Essen. Echte Kriminalfälle als Vorlagen für TV-Formate sind besonders im Trend. Im Genre „True Crime“ fiebert und leidet der Zuschauer mit.

Gemma Hoskins und Abbie Schaub hatten vor fast 50 Jahren eine Lehrerin, die sie nie vergessen haben: Sister Cathy. Die Nonne unterrichtete 1969 an einer Mädchenschule in Baltimore, bevor sie verschwand und zwei Monate später ermordet aufgefunden wurde. Gemma und Abbie sind heute ältere Damen mit einer Mission. Sie wollen aufklären, warum Sister Cathy starb.

Der Fall ist sehr düster: Es geht um Mord, Missbrauch und die katholische Kirche. Wusste die Nonne zu viel? Was sagen die Opfer heute? Darum dreht sich die Netflix-Serie „The Keepers“ – für die „New York Times“ ein ebenso faszinierendes wie niederschmetterndes TV-Erlebnis. Der Streamingdienst hat schon bei den Dokus „Making a Murderer“ und „Amanda Knox“ von wahren Verbrechen erzählt.

Suche nach Stoffen

True Crime heißt dieses Genre – und ist eigentlich nicht alt. Der Klassiker „Kaltblütig“ von Truman Capote erschien 1966, darin geht es um den Mord an einer Farmerfamilie in Kansas. Der deutsche Dauerbrenner „Aktenzeichen XY... ungelöst“ startete vor 50 Jahren, im Oktober 1967. Die neuen Formate? Im Internetzeitalter und bei der Flut an Serien wird immer nach Stoffen gesucht. Kriminalfälle bieten sich da an. Der Zuschauer fiebert und leidet mit.

Auch bei Podcasts – also bei Hörgeschichten im Internet – ist True Crime ein wichtiger Trend. Das amerikanische „Serial“ über den Mord an einer Schülerin war 2014 überraschend erfolgreich. Darauf folgte die Reihe „S-Town“ – wobei das Verbrechen darin gar keines ist, wie sich herausstellt. Im deutschen Radio ging es in „Der talentierte Mr. Vossen“ (NDR) und in „Wer hat Burak erschossen?“ (RBB) um Krimis aus dem wahren Leben.

Vorgaben des Medienrechts

Und der Klassiker, den schon eine ganze Generation von Kindern in Deutschland heimlich guckte? Das „Aktenzeichen“ (nächste Folge 12. Juli, 20.15 Uhr) im ZDF hat nach Angaben des Senders mehr Zuschauer, seitdem es vom Freitag- auf den Mittwochabend gewechselt ist. 2016 schauten im Schnitt 5,6 Millionen Zuschauer die Sendung, 2008 waren es erst 4,8 Millionen. Die Aufklärungsquote der gezeigten Fälle habe im April bei mehr als 40 Prozent gelegen.

Kritik wegen vermeintlicher Sensationslust oder Voyeurismus gebe es nur sehr vereinzelt, so der Sender. Die Kriminalfälle werden demnach streng nach den „tatrelevanten Angaben“ dargestellt. Ein Richter muss die Öffentlichkeitsfahndung genehmigt haben. Produktion und Redaktion kennen „selbstverständlich“ alle Vorgaben des Medienrechts und des Jugendschutzes und halten sie ein, wie das ZDF betont. Auch in anderen Sendern laufen Fahndungsmagazine erfolgreich. Der RBB machte „Täter – Opfer – Polizei“ (nächste Folge 6. September, 21 Uhr) gerade einen zweiten Sendeplatz frei.

Giftmord nachweisen

True Crime, wo man auch hinguckt: Super RTL nimmt ab 3. Juli (20.15 Uhr) „Cold Justice – Verdeckte Spuren“ ins Programm. Darin rollen zwei Fahnderinnen Mordfälle neu auf, die vor Jahren zu den Akten gelegt wurden. Der Berliner Rechtsmediziner Michael Tsokos ist neuerdings bei Sat.1 „Dem Tod auf der Spur“ – die Themen reichen von Kofferleichen bis zum Skelett im brennenden Auto.

In der Sendung gehe es nicht um das „Wer“ oder „Warum“, so Tsokos. „Ich rekonstruiere die Umstände, die zum Tod geführt haben. Schussverläufe berechnen, Stichwunden und Schlagverletzungen untersuchen oder einen Giftmord nachweisen: Das ist mein tägliches Geschäft. Und das ist nicht nur ganz anders als in Krimis dargestellt, sondern auch viel spannender als jede Fiktion.“ Die Zuschauer scheinen ihm recht zu geben.