Kiew/Berlin. Zusagen für neue Waffen macht Scholz nicht. Er sagt der Ukraine Unterstützung für den „sofortigen“ Status als EU-Beitrittskandidat zu.

Mit tiefen Falten im Gesicht betrachtet Olaf Scholz das Grauen des russischen Krieges gegen die Ukraine. Der Bundeskanzler ist im schwer zerstörten ­Irpin bei Kiew: Er sieht zerbombte Häuser, ein von Kugeln durchsiebtes Autowrack. Scholz wird eng von seinem Personenschützer begleitet, um ihn herum zudem ukrainische Soldaten mit Maschinengewehren. Der Kanzler erfährt hier am 113. Tag des Krieges von dem Horror, den die Bewohner des Vororts der ukrainischen Hauptstadt durch russische Soldaten erleiden mussten.

Nach dem Rückzug der Invasoren aus Irpin, Butscha und anderen Orten wurde das Ausmaß der Massaker deutlich: Die russischen Soldaten töteten Hunderte Zivilisten, viele von ihnen wurden hingerichtet. Scholz beklagt die sinnlose Gewalt. „Es ist eine ganze Stadt zerstört worden, in der überhaupt gar keine militärischen Infrastrukturen waren“, schildert der Kanzler seine Eindrücke.

Kommentar: Scholz darf das Vertrauen nicht verspielen

„Das sagt sehr viel aus über die Brutalität des russischen Angriffskriegs, der einfach auf Zerstörung und Eroberung aus ist.“ Scholz fügt hinzu: „Und das müssen wir bei alledem, was wir entscheiden, mit im Blick haben.“

Wolodymyr Selenskyj (M), Präsident der Ukraine, spricht mit Mario Draghi (l), Ministerpräsident von Italien, Bundeskanzler Olaf Scholz (2.v.l., SPD), Emmanuel Macron (2.v.r.), Präsident von Frankreich, und Klaus Iohannis (r), Präsident von Rumänien.
Wolodymyr Selenskyj (M), Präsident der Ukraine, spricht mit Mario Draghi (l), Ministerpräsident von Italien, Bundeskanzler Olaf Scholz (2.v.l., SPD), Emmanuel Macron (2.v.r.), Präsident von Frankreich, und Klaus Iohannis (r), Präsident von Rumänien. © dpa | Kay Nietfeld

Scholz muss klar sein, dass er mit diesen Worten große Erwartungen in der Ukraine weckt. Es ist der erste Besuch des Kanzlers in bald vier Monaten Krieg. Weil er Kiew auch wegen eines Eklats um den dort nicht erwünschten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier so lange fernblieb, ist Scholz in die Kritik geraten. Der Kanzler muss sich zudem immer wieder gegen den Vorwurf erwehren, er helfe der Ukraine zu langsam und zu wenig mit Rüstungsgütern. Außerdem bremse er bei der Lieferung schlagkräftiger Waffen wie moderner Panzer, die das Land zur Verteidigung dringend benötigt.

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Scholz kommt mit anderen EU-Schwergewichten

Nachdem Scholz kürzlich noch angekündigt hatte, nicht nur für einen Fototermin nach Kiew zu kommen, wuchs in der Ukraine im Vorfeld des Besuchs die Hoffnung, dass Scholz mehr als warme Worte im Gepäck hat. Scholz kommt außerdem nicht alleine. Einen Tag bevor die EU-Kommission ihre Empfehlung dazu veröffentlicht, ob die Ukraine den Status als EU-Beitrittskandidat bekommen soll, reisen die Schwergewichte aus dem Kreis der EU-Mitgliedstaaten an.

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Gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi ist der Kanzler über Nacht mit einem Sonderzug aus Polen gekommen. Vor Ort stößt außerdem Rumäniens Präsident Klaus Johannis dazu. Der Luftraum der Ukraine ist wegen des Krieges gesperrt, eine Anreise im Flieger unmöglich. Die Details der Reise wurden im Vorfeld geheim gehalten, zu groß war die Sorge um die Sicherheit der Besucher.

Wolodymyr Selenskyj,Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Wolodymyr Selenskyj,Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz. © Getty Images | Alexey Furman

Zwar tobt der Krieg derzeit im Osten der Ukraine. Dass aber weiterhin das gesamte Land Ziel der russischen Aggression ist, erfahren auch der Kanzler und seine Begleiter: Kurz nach seiner Ankunft am Bahnhof von Kiew am Donnerstagmorgen ertönt wie in vielen anderen Landesteilen auch der Luftalarm. Am Nachmittag sind die Warnsirenen erneut zu hören.

Luftalarm: Eine Drohung Putins an die Unterstützer der Ukraine?

Eine Drohung des russischen Machthabers Wladimir Putin an die Unterstützer der Ukraine? „Die Luftalarmsirenen zeigen, dass Russland nicht wählt, wen und wann es attackiert“, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die Gäste in Sportschuhen und armeegrünem T-Shirt empfängt.

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Scholz und die anderen Besucher lassen keinen Zweifel, dass sie mit ihrem Besuch ein Zeichen der Solidarität setzen wollen. „Meine Kollegen und ich sind heute hier nach Kiew gekommen mit einer klaren Botschaft: Die Ukraine gehört zur europäischen Familie“, sagt Scholz nach einem Treffen mit Selenskyj bei einer Pressekonferenz, über die aus Sicherheitsgründen nur zeitversetzt berichtet werden darf. Der Kanzler spricht sich im Namen aller angereisten Staats- und Regierungschefs dafür aus, die Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten zu machen.

Olaf Scholz in Irpin.
Olaf Scholz in Irpin. © Bundesregierung via Getty Images | Handout

Konkrete Zusagen für weitere ­Lieferungen macht Scholz nicht

Etwas weniger klar fällt die Unterstützung beim Thema Waffenlieferungen aus. „Wir unterstützen die Ukraine auch mit der Lieferung von Waffen. Und wir werden das weiterhin tun, solange die Ukraine unsere Unterstützung benötigt.“

Konkrete Zusagen für weitere Waffenlieferungen macht der Kanzler aber nicht. Er verweist auf bereits gelieferte und zugesagte Hilfe: „Deutschland unterstützt die Ukraine massiv.“ Macron hingegen kündigt an, in den kommenden Wochen sechs zusätzliche Panzerhaubitzen in die Ukraine zu schicken. „Europa steht an Eurer Seite, solange es nötig ist, bis zum Sieg“, beteuert er. Selenskyj fordert nach dem Treffen zwar dringend mehr Artilleriegeschütze, Raketenabwehr und andere schwere Waffen.

Enttäuscht zeigt sich der ukrainische Staatschef aber nicht von den Zusagen seiner Gäste. „Ich bin sehr zufrieden mit unserer Begegnung“, betont Selenskyj. Und würdigt ausdrücklich den Besuch des Kanzlers und die Rolle der Bundesregierung. Es würden Waffen geliefert, auch die gewünschten. „Hier hilft uns Deutschland sehr“, stellt Selenskyj klar und lobt die europäische Geschlossenheit. „Ich bin sicher, dass dieser Besuch in die Geschichte unseres Landes, in die Geschichte von Europa eingehen wird.“

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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.