Berlin. Das Bürgergeld soll das Hartz IV ersetzen. Einen wichtigen Punkt lässt Arbeitsminister Heil bei der Vorstellung seiner Pläne offen.

Mehr Geld, mehr Vertrauen und ein neuer Name: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat seine Pläne für ein Bürgergeld vorgelegt. „Zum 1. Januar wird das Hartz-IV-System überwunden“, kündigte Heil am Mittwoch an. Die künftigen Regelsätze sollen nach Vorstellung des SPD-Politikers auch die dramatischen Preissteigerungen der vergangenen Monate abdecken. In dem Punkt bleibt der Arbeitsminister jedoch vorerst vage.

Bürgergeld statt Hartz IV: Wie viele Menschen sind betroffen?

In Deutschland leben derzeit mehr als fünf Millionen Menschen von Hartz IV. Das System ist seit seiner Einführung im Jahr 2005 umstritten: Gegner kritisieren die Höhe der staatlichen Unterstützung für Langzeitarbeitslose als zu niedrig und die Erfolge bei der Arbeitsvermittlung als gering. Betroffene und Sozialverbände lehnen das System zudem als stigmatisierend und erniedrigend ab. All das will Heil nun ändern: „Es geht um mehr Respekt und mehr Anerkennung von Lebensleistung“, sagte der Sozialdemokrat.

Was schlägt Heil dafür vor?

Sind Menschen wegen längerer Arbeitslosigkeit auf das Bürgergeld angewiesen, sollen die Wohnung und Vermögen bis zu 60.000 Euro zwei Jahre lang unangetastet bleiben. Für andere Familienmitglieder des Leistungsempfängers liegt die Grenze bei 30.000 Euro. Damit soll erreicht werden, dass im Falle einer beruflichen Krise nicht sofort die Ersparnisse angegriffen werden müssen oder Betroffene ihre Wohnung verlassen müssen, weil diese größer ist als der Staat Leistungsempfängern zugesteht. Heil will zudem das Schonvermögen erhöhen, also den Anteil der Habseligkeiten, der trotz staatlicher Hilfe nicht angetastet werden muss.

Der Freibetrag für Auszubildende sowie für Einnahmen aus Schüler- und Studentenjobs soll auf 520 Euro angehoben werden. „Ich finde, dass Schüler, Studierende und Azubis auch lernen müssen, dass Arbeit sich lohnt“, sagte Heil. Die Frage der Zuverdienstgrenzen insgesamt will der Minister sich ebenfalls vornehmen – allerdings wegen der großen finanziellen Auswirkungen noch nicht in diesem Schritt. Dazu will Heil bis Ende der Legislaturperiode eine Lösung finden.

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Bürgergeld: Wie hoch soll die Unterstützung künftig sein?

Der Minister will, dass die Regelsätze zum 1. Januar „angemessen“ steigen, damit die Menschen auch angesichts der enormen Preissteigerungen über die Runden kommen. Derzeit liegt der Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen bei 449 Euro pro Monat. Für Paare liegt er pro Partner bei derzeit 404 Euro im Monat. Heil verwies in der Frage auf frühere Positionierungen: Im Gespräch mit dieser Redaktion hatte Heil Ende Mai vorgeschlagen, bei der Berechnung des Regelsatzes die unteren 30 statt der unteren 20 Prozent der Einkommen als Grundlage zu nehmen. „Damit können wir erreichen, dass die Regelsätze im Bürgergeld pro Person und Monat in etwa um 40 bis 50 Euro höher sein werden als in der Grundsicherung.“

Heil will die Berechnung des Regelsatzes zudem so ändern, dass die explosionsartigen Preissteigerungen der vergangenen Monate berücksichtigt werden. Das Problem: Nach der bisherigen Methode würde für die sowieso geplante Erhöhung zum Jahreswechsel die Preisentwicklung im zweiten Halbjahr 2021 und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in den Blick genommen. Ende 2021 war die Inflation allerdings noch nicht so dramatisch wie aktuell und im ersten Halbjahr 2022 betrafen die Preissteigerungen noch nicht die Nahrungsmittel wie jetzt. Heil will deswegen den Bemessungsrahmen erweitern, die Neuberechnung dürfe nicht der Inflation hinterherhinken.

Dazu braucht es allerdings noch eine Einigung in der Koalition. Heil will zudem neue Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zur Inflation abwarten. Zur künftigen Höhe der Regelsätze will sich der Arbeitsminister daher erst im September äußern.

Was wird aus den Sanktionen?

Heil will mit dem Bürgergeld ein „neues Miteinander und eine neue Vertrauenskultur“ schaffen. Dazu gehört eine sechsmonatige Vertrauenszeit, in der die Leistungen nicht gekürzt werden, wenn ein Betroffener einmal einen Termin im Jobcenter verpasst. Danach soll es aber für hartnäckige Fälle weiterhin Sanktionen geben: „Es bleibt bei Mitwirkungspflichten“, sagte Heil. „Zum Beispiel geht es nicht, dass man chronisch keine Termine wahrnimmt.“ Der Staat solle den Betroffenen gegenüber aber weniger „mit dem drohenden Zeigefinger“ auftreten. Sachbearbeiter und Leistungsbezieher sollen gemeinsam einen „Kooperationsplan“ erarbeiten. Für Rückforderungszahlungen plant Heil eine Bagatellgrenze von 50 Euro.

Welche Änderungen gibt es bei der Arbeitsvermittlung?

Angesichts von Arbeits- und Fachkräftemangel will der Arbeitsminister in dem neuen System in erster Linie Wert auf Weiterbildung als auf schnelle Vermittlung in irgendwelche Aushilfstätigkeiten legen. Zwei Drittel der arbeitsuchenden Langzeitarbeitslosen hätten keinen abgeschlossenen Berufsabschluss, sagte Heil. Deswegen habe künftig das Nachholen eines Berufsabschlusses künftig. Der Minister will dafür Anreize setzen für Menschen, die „sich aufrappeln, um einen Berufsabschluss nachzuholen“. Geplant ist eine Weiterbildungsprämie von monatlich 150 Euro. Heil äußerte sich zuversichtlich, dass es mit dem neuen System besser gelinge, Menschen aus der Not herauszuholen.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Was er nun vorlege, sei in den „Leitplanken“ bereits im Koalitionsvertrag verabredet, hob Heil hervor. „Ich bin zuversichtlich, dass wir uns in der Koalition darauf verständigen.“ Allerdings gibt es noch keine Einigung zur Höhe der künftigen Regelsätze. „Da wird Überzeugungsarbeit notwendig sein“, sagte Heil mit Blick auf die FDP und deren Vorsitzenden und Finanzminister Christian Lindner. In den kommenden Tagen will der Arbeitsminister in die Diskussion mit den anderen Ministerien einsteigen will. Heil hofft auf einen Kabinettsbeschluss bereits im September hofft. Danach müssen noch Bundestag und Bundesrat zustimmen, das neue System soll ab dem 1. Januar gelten. Der Zeitplan ist ambitioniert, angesichts der dramatischen Preissteigerungen steht die Koalition allerdings unter Druck, besonders Haushalten mit kleinen Einkommen zu helfen.

Was sagen Sozialverbände?

Die Vizepräsidentin des Sozialverbands Deutschland, Ursula Engelen-Kefer, sieht in dem Vorschlag für ein Bürgergeld nur einen Zwischenschritt. „Arbeitsminister Heil muss seine Pläne ergänzen um eine spürbare Erhöhung der Regelsätze“, sagte Engelen-Kefer unserer Redaktion. „Diese sind für die Betroffenen bisher schmerzhaft niedrig – vor allem vor dem Hintergrund der dramatischen Preissteigerungen.“ Die von Heil ins Spiel gebrachte Erhöhung um bis zu 50 Euro reiche auf keinen Fall aus. „Wir fordern anstatt eines Regelsatzes von aktuell 449 Euro mindestens 650 Euro.“

Engelen- Kefer mahnte jedoch: „Je länger die Regierung allerdings mit der Entscheidung wartet, desto größer wird das Problem durch die dramatische Inflation. Deswegen fordern wir bis zu einer Neuregelung eine monatliche Sofortzahlung von 100 Euro. Denn die Menschen sind jetzt mit den Preissteigerungen konfrontiert, sie können nicht länger warten.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.