Essen. Mit der Rettung der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann habe er „Rechtsgeschichte geschrieben“, sagt Außenminister Sigmar Gabriel.

Vor einem Jahr trat die Ministererlaubnis des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel in Kraft. Danach durften Edeka und Rewe die mehr als 400 Supermärkte von Kaiser’s Tengelmann übernehmen. Mit dem heutigen Außenminister sprach unsere Redaktion über die Folgen der Entscheidung.

Herr Gabriel, würden Sie Ihre Ministererlaubnis zur Supermarkt-Fusion heute wieder so treffen?

Sigmar Gabriel: Ja! Ganz eindeutig. Und es zeigt sich ja, dass es funktioniert hat: Wir haben mit der Ministerentscheidung für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann an Edeka nicht nur für 15.000 Menschen ihren Arbeitsplatz gesichert, sondern erstmals die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als Gemeinwohlgrund festgelegt.

Geht von Ihrer damaligen Entscheidung Signalwirkung aus?

Gabriel: Unsere Entscheidung hat Rechts­geschichte geschrieben, denn bisher galten nur die Interessen Deutschlands an bestimmten Unternehmenszu­sammenschlüssen als mögliche Gründe für das Allgemeinwohl. Mit der ­Entscheidung für die Fusion haben wir gesagt: Auch die Interessen von ­Verkäuferinnen und Verkäufern, ­Lagerarbeitern, Fleischern, Gabelstaplerfahrern gehören zu den Gemeinwohlgründen, die wichtiger sind als die reine Wettbewerbslehre der Volks­wirte. Es gibt eben auch ein Gemeinwohlinteresse, Arbeitsplätze zu erhalten. Mehr noch: Auch die Qualität der Arbeitsplätze wurde erstmals zu einem Gemeinwohlgrund. Faire Löhne, Tarifverträge, Arbeitsbedingungen, Betriebsräte und die Mitbestimmung im Unternehmen: All das haben wir mit der Ministerentscheidung für 15.000 Menschen gesichert.

Es gab Forderungen, das Instrument der Ministererlaubnis ganz abzuschaffen. Wäre das richtig?

Gabriel: Das fordern diejenigen, denen die Arbeitnehmerinteressen nicht so wichtig sind. Die immer nur wollen, dass die Spielregeln des Marktes gelten und nicht die Lebensinteressen von Menschen. Die damalige Kritik an meiner Ministerentscheidung offenbarte ja auch, dass manchen Professoren der Volkswirtschaft das Leben von normalen Arbeitnehmern ziemlich fremd sein musste. Verkäufer, Lagerarbeiter, Fleischer, oftmals Teilzeitkräfte: Die bekommen doch ohnehin häufig genug keinen guten Lohn.

Das Oberverwaltungsgericht Düsseldorf hatte den Verdacht geäußert, Sie seien bei Ihrer Entscheidung befangen gewesen. Hat Ihnen dieser Vorwurf geschadet?

Gabriel: Der Vorwurf war schon damals absurd. Das haben damals schnell sehr viele Beobachter des Ministererlaubnis-Verfahrens auch so gesehen, und deshalb hat er am Ende auch nicht geschadet. Aber es ist auch nicht die Aufgabe eines Ministers, sich die Frage zu stellen, ob seine Entscheidung für ihn selbst Ärger und Kritik mit sich bringen kann oder nicht. Zuerst einmal ist zu klären, was eine richtige Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls ist. Und wenn es dann deswegen Ärger gibt, dann muss man das aushalten. Dafür ist man Minister. Ich bin jedenfalls nicht in die Politik gegangen, um es mir selbst angenehm und bequem zu machen, sondern um das Leben für andere besser zu machen. Da darf man keine Angst vor Kritik und Ärger haben.

Wie ist es Ihnen letztlich gelungen, die zerstrittenen Handelsbosse auf einen Kompromiss einzuschwören?

Gabriel: Einfach geduldig miteinander reden. Und die beiden Vermittler, Altkanzler Gerhard Schröder und der Wirtschaftsweise Prof. Bert Rürup waren ungeheuer hilfreich. Dass ich die zerstrittenen Parteien überzeugen konnte, diese beiden Vermittler zu akzeptieren, war wohl der Durchbruch.

Hätten Sie Konsequenzen gezogen, wenn Sie gescheitert wären?

Gabriel: Nicht ich hätte Konsequenzen zu befürchten gehabt, sondern viele Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Tengelmann. Ich bin sehr froh, dass die vor einem Jahr ein ruhiges Weihnachtsfest hatten. Der Besuch einer Weihnachtsfeier in einem Lager von Tengelmann wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben. Für mich war es das schönste Ereignis der letzten vier Jahre in der Politik.

Wie hat sich der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel gefühlt, als ihn der Milliardär und Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub den besten Wirtschaftsminister seit Langem nannte?

Gabriel: Ich messe Menschen nicht daran, wie viel Geld sie haben, sondern daran, ob sie sich vom Schicksal anderer Menschen berühren lassen. Und mein fester Eindruck war, dass Herrn Haub das Schicksal seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr berührt hat. Dafür hat er meinen großen Respekt. Außerdem wusste ich, dass ihm seine Großmutter vor Jahren auf den Weg mitgegeben hatte, dass er immer auf die Unterstützung der Sozialdemokraten vertrauen solle, wenn die Zeiten mal schwierig würden. Da kann ich nur sagen: Wo sie recht hat, hat sie recht.