Berlin. Die Freidemokraten könnten der entscheidende Faktor in einem Dreierbündnis werden. Für den Parteichef bedeutet das ein hartes Ringen.

Es ist eine Premiere. Und das einzige, das schnell feststeht in dieser langen Wahlnacht: Noch nie in der Geschichte der FDP waren die Liberalen zweimal hintereinander bei einer Bundestagswahl zweistellig, diesmal hat es funktioniert. "Das ist ein großer Vertrauensbeweis", sagt Parteichef Christian Lindner am Abend in Berlin.

Vor vier Jahren landeten die Liberalen bei 10,7 Prozent, diesmal sahen die ersten Hochrechnungen die Freien Demokraten wieder deutlich über der Zehn-Prozent-Hürde. Für Lindner ist es ein beachtlicher Erfolg – aber auch eine Bürde. Er versteht das Wahlergebnis als Auftrag: "Die Bürger wollen eine Regierungsbildung aus der Mitte heraus." Lindner sieht die FDP in einer besonderen Verantwortung. Sie seien bereit, "unseren Beitrag zu leisten".

Bundestagswahl: FDP will "gucken, was geht"

Drei, oder besser zweieinhalb zentrale Wahlziele hatte sich Lindner gesetzt. Ein zweistelliges Ergebnis wollte er erreichen und möglichst nahe an die Grünen herankommen, um stark in etwaige Koalitionsverhandlungen zu gehen. Beim dritten Ziel dagegen war der Wille des FDP-Chefs deutlich schwächer ausgeprägt.

SPDCDU/CSUGrüneFDPAfDDie LinkeSonstige
25,724,114,811,510,34,98,7

299 von 299 Wahlkreisen sind ausgezählt. Die Daten stammen vom Bundeswahlleiter (Stand 4.30 Uhr) und sind in Prozent angegeben.

Unbedingt regieren, wie es SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz immer wollte, wie es auch die Union seit jeher bei jeder Wahl will – das gibt es zwar grundsätzlich auch bei Lindner, aber sein Regierenwollen läuft immer mit angezogener Handbremse.

Die Angst vor dem Scheitern ist groß. Seit diesem Wahlabend steht immerhin fest: Das erste Ziel dürfte er erreicht haben, das zweite nur mit zwei zugedrückten Augen, das dritte Ziel hat er nicht allein in der Hand. "Gucken, was geht", fasst Partei-Vize Wolfgang Kubicki als erster an diesem Abend die Lage zusammen. Auch Generalsekretär Volker Wissing will sich kurz nach 18 Uhr noch nicht festlegen: Das Ergebnis sei "eine enorme Rückenstärkung", es sei jetzt noch "nicht der Zeitpunkt über Koalitionen zu reden".

Lindern mit 42 Jahren dienstältester Parteivorsitzender

Der Wahlerfolg hatte sich in den letzten Umfragen abgezeichnet. Ein Grund, schon mal kistenweise Sekt kaltzustellen war es trotzdem nicht.

Seit der geplatzten Jubelfeier am Berliner Alexanderplatz, damals vor acht Jahren, als die FDP krachend aus dem Bundestag flog, backen die Liberalen partymäßig kleinere Brötchen und laden am Wahlabend in die verwinkelte Parteizentrale im Regierungsviertel. Aus Corona-Gründen sind diesmal noch weniger Gäste eingeladen, es ist ein gepflegter Stehempfang, der Applaus gediegen.

Lindner war damals, am Tag des spektakulären Scheiterns, 34 Jahre alt. Inzwischen ist der Parteichef gerade mal 42 und trotzdem bereits der dienstälteste Parteivorsitzende an diesem Wahlabend. Sein Auftritt spiegelt das, er hat nichts mehr von der forschen Jungenhaftigkeit der ersten Jahre in der außerparlamentarischen Opposition, Lindner hat sich in den vergangenen Monaten den Mantel des Staatsmanns umgehängt. Mehr noch: In jedem seiner Sätze schwingt bereits mit, wie schwierig die nächsten Wochen werden dürften.

Lindner der Königsmacher für eine Jamaikakoalition unter Armin Laschet oder ein Ampelbündnis unter Olaf Scholz? "Nie gab es mehr zu tun", das Kampagnenmotto der FDP, es hat längst eine doppelte Bedeutung bekommen. Die Liberalen sind nur auf den ersten Blick in einer komfortablen Lage. Es droht die Qual der Wahl – zwischen Regieren und Nicht-Regieren und den verschiedenen Koalitionsoptionen.

Lindner steht nach Verhandlungsabbruch von 2017 unter Druck

Was, wenn die Grünen eine Jamaika-Koalition ablehnen, wenn eine Ampel das einzige ist, was bleibt, und alle fragend auf die FDP schauen? Wolfgang Kubicki denkt darüber bereits am Wahlabend laut nach. Am Ende könnte die Wahl 2021 für Lindner erneut zur Qual werden. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Ringen um Bündnisse am Ende doch wieder zu einem Horrortrip für den Parteichef werden wird – ähnlich wie vor vier Jahren.

Seine größte Sorge bis zum Wahlabend: Dass SPD-Mann Scholz mit Grünen und Linken in einem Linksbündnis regieren könnte – und es dann Lindner läge, das mit einem Ja zu einer Ampel-Koalition zu verhindern.

Doch selbst wenn es durch die Schwäche der Linken nicht für ein Linksbündnis reichen sollte – die pure Option einer Ampelkoalition mit Rot und Grün setzt Lindner unter Druck: Seine Wunschkoalition ist ein Jamaika-Bündnis unter einem Unionskanzler – ihm graut vor Verhandlungen mit einem gut harmonierenden Gespann aus selbstbewusster SPD und regierungshungrigen Grünen.

Aber einfach wieder nicht regieren statt falsch regieren? Das kann sich Lindner nach dem umstrittenen Jamaika-Aus von 2017 kaum ein zweites Mal leisten. Zumal die Stimmung in seiner Partei gar nicht so ablehnend ist, wie er gerne darstellt: Immerhin vier von zehn FDP-Anhängern können sich durchaus vorstellen, in ein Mitte-Links-Bündnis zu gehen.

FDP will mit harter Haltung in die Verhandlungen gehen

Um sich alles offen zu halten, aber die liberalen Stammwähler nicht mit Ampel-Fantasien zu verschrecken, kündigte der FDP-Chef wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale schon mal vorsorglich eine harte Haltung in möglichen Verhandlungen über eine Regierungsbildung an.

So wie die FDP 2017 Gespräche über eine Jamaika-Koalition abgebrochen habe, so würde man auch diesmal standhaft sein. "Wir sind auch 2021 nicht bereit, unser Land auf einen Linksdrift zu schicken." Man sei nur bereit für "eine Regierung der Mitte".

Bei ihrem Parteitag eine Woche zuvor hatten die Liberalen rote Linien gezogen: "Wir schließen aus: Steuererhöhungen, wir schließen aus: eine Aufweichung der Schuldenbremse, wir schließen aus: einen Linksruck in Deutschland", erklärte der Parteichef.

Lindner will das Bundesfinanzministerium

Seit Wochen läuft Lindner durchs Land und wiederholt sein Mantra: Ihm fehle die Fantasie, was SPD und Grüne den Liberalen anbieten müssten, um sie für eine Ampelkoalition zu gewinnen. Markus Söder dagegen nimmt längst "unmoralische Vibrations" zwischen SPD-Kanzlerkandidat Scholz und FDP-Chef Lindner wahr.

Klar ist: Mit einer Jamaika-Koalition wäre es für die FDP leichter. Doch Lindners fehlende Fantasie ist vor allem taktische Rhetorik. Dahinter gibt es längst wichtige Berater, die nach eigenen Worten sehr wohl die nötige Fantasie aufbringen, wie ein Ampel-Bündnis funktionieren könnte.

Sollte die FDP künftig mitregieren, würde sie mindestens zwei, möglicherweise aber auch bis zu vier Minister stellen. Wer dafür in Frage kommt? Lindner ist gesetzt. Der 42-Jährige will Finanzminister werden und damit eines der Schlüsselressorts besetzen. Innerparteiliche Konkurrenz muss er nicht fürchten. Schwierig dürfte es werden, wenn auch die Grünen als in einem Dreierbündnis den wichtigen Job beanspruchen sollten.