Berlin. Deutsche Wissenschaftler haben jetzt nachgewiesen, dass im Schlaf Synapsen des Gehirns heruntergeregelt werden. Die Basis fürs Lernen.

Der Zustand des Unbewussten, dieses Unkontrollierbare, verleiht dem Schlaf seit jeher etwas Geheimnisvolles. Man kann ihn nicht erzwingen, noch kann man ihm entkommen. Mal gilt er als „köstliche Erfindung“ (Hebbel), mal sprichwörtlich als großer Dieb, der einen Teil des Lebens stiehlt.

Die alten Griechen sahen sogar einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Tod, den sie in ihrer Mythologie verankerten. Dort ist der Schlaf des Todes Bruder. Und auch der römische Politiker und Gelehrte Cicero sowie die christliche Kirche teilten diese Auffassung. Cicero sprach vom Schlaf als „Bild des Todes“, die Kirche nannte ihn dessen „Vorbote“.

Bis heute unklar, warum wir ein Drittel unseres Lebens schlafen

Was beim Schlaf in einzelnen Zellen, Muskeln oder dem Gehirn passiert, ist spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts Gegenstand diverser Forschungen. Doch bis heute ist nicht abschließend geklärt, warum wir ein Drittel unseres Lebens im Zustand äußerer Inaktivität verbringen. Ein Rätsel der Biologie, das Mensch und Tier betrifft.

Immerhin – die Untersuchungslinien der Wissenschaft weisen seit Jahren in eine Richtung: Die Prozesse des Schlafens sind mehr als ein passiver Zustand, bei dem der Organismus von störenden Einflüssen geschützt wird. Schlaf hat sich als wichtiger, aber komplexer Bausatz erwiesen, der aus vielen Einzelteilen besteht.

Mehr als ein passiver, schützender Zustand

Wissenschaftler der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg glauben jetzt, eine wesentliche Funktion des Schlafes entschlüsselt zu haben. In der im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlichten Studie zeigt das Team von Prof. Christoph Nissen, Ärztlicher Leiter des Schlaflabors, dass im Schlaf die allgemeine Aktivität der als Synapsen bezeichneten Nervenzellverbindungen im Hirn reduziert wird. „Wir konnten erstmals beim Menschen zeigen, dass Schlaf die Synapsen herunterregelt und damit Platz schafft für neue Informationen. Das Gehirn räumt im Schlaf auf“, sagt Nissen.

Platz im Hirn ist Voraussetzung für dessen neuronale Plastizität, also die Anpassungsfähigkeit des Gehirns in Funktion und Struktur an neue Herausforderungen. Und diese Anpassungsfähigkeit ist Voraussetzung für die Entwicklung und das Lernen. „Die Gedächtnisbildung macht uns aus. Sie steuert, wie wir uns in Raum und Zeit bewegen, dass wir Sprache oder Musik lernen, unsere Familienmitglieder erkennen oder wissen, wie ein Spiegelei gebraten wird. Das alles ist im Hirn verankert“, sagt Nissen. Dass die Evolution Mensch und Tier zu derart lernfähigen Lebewesen hat werden lassen, könnte durch den Schlaf entscheidend beeinflusst worden sein. „Er ist offenbar der Preis, den wir dafür zahlen müssen, dass unser Hirn so plastisch ist“, meint Nissen.

Schlafmangel führt zu erhöhter Erregbarkeit des Hirns

Für ihre Studie untersuchten die Forscher aus Freiburg zunächst die allgemeine Verbindungsstärke der Synapsen mithilfe der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation (TMS). Dabei reizte eine Magnetspule über dem Kopf einen Hirnbereich, der für die Steuerung des Daumenmuskels zuständig ist. Nach einer langen Wachphase lösten bereits schwächere Reize eine Kontraktion des Muskels aus. „Ein Zeichen für eine hohe synaptische Verbindungsstärke“, schlussfolgern die Wissenschaftler aus Freiburg. Darüber hinaus werteten sie mittels Elektroenzephalografie (EEG) die Hirnstromfrequenzen verschiedener Schlaf- und Wachphasen aus.

„Wir konnten zeigen, dass Schlafmangel zu einer erhöhten Erregbarkeit des Hirns führt“, sagt Nissen. Erregtheit löse letztlich eine Sättigung der Synapsen aus – neue Informationen würden nicht mehr richtig verarbeitet. Vorstellen könne man sich dies wie bei einem Radio, bei dem das empfangene Signal von einem immer stärker werdenden Rauschen hinterlegt werde. Die Steuerung von Gefühlen, die Konzentration, das Lernen – all das sei dadurch negativ beeinflusst, so Nissen.

„Der Schlaf senkt die Verbindungsstärke der Synapsen wieder und stellt eine Balance her“, sagt Nissen. Schlaf bewirke vieles – aussortieren, einsortieren, bewerten und vorbereiten auf Neues. Das Hirn gehe dabei offenbar gezielt vor. „Relevante Synapsen bleiben bestehen oder werden gestärkt“, so Nissen. Das gelte für das sogenannte deklarative Gedächtnis, etwa das Behalten von Fremdwörtern oder Ereignissen, wie auch für das non-deklarative, zum Beispiel den Aufbau motorischer Fertigkeiten.

Impulse für neue Forschungsansätze in der Medizin

Die Wissenschaftler aus Freiburg erhoffen sich durch ihre Erkenntnisse Impulse für neue Forschungsansätze in der Medizin – für die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten oder den Kampf gegen neuropsychiatrische Krankheiten. „Die neuronale Plastizität des Gehirns, die vom Schlaf beeinflusst wird, spielt auch bei der Volkskrankheit Depression eine Rolle“, sagt Nissen.

„Wenn wir sie besser verstehen, kann das helfen, neue Medikamente oder Therapien zu entwickeln, um Fehlschaltungen im Gehirn zu verändern.“ Beispiele dafür könnten Gleichstromstimulationen oder eine gezieltere Beeinflussung des Schlaf-Wach-Verhaltens sein. Auf Depressionsstationen wird Schlafentzug bereits als therapeutisches Mittel angewandt.