Berlin. Die #MeToo-Debatte aus den USA macht seit Oktober 2017 weltweit die Runde. Eine Umfrage zeigt wie die Deutschen zu Sexismus stehen.

Vor sechs Monaten schrieben zwei Journalistinnen für die „New York Times“ einen Artikel über Medienmogul Harvey Weinstein – der Beginn eines Skandals und einer weltweiten Debatte über Missbrauch und Sexismus.

Die Schauspielerin Alyssa Milano (45, „Charmed“) machte das seit längerem bestehende Schlagwort #MeToo mit einem Tweet berühmt und zu einem Synonym für die gesamte Bewegung. Rund 10 Millionen Mal wurde #MeToo bisher getwittert.

Wo steht Deutschland heute? Und was ist in anderen Ländern passiert?

USA

Im Oktober 2017 lösten Artikel in der „New York Times“ und im Magazin „New Yorker“ eine Lawine aus: Ashley Judd und weitere Schauspielerinnen warfen darin Harvey Weinstein sexuelle Übergriffe vor. Immer mehr schlossen sich an – inzwischen haben mehr als 80 Frauen Anschuldigungen gegen den Filmproduzenten erhoben. Die Vorwürfe reichen bis hin zu Vergewaltigungen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Mit Filmproduzent Harvey Weinstein fing die #MeToo-Debatte an.
Mit Filmproduzent Harvey Weinstein fing die #MeToo-Debatte an. © dpa | Richard Shotwell

Weinstein hat Fehlverhalten eingeräumt, Vorwürfe von nicht-einvernehmlichem Sex aber immer wieder zurückgewiesen. Der Produzent soll sich derzeit in Therapie befinden. Seine Frau ließ sich scheiden, die von ihm gegründete Filmfirma, die inzwischen Insolvenz anmelden musste, entließ ihn. Ob – und wenn ja, wann – es zum Prozess gegen Weinstein kommt, ist unklar.

Die Weinstein-Enthüllungen lösten die #MeToo-Debatte und die Kampagne TimesUp („Die Zeit ist um“) aus – eine weltweite Bewegung, bei der Hunderttausende Betroffene über eigene Erfahrungen berichten und Missbrauchsvorwürfe öffentlich machen. Von der Filmindustrie drang die Debatte in viele weitere Branchen vor, neue Anschuldigungen von Frauen und Männern wurden laut und viele verloren ihre Jobs.

DEUTSCHLAND

In der deutschen Filmbranche hat sich einiges bewegt. Bündnisse wie Pro Quote Film bekommen viel Aufmerksamkeit, die Unterstützerinnen von Quoten werden weniger belächelt als früher. Es soll für die Filmbranche eine Anlaufstelle für Betroffene geben, die mit Geld von Kulturstaatsministerin Monika Grütters angeschoben wird. „Macht und Missbrauch waren viel zu lange stille Komplizen“, sagt Grütters.

Das einzige mit den USA vergleichbare Erdbeben aber gab es nach den „Zeit“-Berichten mit schweren Vorwürfen gegen Regisseur Dieter Wedel, die bis hin zur Vergewaltigung reichen. Er bestreitet sie im Kern. Es war der einzige prominente Fall in Deutschland mit schweren Folgen.

Gegen Dieter Wedel wird ermittelt.
Gegen Dieter Wedel wird ermittelt. © dpa | Swen Pförtner

Wedel verlor seinen Job als Leiter der Bad Hersfelder Festspiele. In der Branche war sein Verhalten als Regiemacho lange ein Tuschelthema, viele haben davon gewusst. Im Zuge von #MeToo wurde er in den Medien zur Rechenschaft gezogen. Manche sagen: an den Pranger gestellt. Die Justiz ermittelt, mit noch offenem Ergebnis.

Eine Mehrheit der Erwachsenen in Deutschland findet eine Debatte wie #MeToo über Missbrauch und Sexismus wichtig. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa. Von den 56 Prozent, die die Debatte wichtig nennen, halten sie 13 Prozent sogar für „sehr wichtig“ und 11 Prozent für „äußerst wichtig“.

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    Auf der anderen Seite finden 27 Prozent eine Debatte über sexuelle Übergriffe, erlebte sexuelle Belästigung sowie Machtmissbrauch generell „weniger wichtig“ oder „unwichtig“. Der Rest (17 Prozent) der 2036 Teilnehmer machte keine Angabe.

    GROSSBRITANNIEN

    In Großbritannien hat die #MeToo-Debatte besonders Politiker getroffen. Belästigungsvorwürfe führten zu Rücktritten von Regierungsmitgliedern, sowohl Verteidigungsminister Michael Fallon als auch Kabinettschef Damian Green verloren ihre Posten. Ähnliche Vorwürfe wurden in der Film-, Musik- und Modebranche bekannt. So ermittelt im Fall Weinstein auch Scotland Yard.

    Fast 200 britische und irische Schauspielerinnen gründeten eine Initiative, um Frauen in ihrer Branche zu unterstützen. Ihr Appell: „Lasst uns 2018 zu dem Jahr machen, in dem die Zeit für sexuelle Belästigung und Missbrauch um ist.“

    Am Londoner Old Vic Theater soll US-Schauspieler Kevin Spacey in seiner Zeit als künstlerischer Direktor mindestens 20 Männer sexuell belästigt haben. Die Hilfsorganisation Oxfam räumte ebenfalls Sexuelles Fehlverhalten von einigen Mitarbeitern in Krisengebieten in Haiti und im Tschad ein. Die Männer hatten etwa Sex für Hilfsleistungen verlangt. Der britische Oxfam-Chef Mark Goldring verharmloste nach Ansicht von Kritikern anfangs die Taten. Er hatte zunächst gesagt, seine Organisation werde angegriffen, als ob sie „Babys in ihren Bettchen ermordet“ hätte.

    ÖSTERREICH

    Die #MeToo-Debatte hat in Österreich vor allem im Skisport Wellen geschlagen. Die ehemalige Rennläuferin Nicola Werdenigg berichtete in einem Interview von regelmäßigen Übergriffen durch Trainer, Betreuer und Kollegen sowie einer Vergewaltigung, als sie 16 war. Sie fuhr in den 1970er Jahren unter ihrem Mädchennamen Spieß. Zur damaligen Zeit habe es systematischen Machtmissbrauch im Skisport gegeben, so Werdenigg.

    Mehrere Sportlerinnen berichteten danach – zum Teil anonym – von ähnlichen Erfahrungen. Andere Kolleginnen wollen nichts von Übergriffen mitbekommen haben. Der Österreichische Skiverband (ÖSV) ist aufgrund seiner zögerlichen Reaktion auf die vorgebrachten Vorwürfe medial stark unter Druck geraten. Eine vom ÖSV eingerichtete Experten-Kommission soll die Vorwürfe nun klären. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck.

    SCHWEDEN

    Das Land gilt eigentlich als Paradies der Gleichberechtigung. Deshalb hat es viele überrascht, wie stark #MeToo auch hier eingeschlagen hat. In verschiedenen Branchen haben Zehntausende Betroffene im vergangenen halben Jahr Berichte und Unterschriften gesammelt: Schauspielerinnen, Sängerinnen, Juristinnen, Archäologinnen, Frauen in der Baubranche, Ärztinnen, Politikerinnen. Medienberichten zufolge gibt es um die 50 solcher Aufrufe mit insgesamt mehr als 60 000 Unterschriften.

    Die Schwedinnen gehen nicht nur hart mit Sexismus ins Gericht, sondern stellen auch konkrete Forderungen nach Arbeitsplätzen frei von Diskriminierung, Untertönen und Belästigung. Rund 40 Unternehmen mussten ihren Umgang mit Belästigungen vor dem Diskriminierungs-Ombudsmann rechtfertigen.

    Mehrere Politiker und Fernsehmoderatoren verloren ihre Jobs. Die renommierte Schwedische Akademie lud einen namentlich nicht genannten Kulturexperten von der Nobelpreisverleihung aus. Nach dem Suizid eines Stockholmer Theaterleiters ist aber auch eine Debatte über die Verantwortung der Medien bei Anschuldigungen im Zusammenhang mit der #MeToo-Debatte entbrannt. Er war zuvor in einer Zeitung für seinen angeblich sexistischen Führungsstil attackiert worden.

    Zudem hat die schwedische Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, demzufolge beim Sex beide Partner ausdrücklich und erkennbar mit Geschlechtsverkehr einverstanden sein müssen. Alles andere wird als Vergewaltigung gewertet.

    Der frühere Abba-Sänger Björn Ulvaeus schrieb in der Zeitung „Svenska Dagbladet“, er selbst achte jetzt viel mehr darauf, wie er und andere Männer Frauen behandelten. „Vor #MeToo habe ich solche Situationen nicht reflektiert. Aber dass ich es jetzt tue, tut mir gut – und warum im Himmel habe ich es nicht eher getan?“ Weiter schrieb er: „#MeToo ist ein historischer Wendepunkt. Ich bin froh, dass ich das noch erleben darf.“

    ARABISCHE WELT

    In weiten Teilen der arabischen Welt, in der die Belästigungsrate global zu den höchsten zählt, spielte #MeToo nur eine untergeordnete Rolle. Ein wichtiger Grund dafür dürfte auch sein, dass die Debatte in der Region online vor allem in elitären Kreisen und häufig auf Englisch geführt wird. Dies schließt den größten Teil der Bevölkerung von der Diskussion aus.

    Trotzdem war das berühmte Hashtag auch in arabischen Ländern, vor allem in Ägypten, zeitweise viral. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Frauen ihre Stimme erheben: Seit den arabischen Aufständen 2011 gab es in einigen Ländern entsprechende Kampagnen.

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      So richtete sich im September in Tunesien eine Aktion mit dem Namen „Belästiger fahren nicht mit uns“ gegen Annäherungsversuche in öffentlichen Verkehrsmitteln.Im Libanon zeigte die „Es ist nicht okay“-Kampagne, die das neu geschaffene Frauenministerium zusammen mit der Amerikanischen Universität Beirut durchführte, Wirkung.

      In dem Mittelmeerland wurde auch ein Gesetz vorgestellt, das Belästigung strafbar machen soll. Es ist allerdings noch nicht in Kraft getreten. In vielen arabischen Ländern ist der Kampf dagegen weit weniger ausgeprägt. Im Jemen zum Beispiel verhallte #MeToo sehr schnell. Dort gibt es nach wie vor kein Gesetz, das Belästigungen verbietet. (dpa)