Berlin . Millionen Menschen flüchten aktuell aus der Ukraine. Wohin gehen sie? Wie groß ist die Fluchtbewegung? Die Lage in Zahlen und Grafiken.

Russlands Überfall auf die Ukraine hat die größte Fluchtbewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt: Bis Ende März haben laut Schätzungen des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) mehr als vier Millionen Menschen die Ukraine verlassen, fast ein Zehntel der Bevölkerung innerhalb von nur fünf Wochen. Bis zu zehn Millionen werden in der Europäische Union erwartet.

In Deutschland hat die Bundespolizei bis Monatsende rund 284.000 Geflüchtete registriert. Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen. Wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer mittlerweile hierzulande wirklich Schutz gefunden haben, ist unklar. Denn für sie besteht keine Pflicht zur Registrierung.

Meist flüchten Frauen und Kinder, während ihre Männer und Söhne die Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen. Ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen aktuell nicht ausreisen. Den UN-Zahlen zufolge war der bisherige Höhepunkt der Fluchtbewegung in der zweiten Kriegswoche erreicht, mit mehr als 200.000 Geflüchteten täglich. Bis Ende März ebbte die Flüchtlingswelle ab, im Tagesvergleich auf ein Viertel der bisherigen Höchstwerte.

Rund 6,5 Millionen Kriegsflüchtlinge innerhalb der Ukraine

Doch das kann sich, abhängig von den russischen Eroberungen und Bombardements, schnell wieder ändern. Denn der größte Teil der Menschen ist noch innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht: Die UN schätzte die Zahl der sogenannte Binnenflüchtlinge zur gleichen Zeit, Ende März, auf rund 6,5 Millionen.

Sie suchen vor allem Westteil der Landes Schutz, in den russische Bodentruppen noch nicht vorgedrungen sind. Zusätzlich sitzen noch viele in belagerten Städten fest. Rund 13 Millionen Menschen sollen sich in den Konfliktzonen befinden und diese bislang nicht gefahrlos verlassen können.


Mehr als die Hälfte flüchtet über Polen

Wer die Ukraine verlässt, fährt meist mit dem Zug oder Autos direkt in ein angrenzendes EU-Land – vor allem über polnische Grenzübergänge: Weit mehr als die Hälfte (59 Prozent) der in die Nachbarländer Geflüchteten wurde bis zum letzten Märzwochenende in Polen registriert, rund 15 Prozent in Rumänien, gefolgt mit etwa zehn Prozent von der Republik Moldau.

15 Geflüchtete auf 100 Einwohnerer in Moldau

Gemessen an der Bevölkerung hat das kleine Land, das nach Kriegsbeginn auch die EU-Mitgliedschaft beantragt hat, europaweit die meisten Menschen aus der Ukraine aufgenommen: Auf 100 Einwohnerinnen und Einwohner kamen 15 Geflüchtete. Allerdings sind davon viele bereits weiter nach Rumänien gereist.

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Auch andere Länder haben sich bereit erklärt, Moldau zu unterstützen. So hat Deutschland erste Kriegsflüchtlinge von dort ausgeflogen, aber vor allem finanzielle Hilfe für Moldau zugesichert, das als eines der ärmsten Länder Europas gilt.

Weiterreise nach Deutschland dank Reisefreiheit innerhalb der EU

Wer über Polen, die Slowakei und Ungarn aus der Ukraine flüchtet, befindet sich im Schengen-Raum und kann dort frei weiterreisen. Die Karte zeigt die dort registrierten Grenzübertritte, aber nicht wie viele schutzsuchende Menschen sich wirklich in den Nachbarländern der Ukraine aufhalten. So beinhaltet die Angabe des UNHCR für Polen auch Geflüchtete, die nach Deutschland oder noch weiter in andere EU-Länder gereist sind.

Anders als bei anderen Fluchtbewegungen bekommen die Ukrainerinnen und Ukrainer bis zu drei Jahre einen vorübergehenden Schutz, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. In die EU konnten sie bereits vor dem Krieg ohne Visum einreisen. Ihren Aufenthaltsort können sie nun prinzipiell frei wählen. Eine Registrierung ist so in Deutschland vor allem notwendig, um Sozialleistungen zu erhalten oder arbeiten zu können. Kindern ermöglicht sie einen Schulbesuch.

Der Vergleich mit den größten Fluchtbewegungen der vergangen drei Jahrzehnte in Europa verdeutlicht das historische Ausmaß. So hatten die EU-Länder in der letzten Flüchtlingskrise 2015 und 2016 rund 2,4 Millionen Menschen aufgenommen. Bereits zwei Wochen nach der russischen Invasion haben bereits mehr Ukrainerinnen ihr Land verlassen.

Prognose: Bis zu zehn Millionen Kriegsflüchtlinge könnten Ukraine verlassen

Laut UN-Flüchtlingshilfswerk lebten 2021 (Stand Juni) mehr als 30 Millionen Geflüchtete im ausländischen Exil , die meisten davon in Nachbarländern ihrer Heimat. Dazu kommen weltweit über 50 Millionen Binnenflüchtlinge, die innerhalb ihrer Länder gewaltsam vertrieben wurden.

Die Zahl der in Deutschland und anderen europäischen Ländern untergekommenen Geflüchteten ist in den letzten Jahren gestiegen, blieb im internationalen und historischen Vergleich bislang jedoch gering - mit Ausnahme der Fluchtbewegungen während der Jugoslawienkriege.

Das ändert sich mit dem Krieg in der Ukraine drastisch. Migrationsforscher Gerald Knaus von der Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) bekräftigte einen Monat nach Kriegsbeginn seine Prognose, dass zehn Millionen Ukrainerinnen ihr Land verlassen könnten. Das wäre rund ein Viertel der Bevölkerung.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de