Berlin. Das Berliner Sozialgericht will den Ausstieg aus Sexarbeit für EU-Bürger erleichtern. Es spricht ihnen dazu Anspruch auf Hartz-IV zu.

Sexarbeiter und -arbeiterinnen aus anderen EU-Staaten haben in Deutschland Anspruch auf Hartz-IV. So urteilte das Sozialgericht Berlin am 15. Juni (Az.: S 134 AS 8396/20). Aus dem am Dienstag verkündeten Urteil geht außerdem hervor: Prostituierte verlieren ihr Aufenthaltsrecht nicht, wenn sie ihre Tätigkeit beenden. Der Ausstieg könne nicht als freiwillige Arbeitsaufgabe verstanden werden, so die Richter.

Klägerin ist 32-jährige Bulgarin

Geklagt hatte eine heute 32-jährige Bulgarin, die seit 2014 in Berlin lebt und steuerlich gemeldet ist. Die Frau arbeitete selbstständig als Prostituierte auf der Straße. Diese Tätigkeit beendete sie im Juli 2019, da sie ihre Arbeit als unzumutbar empfand. Zudem war sie mit ihrem zweiten Kind schwanger.

Ein Jahr lang erhielt die Frau Hartz-IV-Leistungen, bis das Jobcenter weitere Zahlungen ablehnte. Der Grund: Sie habe ihre Tätigkeit als Prostituierte freiwillig aufgegeben. Da sie nun nur noch zur Arbeitssuche in Deutschland sei, sei der Bezug von Arbeitslosengeld ausgeschlossen.

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Wann EU-Bürger Anspruch auf Hartz IV haben

Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten dürfen sich für bis zu drei Monate in einem EU-Land aufhalten, um dort Arbeit zu suchen. Dabei ist in Deutschland der Anspruch auf eine Grundsicherung ausgeschlossen.

Hartz-IV-Leistungen können von EU-Bürger nur erhalten werden, wenn eine längere Erwerbstätigkeit unverschuldet endet. Dann bleibt das Aufenthaltsrecht bestehen. Wer nach sechs Monaten immer noch arbeitslos ist und auch keinen Ausblick auf eine Arbeit hat, verliert außerdem sein Aufenthaltsrecht.

Klägerin hatte ihre Tätigkeit unfreiwillig beendet

Das Sozialgericht stellte nun fest, dass die Bulgarin ihre Tätigkeit unfreiwillig beendet hatte. Es könne "objektiv keinem Menschen zugemutet werden, sich unter den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Bedingungen des Berliner Straßenstrichs zu prostituieren", so das Gericht.

Auch unabhängig von diesen Zuständen sei prinzipiell "die willentliche Beendigung der Prostitution keine freiwillige Aufgabe der Erwerbstätigkeit". Ihre Arbeitslosigkeit sei demnach nicht freiwillig.

Gericht: Prostitution ist unzumutbar

Die Berliner Richter begründeten außerdem, dass Dienstleistungen wie Prostitution in besonderer Weise die Intimsphäre und die Menschenwürde der betroffenen Person berührten. Aus der staatlichen Schutzpflicht für die Menschenwürde folge, dass Prostitution unzumutbar sei. Daher könne von Arbeitslosen nicht verlangt werden, dass sie diese Arbeit weiterführen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, so das Gericht.

Es stellte fest: "Beendet ein Unionsbürger seine Tätigkeit in der Prostitution, weil er die Tätigkeit als nicht zumutbar empfindet, beruht die Aufgabe der Tätigkeit auf der Unzumutbarkeit der Prostitution an sich und damit auf Umständen, die er nicht zu vertreten hat."

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    Aufenthaltsrecht und Anspruch auf Hartz IV bleiben erhalten

    Die Bulgarin habe zwar die Tätigkeit zeitweise ausgeführt. Das mache die Arbeit damit aber nicht zumutbar. Der Staat könne niemals verlangen, eine objektiv unzumutbare Arbeit weiter auszuführen, nur weil eine Person sie zeitweise ausgeübt hat. In anderen Worten: Nur weil die nun 32-Jährige sich einmal prostituiert hatte, kann der Staat von ihr nicht verlangen, sich dies weiterhin anzutun, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

    Da die Klägerin ihre Arbeit als Prostituierte nicht freiwillig aufgegeben habe, habe sie außerdem weiterhin Aufenthaltsrecht in Deutschland. Sie und ihre Kinder haben deshalb Anspruch auf den Erhalt von Hartz-IV-Leistungen.