Washington. Joe Biden hielt bei seinem Besuch in Polen eine historische Rede zum Ukraine-Krieg. Seine wichtigsten Sätze – und was sie bedeuten.

Keine 30 Minuten hat Joe Bidens Rede zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Konsequenzen für Europa und die Welt vor dem Warschauer Schloss gedauert. Die Ansprache wird bereits mit John F. Kennedy 1963 („Ich bin ein Berliner”) und Ronald Reagan 1987 („Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!”) verglichen.

Ein einzelner, auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin gemünzter Satz ist schon jetzt für die Geschichtsbücher. Was hat der amerikanische Präsident gesagt - und was bedeutet das für die Zukunft? Mehr zur Rede: Biden über Putin – „Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben”

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Biden: „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben”

Der Satz ganz am Ende der Rede, der sich wie ein Aufruf zur Entmachtung Wladimir Putins lesen lässt, stand nicht im Manuskript. Biden hat, wie so oft in seiner fast 50-jährigen Politik-Karriere, das Herz auf der Zunge getragen und damit Riesenwirbel ausgelöst. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron distanzierte sich gestern: „Wir sollten sachlich bleiben und alles tun, damit die Lage nicht außer Kontrolle gerät.”

Moskau reagierte gleichwohl nur moderat vergrätzt. „Das entscheidet nicht Biden, der Präsident Russlands wird vom russischen Volk gewählt”, erklärte Wladimir Putins Sprecher Peskow knapp. Als Biden Putin vor Tagen als „mörderischen Diktator” bezeichnet hatte, drohte der Kreml noch mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Obwohl Biden nicht konkret zur Entmachtung Putins aufrief, hatte, schaltete das Weiße Haus sofort auf Schadensbegrenzung.

„Der Punkt des Präsidenten war, dass Putin nicht erlaubt werden kann, Macht über seinen Nachbarn oder die Region auszuüben. Er meinte nicht Putins Macht in Russland oder regime change”, lautete die gestelzt konstruierte Erklärung. Außenminister Blinken bekräftigte am Sonntag, dass die USA keinen Machtwechsel anstrebten.

Ukraine: Biden macht strategischen Fehler

Experten sehen in dem verbalen Ausrutscher einen strategischen Fehler. Biden habe bisher durch große Disziplin die Einheit des Westens hergestellt, dieses Werk reiße er durch die Demütigung Putins eigenhändig ein. Putin könne sich in die Ecke gedrängt und zur Eskalation des Krieges genötigt fühlen. Ein Vergeltungsakt gegen den Westen sei nicht auszuschließen.

US-Präsident Joe Biden im Warschauer Königsschloss über den russischen Machthaber Wladimir Putin: „Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“
US-Präsident Joe Biden im Warschauer Königsschloss über den russischen Machthaber Wladimir Putin: „Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“ © dpa | Radek Pietruszka

Der aktuell wichtigsten Aufgabe, ein Kriegsende zu akzeptablen Bedingungen für die Ukraine zu erreichen und Putin von einer militärischen Zuspitzung abzuhalten, liefen Bidens Einlassungen zuwider, sagte Richard Haas von der Denkfabrik „Council on Foreign Relations”. Kollege Michael O`Hanlon von Brookings interpretiert Bidens Satz als Absage an Putin als Verhandlungspartner, um den Krieg zu beenden. “Ohne ihn geht es nicht.”

Andere Analysten betonen, dass Biden angesichts offenkundiger Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine nur Selbstverständliches ausgesprochen habe: „Ein Zurück zur Normalität mit einem Kriegsverbrecher wie Putin ist unmöglich.”

Joe Biden hat einen neuen Kalten Krieg eröffnet

Biden sieht durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine eine „große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen einer regelbasierten Ordnung und einer, die von brutaler Gewalt bestimmt wird” aufziehen. „Die wird nicht in Tagen geschlagen werden oder in Monaten. Wir müssen uns für einen langen Kampf stählen. Wir müssen geeint bleiben - heute, morgen, übermorgen und in den kommenden Jahren und Jahrzehnten.”

Joe Biden hat in Warschau nicht weniger als einen neuen Kalten Krieg eröffnet. Ungeachtet des militärischen Ausgangs in der Ukraine werden sich, so seine Überzeugung, Demokratien westlichen Zuschnitts auf Jahrzehnte mit expansiv veranlagten Unterdrücker-Autokratien auseinandersetzen müssen, wie Putin sie in Russland (Ukraine) und Xi Jinping in China (Taiwan) etabliert haben.

Wer diesen Kampf bestehen will, muss Ausdauer, Geschlossenheit und Leidensfähigkeit mitbringen, sagt Biden. Er meint vor allem die Bereitschaft, die volkswirtschaftlichen Rechnungen dafür auszuhalten. Etwa durch höherer Energiepreise, wenn Billig-Gas und -Öl aus Russland gestoppt werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und US-Präsident Joe Biden. (Archiv)
Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und US-Präsident Joe Biden. (Archiv) © Denis Balibouse/Pool Reuters/dpa

Biden macht Putin klar, dass Nato-Gebiet unangetastet bleiben muss

Wie es um diese Leidensfähigkeit in Europa bestellt ist, da kann sich Biden nicht sicher sein. Großbritannien hat signalisiert, das Sanktionsregime gegen Russland zu lockern, sollte Moskau zu Konzessionen bereit sein. Biden sieht dagegen kurzfristig kein Szenario, in dem Wladimir Putin in der Ukraine zurücksteckt oder aufgibt.

Darum will er „eine neue Art ökonomischer Staatskunst” intensivieren, die ebenso viel Schaden anrichten könne wie „militärische Macht”: Russlands Wirtschaft soll in die Knie gezwungen werden. Bidens Überzeugung ist es, dass nur „zügige und strafende Sanktionen” Moskau zu einem Kurswechsel bewegen könnten. In vielen europäischen Hauptstädten wird das dauerhaft Unwohlsein auslösen. Hier herrscht Angst vor russischer Vergeltung.

Mit diesem Satz an die Adresse Putins hat Biden definitiv klar gemacht, dass die Nato unmittelbar militärisch antworten würde, sollte Russland seinen Angriffskrieg auch nur “einen inch” (2,5 cm) über die Grenze der Ukraine nach Westen hin ausdehnen. Er nannte „Artikel 5”, den Einer-für-alle-alle-für-einen-Beistandspakt des westlichen Verteidigungsbündnisses, eine „heilige Pflicht”. An dieser “roten Linie” wird man den amerikanischen Präsidenten in den nächsten Wochen und Monaten messen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de