Berlin. Die Ampel-Koalition will bei der Rente den Nachholfaktor wieder einführen. Das hätte für Rentnerinnen und Rentner gravierende Folgen.

  • Für 2022 war eigentlich eine deutliche Renten-Erhöhung geplant
  • Doch die kommende Regierung könnte Rentnerinnen und Rentnern einen Strich durch die Rechnung machen
  • Ihre Pläne sehen die Wiedereinführung des Nachholfaktors vor – mit gravierenden Folgen

Die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland haben sich womöglich zu früh auf eine kräftige Anhebung ihrer Bezüge im kommenden Jahr gefreut. Denn auf Seite 66 des Koalitionsvertrages der künftigen Regierung ist ein folgenreiches Vorhaben verborgen. „Wir werden den sogenannten Nachholfaktor rechtzeitig vor den Rentenanpassungen ab 2022 wieder aktivieren und im Rahmen der geltenden Haltelinien wirken lassen“, heißt es da.

Sollte die Ampel diese Ankündigung wahr machen, dürfte die Rentenanpassung statt der ursprünglich geschätzten fünf Prozent niedriger ausfallen. Der genaue Wert steht noch nicht fest und hängt von mehreren Sondereinflüssen ab. „So stellen wir sicher, dass sich Renten und Löhne im Zuge der Coronakrise insgesamt im Gleichklang entwickeln und stärken die Generationengerechtigkeit“, begründen die Koalitionäre das Vorhaben.

Rente: Arbeitseinkommen waren im Corona-Jahr 2020 gesunken

Es handelt sich um eine komplizierte Materie. Die Renten sind an die Lohnentwicklung gekoppelt. Steigen die Löhne insgesamt, werden auch die Renten angehoben. Umgekehrt gilt dies nicht. Bei sinkenden Löhnen droht den Rentnern schlimmstenfalls eine Nullrunde.

Das war in diesem Jahr der Fall, weil die Einkommen der Arbeitnehmenden im vergangenen Jahr rückläufig waren. Ursprünglich sollte der Nachholfaktor die eigentlich fällige Kürzung in den folgenden Jahren durch geringere Rentensteigerungen ausgleichen.

Diese Regelung hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) allerdings ausgesetzt. Da die Lohnentwicklung in diesem Jahr wieder deutlich nach oben zeigt, gingen die ersten Schätzungen der Rentenversicherung auch von einem dicken Plus für die Rentner im kommenden Jahr aus.

Rente: Doch kein Plus von bis zu 5,9 Prozent?

Ohne Nachholfaktor haben die Experten eine Steigerung von 5,2 Prozent im Westen und 5,9 Prozent im Osten errechnet. Wird der Nachholfaktor wieder eingeführt, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, käme weniger dabei heraus.

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Das Arbeitsministerium will sich dazu noch nicht äußern. Vermutlich wird Heil seinen Job als Minister dort behalten. Dann müsste er sich selbst korrigieren. „Die im Koalitionsvertrag getroffenen Festlegungen müssen noch geprüft werden“, heißt es auf Anfrage, „die konkrete Ausgestaltung bleibt daher abzuwarten“.

Die Aussetzung des Nachholfaktors ist in der Vergangenheit heftig als ungerecht kritisiert worden, weil die Rentenansprüche damit auf längere Sicht stärker steigen als die Löhne.

Rente: Scholz und seine Liason mit dem Nachholfaktor

Ein politisch interessantes Detail ist, dass der Nachholfaktor 2008 einst unter dem damaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eingeführt wurde. Die Aussetzung 2018 fand unter Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler Scholz statt, die Reaktivierung jetzt unter dem wohl zukünftigen Bundeskanzler Scholz.


Die Reaktionen auf das Vorhaben der Ampel-Parteien sind unterschiedlich. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, forderte SPD, Grüne und FDP auf, von ihren Plänen abzulassen. „Der Nachholfaktor sollte dauerhaft gestrichen werden“, sagte Bauer unserer Redaktion. Es sei insbesondere in der Pandemie „das völlig falsche Signal“, den Faktor zu reaktivieren. Ähnlich argumentierte der Rentenpolitiker der Linken im Bundestag, Matthias Birkwald.

Es wäre besser gewesen, den Nachholfaktor wie von der Großen Koalition geplant „bis 2025 ausgesetzt zu lassen“. Er betonte: „Die Rentnerinnen und Rentner brauchen jeden Cent.“


Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, lobte dagegen das Vorhaben im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die von der Ampel beschlossene rasche Wiedereinführung des Nachholfaktors sei „geradezu zwingend“, sagte Steiger unserer Redaktion. Denn dadurch werde verhindert, dass sich die Renten günstiger entwickelten als die Erwerbslöhne. „Eine unfaire Benachteiligung der jungen Generation“ werde dadurch vermieden und „eine zentrale rentenpolitische Forderung des Wirtschaftsrats".