Santa Barbara/Potsdam. 40 Prozent des Eisverlustes der Arktis seien natürlichen Schwankungen, glauben US-Forscher. Deutsche Wissenschaftler widersprechen.

Kaum eine Region der Erde hat sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts so stark erwärmt wie die Arktis. Die Lufttemperatur ist dort doppelt so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt. Am deutlichsten zeigen sich die Folgen dieser Erwärmung an der stetig schwindenden Meereisdecke. Auch der Rückblick auf diesen Winter zeigt: Der Rückgang bleibt dramatisch.

US-Forscher um Qinghua Ding von der University of California in Santa Barbara haben sich mit dem Phänomen beschäftigt. In einer aktuellen Studie kommen sie zu dem Ergebnis: Der drastische Rückgang des sommerlichen Meereises in der Arktis gehe zu einem großen Teil auf natürliche Schwankungen zurück. Etwa 40 Prozent des Schwunds beruhten auf vom Treibhauseffekt unabhängigen Luftströmungen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Nature Climate Change“. Der größte Teil des Rückgangs aber basiere auf menschlichen Einflüssen.

Deutsche Experten sprechen von einem wichtigen Beitrag, bezweifeln aber, dass man aus dem komplexen Gefüge die genauen Beiträge von natürlichen und menschengemachten Einflüssen herausfiltern kann.

Eis schmilzt viel stärker als vorhergesagt

Die Meereisfläche in der Arktis schrumpft seit Jahren deutlich stärker, als Klimamodelle prognostizieren. Im vergangenen September war das Eis stellenweise durchgehend bis nördlich vom 85. Grad Nord aufgetaut. Die Eisfläche ging nach Auswertungen des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Polarforschung und der Universität Hamburg auf eine Größe von knapp 4,1 Millionen Quadratkilometer zurück: Das Areal – etwas kleiner als die Fläche der EU – war nach der Rekordschmelze 2012 die zweitkleinste Fläche seit Beginn der Auswertung von Satellitendaten.

Seit 1979 ziehen die Wissenschaftler jedes Jahr im September Bilanz. In den Jahren 1979 bis 1999 war die im September von arktischem Meereis bedeckte Fläche im Durchschnitt noch 6 bis 7,5 Millionen Quadratkilometer groß. Ein weiterer Indikator für das ungewöhnlich starke Schmelzen: Die Nordost- und Nordwestpassagen sind seit Ende August passierbar. Kein Eis versperrt Schiffen den Seeweg. Zum ersten Mal war das 2008 der Fall.

Im März jeden Jahres erreicht die Meereisdecke der Arktis ihre größte Ausdehnung – zwar liegen die aktuellsten Zahlen noch nicht vor, nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts fielen die Flächenwerte im Januar und Februar aber so niedrig aus wie nie zuvor in der 38-jährigen Satellitenbeobachtung. Wie sich dies auf die Meereisbedeckung des kommenden Sommers auswirke, könne noch nicht gesagt werden, weil dies von verschiedenen Faktoren abhängig sei, so AWI-Meereseisphysiker Marcel Nicolaus. „Dennoch erwarten wir wieder einen starken Rückgang des arktischen Meereises.“

Welche Rolle spielen natürliche Klimaschwankungen?

Dass hinter der Eisschmelze vor allem der von Menschen verursachte (anthropogene) Treibhauseffekt steckt, gilt als sicher. Unklar ist aber, welche zusätzliche Rolle natürliche Klimaschwankungen spielen. „Um die natürlichen und die anthropogenen Beiträge des Meereis-Schwunds zuverlässig voneinander zu trennen, muss man die Mechanismen, die die Schwankungen des Eises kontrollieren, umfassend verstehen“, schreiben die US-Forscher.

Zunächst verglichen sie die Meereis-Flächen im September mehrerer Jahre mit den atmosphärischen Bedingungen der jeweils drei vorherigen Sommermonate – darunter Temperatur, Feuchtigkeit und eingehende langwellige Strahlung. Demnach beeinflussen Luftströmungen die Temperatur in Grönland und im Osten Kanadas und damit auch die Fläche des Meereises. Insbesondere vermuten die Forscher, dass die Wassertemperaturen im tropischen Pazifik die sommerlichen Luftströmungen in der Arktis beeinflussen. Anhand diverser Klimasimulationen schätzt das Team, dass etwa 42 Prozent des Eisverlusts seit 1979 auf diese natürlichen Faktoren zurückgehen.

Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg sieht die Resultate skeptisch: „Die Studie ist ein weiteres Puzzleteil zum besseren Verständnis des Eisverlustes.“ Zwar sei die natürliche Variabilität des Klimas groß, aber ihre Größenordnung könne man noch nicht zuverlässig berechnen. Überraschend sei zudem, dass die natürlichen und somit zufälligen Schwankungen der Studie zufolge über mehrere Jahrzehnte in die gleiche Richtung gegangen seien und den Eisverlust verstärkt hätten.

Deutsche Forscher kritisieren US-Studie

Lars Kaleschke von der Universität Hamburg sagt, generell habe die Studie zwar einen guten Ansatz, sie könne aber die Kausalität nicht nachweisen. Zudem untersuche sie nur den Einfluss von Luftströmungen, nicht aber den von Meeresströmungen – und das nur für eine Jahreszeit. „Die Aussagen sind auf den arktischen Sommer beschränkt“, sagt der Meereskundler. „Dabei ist die stärkste Erwärmung und das damit verbundene verminderte Eiswachstum im arktischen Winter zu beobachten. Wie viel Meereis im September übrig bleibt, hängt immer auch vom maximalen Eisvolumen zum Ende des Winters ab.“

Notz bestätigt: Auffällig sei nicht nur der von der Studie untersuchte starke Rückgang des Eises im Sommer, sondern gerade auch der Eisschwund im Winter. „Seit Beginn der Aufzeichnungen gab es in der Arktis noch nie so wenig Packeis im Winter wie heute“, sagt der Experte. „Seit Oktober hatten wir in jedem Monat einen neuen Negativ-Rekord.“