Berlin . Russland hat Ziele in der Ukraine mit Luftschlägen angegriffen, die Bodeninvasion hat begonnen. Plant Putin eine Blitzangriff auf Kiew?

  • In der Nacht hat der russische Angriff auf die Ukraine begonnen
  • Er gilt dem gesamten Land, Truppen rücken aus mehreren Richtungen vor
  • Die nächsten Tage entscheiden darüber, ob die Rechnung von Präsident Putin – ein Blitzkrieg – aufgeht
  • Ein General erklärt das Geschehen an der Front

Auf dem Land-, Luft- und Seeweg dringen russischen Truppen in die Ukraine ein. Russland ist mit starken Kräften im Norden und auch ostwärts von Charkiw sowie im Süden auf der Krim aufmarschiert.

Mit diesem breitangelegten Aufmarsch in einem großen Bogen um die Ukraine herum macht Präsident Wladimir Putin es den ukrainischen Streitkräften schwer, "einen Schwerpunkt zu bilden", erläuterte der frühere Generalleutnant a. D. des Heeres, Heinrich Brauß, unserer Redaktion. Er zwinge sie, "ihre gesamte Verteidigung auseinanderzuziehen. Er kann sie mit vorgeschalteten Angriffen regional binden, sodass sie an anderer Stelle fehlen".

Putins Vorgehen ist "hasardeurhaft"

Dem Bundeswehr-General, der im internationalen Stab der Bundeswehr saß, erscheint das Vorgehen "so hasardeurhaft, dass ich es kaum glauben will". Die gesamte Ukraine zu unterwerfen, sei für Putin trotz seiner großen Militärmacht ein "risikoreiches Unterfangen".

Eine solche Operation könne sehr blutig werden und länger andauern. Die Ukraine sei vorbereitet und willens, sich zu verteidigen. Sie sei besser ausgebildet und bewaffnet als 2014 bei der russischen Annektierung der Krim.

Es ist ein Angriff nach dem Lehrbuch. Aus der Luft werden kritische Ziele angegriffen. Man versucht, die Luftwaffe und Luftabwehr auszuschalten. Dann legen die Angreifer mit Cyber-Angriffen die Führungsfähigkeit lahm und schränken damit die Reaktionsfähigkeit der Ukraine ein.

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"Wenn das gelingt, kann man mit Bodentruppen aus mehreren Richtungen umso leichter vorstoßen", erklärt der Soldat. Russische Truppen könnten überdies an der Küste entlang über Mariupol die Landverbindung zur Krim herstellen und sogar Odessa besetzen, die wichtigsten Häfen, und dadurch die Ukraine vom Zugang zum Schwarzen Meer abschneiden. Das würde das Land extrem destabilisieren – es mag sein, dass dies ein wichtiges Ziel ist“, so Brauß.

Schneller Sieg – um Verhandlungen zu erzwingen und diktieren?

Und tatsächlich sind in der am Asowschen Meer gelegenen Hafenstadt Mariupol ebenso Explosionen zu hören wie in Odessa. Russische Truppen könnten auch Großstädte wie Kiew und Charkiw einkesseln und "so Verhandlungen und einen Regierungswechsel erzwingen“, umschreibt Brauß ein mögliches Kriegsziel.

Putin hat zwar alle militärischen Optionen, Erich Vad glaubt jedoch nicht an eine dauerhafte Besetzung der Hauptstadt und der Westukraine. Wie Brauß gibt der frühere Brigadegeneral und Militärberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu bedenken, "dann müsste er mit einem langen Abnutzungs- und Partisanenkrieg rechnen. Das kostet ihn Menschenleben, Geld und Prestige."

Vad vermutet, "eher wird Putin versuchen, den ganzen Donbass zu besetzen mit als Friedenstruppen deklarierten Kräften. Wenn er darüber hinaus gehe, werde Putin versuchen, eine Landverbindung bis zur Krim herzustellen. "Vielleicht schickt er seine Truppen sogar bis Odessa, um die gesamte Schwarzmeerküste in den Griff zu kriegen." Denn: "Odessa ist für ihn ein interessantes Ziel, weil dort viele russischsprachige Ukrainer leben mit einer entsprechenden Sympathie für Putin. Ich erwarte jedoch nicht, dass der russische Präsident das Nato-Vertragsgebiet angreift“, sagte Vad unserer Redaktion.

Russischer Angriff kam nicht überraschend

Westliche Sicherheitsexperten waren von dem russischen Angriff nicht mehr überrascht: In den vergangenen Tagen hatten sich die Zahl russischer Kampftruppen nahe der Ukraine weiter erhöht, mehr als 160.000 Soldaten stehen bereit. Zuletzt standen 110 taktische Bataillons-Kampfgruppen im Norden, Osten und Süden der ukrainischen Grenze, der Großteil in einer Entfernung von maximal 50 Kilometer von der Ukraine entfernt.

Die Bataillons-Kampfgruppen verfügen jeweils über Panzer, Artillerie, Luftabwehr, Pioniere und Experten für die elektronische Kampfführung. Mehrere Bataillone haben außerdem das Kurzstreckensystem Iskander-M mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern, die jetzt offenbar zu Angriffen gegen strategisch wichtige Ziele eingesetzt.