Altenahr. Nach der großen Asientour ist die Außenministerin nun auf „Zuhör-Tour“ durch Deutschland. Sie will auch in der Innenpolitik punkten.

Von der Eisenbahnbrücke über die Ahr sind nur ein paar abgebrochene Pfeiler übrig. Einige Häuser bestehen aus zusammengefallenen Betonruinen, anderen fehlt noch immer ein Stockwerk. Wo früher Vorgärten waren, haben sich heute Baggerschaufeln tief in Sandflächen eingegraben.

AußenministerinAnnalena Baerbock steht vor dem Rathaus des rheinland-pfälzischen Städtchens Altenahr. Ihr Blick folgt den Armbewegungen von Landrätin Cornelia Weigand, die ihr von den monumentalen Schäden erzählt, die auch ein Jahr nach der Jahrhundertflut noch immer zu greifen sind. „Wenn man das hier sieht, fühlt man sich eher an ein Kriegsgebiet als an ein Feriendomizil erinnert“, sagt Baerbock.

Die deutsche Chefdiplomatin pendelt derzeit im Turbotempo zwischen den großen Krisenschauplätzen dieser Welt hin und her. Vor gut einer Woche las sie dem russischen Außenminister Sergej Lawrow beim G20-Außenministertreffen auf Bali wegen des Ukraine-Krieges die Leviten. Kurz darauf machte sie sich ein Bild von der Klimakrise, wo deren Auswirkungen täglich sichtbar sind – auf dem Inselstaat Palau in der Südsee.

Bei einem Vereinsfest im saarländischen Saarlouis versucht Baerbock ins Schwarze zu treffen.
Bei einem Vereinsfest im saarländischen Saarlouis versucht Baerbock ins Schwarze zu treffen. © imago/photothek | IMAGO/Thomas Trutschel

In diesen Tagen kümmert sich die Außenministerin um die Krisen im Inland. Vor der Kulisse des immer noch ramponierten Flutortes Neuenahr versucht Baerbock, den großen Bogen zu spannen. „Krisen, die einander überlappen, verschärfen sich“, erklärt sie. Und sie nennt Beispiele. Etwa die Klimakrise, die Wetterextreme begünstige und Monsterüberschwemmungen wie solche an der Ahr wahrscheinlicher mache. Hungerkatastrophen, die Flüchtlingswellen nach Europa auslösten. Der Ukraine-Krieg, der die Energiepreise explodieren lasse. Was am Ende dazu führe, dass Baustoffe fehlten und der Wiederaufbau von Altenahr gefährdet sei. Der ferne Krieg ist plötzlich ganz nah.

Sicherheitslage: Cyberattacken sind das größte Risiko in Deutschland

„Wir wissen, dass Sicherheit immer auch etwas ganz Persönliches bedeutet“, betont Baerbock, in diesen Tagen ist das ihr Mantra. Dahinter steckt ein Programm. Vom 14. bis zum 22. Juli reist sie durch Deutschland – von Rostock über Bremen und Altenahr bis nach Nürnberg. Das Motto: „Sicher leben“. Auf der „Zuhör-Tour“ redet sie mit Bürgern, Vertretern der Zivilgesellschaft, Verbänden und Experten, um sich Anregungen für eine Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands zu holen.

Am Sonntagmittag macht die Ministerin einen Stopp beim Softwareriesen SAP im badischen Walldorf. Es geht dieses Mal um Cybersicherheit und Cyberabwehr. Im „Secrecy Center“, einem Kasten aus grauem Beton und Glas, wird sie von der Unternehmensleitung gebrieft – das Treffen ist topsecret. „Die Angriffe der Zukunft finden nicht nur militärisch statt“, sagt die Ministerin danach. Nicht Bomben, sondern Cyberattacken auf Krankenhäuser oder Verwaltungsbehörden seien das größere Risiko, fügt sie hinzu. Rechtsnormen müssten deshalb geändert werden.

Im vom Hochwasser 2021 schwer getroffenen Ort ­Altenahr kommt Baerbock mit Bewohnern ins Gespräch:
Im vom Hochwasser 2021 schwer getroffenen Ort ­Altenahr kommt Baerbock mit Bewohnern ins Gespräch: © picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Während ihrer Deutschlandreise geht Baerbock bewusst auf Tuchfühlung. Als sie in Altenahr durch eine kleine Gasse läuft, winken ihr die Leute aus der Küche des Gasthauses Assenmacher zu. Eine Frau mit rosa-weißem Ringelshirt steuert auf Baerbock zu und sagt. „Sie haben sich den Job sicher nicht so vorgestellt, wegen ­Ukraine-Krieg und so. Robert Habeck und Sie machen exzellente Arbeit. Bleiben Sie gesund und fit!“ Die Ministerin nickt freundlich. Dann kommt ein Ehepaar auf sie zu. „Die Hilfsgelder von der Regierung fließen viel zu langsam“, klagt die Frau. Ein Selfie zu dritt wollen sie aber doch.

Baerbock sucht das direkte Gespräch und wirkt dabei nicht gekünstelt. Sie sucht die offene Kommunikation, lacht viel, wünscht Passanten schon mal einen „Guten Morgen“. Anders als Bundeskanzler Olaf Scholz, der im großen Kreis eher auf Distanz setzt und bis heute das Automatenhafte im öffentlichen Auftritt nicht abgelegt hat. Auch Scholz war in der vergangenen Woche im Ahrtal zu Besuch, zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Größere Spuren haben sie nicht hinterlassen. Nun kommt die Außenministerin – auf Kanzlers Pfaden, mit Charme und Empathie im Gepäck.

Die Blessuren aus dem vergeigten Wahlkampf hat sie weggesteckt

Baerbock, so scheint es, ist im Amt gereift. Sie gilt im Land als Klartextrednerin. In den Umfragen erreicht sie Spitzenwerte. Dem letzten ZDF-Politbarometer vom vergangenen Freitag zufolge liegt sie hinter Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) auf Platz zwei, vor Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Scholz kommt dahinter.

Die Außenministerin hat die Blessuren aus dem vergeigten Bundestagswahlkampf weggesteckt. Als Spitzenkandidatin der Grünen wurde sie zunächst vom Höhenflug ihrer Partei getragen. Dann führten handwerkliche Fehler wie ein frisierter Lebenslauf zum Absturz.

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Die 41-Jährige versucht nun, nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in der Innenpolitik zu punkten. Sie spricht es zwar nicht aus: Aber ihre Chancen, im innerkoalitionären Popularitäts- und Kompetenzwettbewerb mit Habeck und Scholz zuzulegen, dürften eher steigen. Die Deutschlandreise ist auch ein virtueller Kanzlerinnen-Test. „Die Ministerin will Vertrauen aufbauen und nahbar sein“, sagt einer, der sie gut kennt.

Am Abend reist Baerbock ins saarländische Saarlouis. Der TuS Beaumarais feiert ein Sportfest. Am Eingang steht die B-Jugend des Fußballvereins in roten Trikots Spalier für die Ministerin. Drinnen auf dem Kunstrasen berichten Mädchen mit arabischem Migrationshintergrund von ihren Erfolgen im Frauenfußball. „Sport ist Integration. Wir müssen Sportvereine stärken und Sportstätten fördern“, sagt die Ministerin zum Schluss. Die rund 200 Teilnehmer klatschen.