Berlin. In dem Messengerdienst verbreiten vor allem Corona-Leugner Hetze und Lügen. Der Staat will dagegen vorgehen. Doch das ist nicht so einfach.

Es waren nur ein paar Dutzend Menschen, die Anfang Dezember vor das Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin zogen. Drinnen brannte das Licht am Esstisch der Familie. Draußen brannten die Fackeln der rechten Corona-Leugner. Es waren Bilder, die schnell bundesweit Schlagzeilen machten. Es waren Augenblicke, die an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland erinnerten.

Hinter dem Aufmarsch stand die Gruppe „Freie Sachsen“, im Messengerdienst Telegram rief die Gruppe dazu auf. Mittlerweile haben die extremen Rechten gut 140.000 Abonnenten, die Beiträge in dem Kanal werden zehntausendfach angeklickt und gelesen.

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Telegram gilt als Durchlauferhitzer der extremen rechten Szene, der radikalen Gegner der Corona-Maßnahmen, der Verschwörungsideologen. Auch Rechtsterroristen verbreiten auf Telegram ihre Propaganda. Fachleute weisen seit langer Zeit darauf hin, dass das Netzwerk ein gefährliches Werkzeug der Radikalisierung ist. Doch erst der Fackelmarsch brachte Telegram auf die politische Agenda.

Will härter gegen Hass im Netz vorgehen: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat
Will härter gegen Hass im Netz vorgehen: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat © dpa | Bernd von Jutrczenka

Nun überschlagen sich die Vorschläge, wie der Hass auf Telegram gebändigt werden kann. Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser fällt mit entschlossener Rhetorik und Ankündigungen auf. Sie will nun die Internetriesen Apple und Google auffordern, die Telegram-App aus ihren „Shops“ zu löschen. So soll der Messenger aus dem Angebot für die Masse der Handynutzer verschwinden. Andere Vorschläge gehen noch weiter: die Plattform blockieren, ganz abschalten. Was hilft? Was nicht?

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Langer Name, wenig Wirkung. Mit Hilfe des Gesetzes will der Staat Gewaltaufrufe und Hetze in sozialen Netzwerken eindämmen. Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter sind seitdem verpflichtet, rechtswidrige Inhalte innerhalb von einem bis sieben Tage zu löschen oder zu sperren. Nach Ansicht der Bundesregierung fällt auch Telegram unter dieses Gesetz. Das Bundesamt für Justiz führt bereits seit Monaten zwei Bußgeldverfahren.

Was bei Twitter und Co. mittlerweile besser klappt, gilt für Telegram nicht. Der Dienst löscht kaum Inhalte von Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen. Ein Büro, eine Zweigstelle in Deutschland gibt es nicht. Der Firmensitz ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten – Bußgeldverfahren der deutschen Stellen versacken im Wüstensand. Telegram-Gründer, der Russe Pawel Durow, rühmt sich damit, nicht mit staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.

Von Apple und Google verbannen

Weil Telegram nicht auf Mahnungen des deutschen Staates reagiert, schlägt die Innenministerin vor, die App mit dem Messenger aus den App-Stores der beiden größten Anbieter Google und Apple zu löschen. Das würde Telegram einerseits hart treffen, denn viele nutzen den Dienst auf ihrem Handy, die allermeisten auf Google- oder Apple-Handys. Tatsächlich wirkt der Druck (offenbar auch durch die Internetfirmen) – in Ausnahmefällen löscht Telegram radikale Kanäle in den Apps.

Das komplette Sperren der Telegram-App geht nicht ohne die Zusammenarbeit mit den Internetriesen. Der Schritt der Sperrung wäre für Apple und Google riskant. Selbst wenn das Erfolg hat, ist der deutsche Markt für Telegram nicht entscheidend. Weltweit hat Telegram 500 Millionen Nutzer. Und die extremistische Szene reagiert schon auf die Forderungen – und ruft dazu auf, Telegram nicht über die App-Stores etwa von Google zu laden, sondern direkt auf der Firmenseite von Telegram.

Klarnamenpflicht und Login-Falle

Zum einen macht nun auch die Klarnamenpflicht im Kampf gegen Hass und Drohungen auf Telegram die Runde. Nur, wer sich mit seinem richtigen Namen bei dem Netzwerk anmeldet, darf mitmachen. So sollen Täter schnell identifiziert werden. Zum anderen schlagen Sicherheitsleute vor: eine Login-Falle. Fällt ein Nutzer auf Telegram mit rechtswidrigen Beiträgen auf, speichert der Messengerdienst die ID des Computers. Nicht permanent, sondern nur punktuell, würden Daten abgefischt.

Das Problem: Auch das geht nicht ohne die Mitarbeit von Telegram. Und: Will die deutsche Politik wirklich, dass Firmen wie Telegram massenhaft Daten von Deutschen speichern. Gerade unabhängige Journalisten warnen: Anonymität bietet nicht nur Extremisten Schutz – sondern auch Opfern von rechten Attacken. Ohnehin treten viele der Hetzer auch heute schon selbstbewusst unter ihrem richtigen Namen auf.

Netzsperren und „geoblocken“

Als letztes Mittel bringen manche Innenminister nun eine komplette Netzsperre von Telegram ins Spiel. Viele sehen darin einen drastischen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Um nicht zu viel Nähe zu autoritären Staaten wie China oder Russland zu zeigen, nennen sie es lieber „Geoblocking“. IP-Adressen werden gesperrt und bekommen keinen Zugang zu einer Dienstleistung – wie etwa einem Messengerdienst.

Nur: Es ist nicht eine deutsche Behörde wie die Bundesnetzagentur, die diese IP-Adressen von Nutzern sperrt. Sondern der Anbieter. Also Telegram. Und die wollen das bekanntlich nicht. Ohnehin könnte jeder Hetzer eine ID-Sperre einfach technisch umgehen, etwa über verschlüsselte Internet-Browser.

Auf Hetzer-Jagd mit Online-Polizisten

Eine Option, die Fachleute für vielversprechend halten: Kriminalämter setzen Online-Streifen ein. Polizisten durchforsten Telegram-Gruppen, schreiben Anzeigen, wenn ihnen rechtswidrige Hetze und Gewaltaufrufe auffallen – und ermitteln gegen die Täter. In einigen Fällen passiert dies bereits auch bei Telegram. Der Antisemit Attila Hildmann wird mit Haftbefehl gesucht. Er hat sich ins Ausland abgesetzt.

Auch eine Gruppe „Dresden Offlinevernetzung“ ermittelt die Polizei, machte Razzien, nachdem ZDF-Journalisten über Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten berichteten. Nur: Vieles kommt zu spät, längst haben sich Hunderte, Tausende Gruppen und Kanäle etabliert. Und viele Dienststellen sind mit der Überwachung und Strafverfolgung überfordert, es fehlt Knowhow und Personal. Oftmals arbeiten Kriminalämter auch ohne Ermittlungen in digitalen Foren am Limit, auch bei Staatsanwaltschaften und Gerichten stapeln sich Verfahren.

Kampf gegen die Ideologie, nicht die Technik

Fachleute etwa des gemeinnützigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) warnen vor einem zu starken Fokus auf die Technik. Hinter Telegram stecken Menschen, die Verschwörungsideologien, Falschinformationen und Gewaltaufrufe posten. Selbst wenn die Plattform eingeschränkt oder gesperrt würde – die Ideologie bleibt. Täterinnen und Täter weichen einfach aus auf andere Netzwerke wie Gab, Parler oder vkontakte.

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Es müsse also vielmehr darum gehen, so Expertinnen und Experten, extremistischen Positionen und Fake-News durch Informationskampagnen entgegenzutreten. Eine Art „digitale Sozialarbeit“. Eine Radikalisierung im Internet darf zudem nicht losgelöst analysiert werden. In der realen, analogen Welt schlagen Hetzer und Verschwörungsideologen zu, treten auf Demonstrationen auf, attackieren Polizisten oder Journalisten und vermeintliche politische Gegner.