und die Nutzung von Handys durch Kinder „auf das Notwendigste“ zu beschränken.