Berlin. Der NRW-Wahlsieger Hendrik Wüst rückt in der CDU zum möglichen Kanzlerkandidaten auf. CDU-Chef Friedrich Merz bekommt damit Konkurrenz.

Hendrik Wüst kommt aus dem Lächeln gar nicht mehr heraus. Der Wahlsieger der CDU in Nordrhein-Westfalen steht an diesem Montag im Atrium des Berliner Konrad-Adenauer-Hauses vor den versammelten Journalisten. Neben ihm: CDU-Chef Friedrich Merz, ebenfalls in bester Laune. Die goldene Mai-Sonne scheint über das Glasdach der Parteizentrale auf die beiden herab. Es erinnert an eine Auferstehungsszene auf einem Renaissance-Gemälde.

Und zumindest für einige in der CDU dürfte es sich derzeit tatsächlich wie eine politische Wiedergeburt und Auferstehung anfühlen: erst vor einer Woche der Triumph der Christdemokraten bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, jetzt der Sieg im bevölkerungsreichsten Bundesland und mit 35,7 Prozent sogar das beste CDU-Ergebnis in NRW sei 2005. Die Hauptkonkurrentin SPD? Weit abgehängt.

Dass die Union nach ihrem Machtverlust bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst nun gleich zwei Mal so überragend abschneiden würde, war bis vor kurzem kaum vorstellbar. Doch nun ist es genau so gekommen. Und der Urheber des jüngsten Erfolgs in NRW heißt: Hendrik Wüst.

NRW-Wahl: Hendrik Wüst will jetzt die Regierungsbildung angehen

Man habe in den vergangenen Wahlkampftagen „ein kleines Wunder vollbracht“, sagt der bisherige und wohl auch künftige nordrhein-westfälische Ministerpräsident. „Wir sind erneut stärkste politische Kraft geworden, wir haben erneut zugelegt“, die CDU mache sich jetzt an die Regierungsbildung.

Merz, der in diesem Moment neben Wüst steht und beim Reden die linke Hand lässig in die Hosentasche schiebt, richtet den Blick auf die bundespolitische Dimension dieses Erfolgs. „Wenn wir in Nordrhein-Westfalen Wahlen gewinnen können, dann können wir auch in Deutschland Wahlen gewinnen“, betont der CDU-Chef. Immerhin lebe jeder fünfte Wähler bundesweit in NRW.

Die CDU sei seit Sonntag „wieder zurück auf Platz eins unter den deutschen Parteien“, bilanziert der Bundesvorsitzende. Die CDU-Führung fühle sich durch das jüngste Ergebnis „mehr als nur bestätigt“ in ihrem Kurs. Zugleich kommt mit Wüsts Sieg die Frage auf, welche Rolle er künftig in der Partei spielen wird. Klar ist, dass er nun in die erste Reihe der CDU aufsteigt und auf der bundespolitischen Bühne fortan deutlich präsenter sein dürfte.

Wer in NRW bei der Wahl gewinnt, ist auch ein potenzieller Kanzlerkandidat im Bund

Doch es könnte noch weiter gehen. Denn wer im mächtigen Landesverband NRW gewinnt, ist naturgemäß auch ein potenzieller Kanzlerkandidat. Das war zuletzt auch bei Wüsts direktem Amtsvorgänger Armin Laschet so, selbst wenn dessen Bewerbung im vergangenen Jahr ein desaströses Ende nahm.

Merz, dem viele in der Union für die Bundestagswahl 2025 ebenfalls Kanzlerambitionen nachsagen, äußerst sich am Montag auf eine entsprechende Frage ausweichend. Er gibt aber zu verstehen, dass er mit viel Wohlwollen auf den Erfolg des 46-jährigen Wüst blickt. „Ich freue mich über jeden, der Wahlen gewinnt in der CDU, das kann nicht ein Vorsitzender alleine schaffen“, sagt Merz.

Wüst gibt immerhin zu verstehen, dass er sich seines gewachsenen bundespolitischen Gewichts bewusst ist. „Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen spielt in Berlin immer eine Rolle“, sagt er, wieder mit einem üppigen Lächeln. Die K-Frage lässt Wüst erwartungsgemäß offen. Zumal es mit dem ebenfalls siegreichen, 48-jährigen Daniel Günther aus Schleswig-Holstein einen dritten im Kreis der möglichen CDU-Kronprinzen gibt. Fest steht aber schon jetzt: Der 66-jährige Merz hat Konkurrenz bekommen.

Wüst: Seine Karriere in der CDU in Nordrhein-Westfalen verlief nicht gerade

Dass sich Wüst überhaupt in der Lage eines Hoffnungsträgers befindet, ist bemerkenswert. Sein steiler Aufstieg innerhalb weniger Monate war alles andere als absehbar. Der 46-jährige Jurist aus der Kleinstadt Rhede im Münsterland hatte zwar zunächst rasch Karriere gemacht in der Landespartei.

Mit nur 30 Jahren wurde er Generalsekretär unter dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers sowie Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag. Fünf Jahre später trat Wüst jedoch wegen der „Sponsoren-Affäre“ um angebliche gekaufte Rüttgers-Gesprächstermine zurück. Die politische Laufbahn Wüsts, der in seinen frühen Jahren noch als kantig-bissiger Konservativer und Merkel-Kritiker auftrat, schien beendet. Er galt fortan an als Hinterbänkler.

Das änderte sich 2017, als die CDU in NRW wieder an die Regierung kam und Armin Laschet Ministerpräsident wurde. Er machte Wüst zum Verkehrsminister. Es wurde Wüsts zweite Chance. Als Laschet dann im vergangenen Jahr Kanzlerkandidat der Union wurde und sein Amt als Regierungschef in Düsseldorf aufgab, rückte Wüst zum Nachfolger auf.

Der Wechsel von Armin Laschet nach Berlin macht für Wüst in NRW den Weg frei

Sein Vorteil damals: Er hatte als einer der wenigen der infrage kommenden Kandidaten ein Landtagsmandat. Genau dies ist laut NRW-Verfassung notwendig, um Ministerpräsident zu werden. Am 23. Oktober trat er den Posten an. Auf seinem Weg nach oben hat sich Wüst inhaltlich neu aufgestellt. Während er sich als früher als scharfer Haudrauf gefiel und die Nähe zu politisch Gleichgesinnten suchte, schlug er jetzt im Wahlkampf auffallend milde Töne an.

Wüst zog lächelnd und wohl frisiert durchs Land und sparte zugespitzte programmatische Debatten weitgehend aus. Er wollte vor allem smart und sympathisch rüber kommen. Das war wohl ein Tipp, den der Münsterländer aus seinem politischen Beraterkreis erhielt.

Der Runde gehören etliche Vertraute von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an, die seinerzeit ebenfalls mit einem Verzicht auf Polarisierung große Erfolge gefeiert hatte. Wüst hat Merkel in dieser Hinsicht nachgeeifert. Und gewonnen.

Im Wahlkampf gab sich Wüst als moderner Konservativer und Familienvater

Zugleich gab sich Wüst große Mühe, als moderner Konservativer rüberzukommen, der auf dem Land wie in der Großstadt funktioniert. So bewegte er sich im Düsseldorfer Regierungsviertel lange mit dem Rad. Auch sein Familienleben stellte er politisch ins Schaufenster. In kaum einem Interview fehlte der Verweis auf seine inzwischen einjährige Tochter Pippa, auf seine Vaterrolle und das regelmäßige Windeln wechseln.

Die gut beworbenen Schwiegersohn-Qualitäten verfingen offenbar in der Wählerschaft. Vor allem Ältere gaben der CDU in NRW die Stimme. Aufhorchen ließ Wüst am Wahlabend zudem mit seiner kurzen Dankesrede an seine Ehefrau Katharina, mit der er seit 2019 verheiratet ist. „Ein ganz herzlicher Dank gilt auch meiner Frau Kate - vielen Dank für deine Stärke“, rief er der 34-jährigen Juristin zu.

Der Spitzname war in der Öffentlichkeit bis dato nicht bekannt. Und er hat zugleich royalen Symbolgehalt: Kate ist auch der Name der Ehefrau des britischen Prinzen William, Pippa heißt ihre jüngere Schwester. Zumindest gefühlt ist Wüsts Weg zum Kronprinzen da nicht mehr weit.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.