Berlin. Marco Buschmann im Interview. Der Justizminster über den Umgang mit der Omikron-Welle und wie er radikalen Impfgegnern beikommen will.

Es ist sein erstes großes Interview als Justizminister – und es geht um die erste große Bewährungsprobe der Ampel-Regierung: die Omikron-Welle in der Corona-Pandemie. Marco Buschmann sagt, wie er sich als Liberaler zu einer allgemeinen Impfpflicht verhält – und wie ihn seine Herkunft prägt.

Sie sind in Gelsenkirchen aufgewachsen, in einer fünfköpfigen Familie auf 70 Quadratmetern. Wem verdanken Sie den Aufstieg zum Justizminister?

Marco Buschmann: Ja, meine kranke Oma lebte bei uns. Später sind wir in ein Zechenhäuschen gezogen. Das Entscheidende war der Rückhalt meiner Eltern. Sie haben immer gesagt, ich solle alles probieren, was ich mir vornehme: Wenn es klappt, ist es gut.

Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Im Nachhinein wirkt mein Lebenslauf ziemlich gerade. Aber um ehrlich zu sein, habe ich vor allem die Dinge gemacht, die mir Spaß gemacht haben. Vielleicht etwas intensiver als andere. Aber das Wichtigste war wirklich die bedingungslose Liebe und Unterstützung meiner Eltern.

Im November sind Sie schlagartig bekannt geworden, weil Sie die Corona-Notlage beenden wollten – trotz rapide steigender Infektionszahlen. War das ein Fehler?

Buschmann: Die Ampel hat die Bekämpfung von Corona auf eine neue Grundlage gestellt. Ziel war es, die Entscheidungen ins Parlament zu tragen und dadurch transparenter zu machen. Zudem wollen wir Lockdowns und Schulschließungen vermeiden. Teilweise wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, als ließe dies das Land schutzlos zurück. Das war meiner Ansicht nach unlauter.

Sie haben den Staat im Kampf gegen Corona geschwächt.

Buschmann: Ganz im Gegenteil haben wir als Ampel-Fraktionen effektive und gleichzeitig grundrechtsschonende Instrumente zur Eindämmung der Pandemie zur Verfügung gestellt. Ich nenne nur die bundesweite 3G-Regelung am Arbeitsplatz und im ÖPNV, die Testpflicht beim Besuch von Seniorenheimen sowie eine Pflicht zum Homeoffice.

Auch das sind starke Einschränkungen, aber sie sind grundrechtsschonender als ein flächendeckender Lockdown. Fakt ist, dass die Lage in vielen Krankenhäusern nach wie vor sehr angespannt ist. Unser neues Maßnahmenpaket ist aber glücklicherweise sehr wirksam gegen die vierte Welle der Delta-Variante. Seit es in Kraft ist, haben wir eine sinkende Zahl von Neuinfektionen. Das ist allerdings noch kein Zeichen für Entwarnung. Das gilt insbesondere wegen der neuen Omikron-Variante. Mehr dazu: Corona-Gipfel: Wird Dienstag ein neuer Lockdown beschlossen?

Der neue Expertenrat warnt vor einer „explosionsartigen Verbreitung“ von Omikron und sieht die kritische Infrastruktur – Krankenhäuser, Feuerwehr, Stromversorgung – in Gefahr. Unterstützen Sie die Forderung, harte Kontaktbeschränkungen zu beschließen?

Buschmann: Wir wissen, dass Omikron sehr viel ansteckender ist als alle anderen Varianten. Über die Frage, ob der Krankheitsverlauf generell milder ist, diskutiert die Wissenschaft noch. Es gibt also ein relevantes Risiko, dass neue Belastungen auf die Krankenhäuser zukommen.

Ebenso besteht die Gefahr, dass sehr viele Menschen gleichzeitig krank werden – auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der sogenannten kritischen Infrastruktur. Gegen diese Risiken müssen wir uns seriös absichern. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Kontaktbeschränkungen, die der Expertenrat anspricht, haben wir bereits geschaffen.

Nachbarländer wie die Niederlande sind wieder im Lockdown. Kommt Deutschland an der Schließung von Schulen und Geschäften, an Ausgangssperren vorbei?

Buschmann: Der Gesundheitsminister hat dies vorerst ausgeschlossen. Wir setzen zudem stark auf unsere Booster-Kampagne. Sie hat bereits einen deutlich größeren Anteil der Bevölkerung erreicht als in anderen Ländern. Es ist die erfolgreichste Impfaktion in Europa.

Wir haben in den letzten Tagen durchschnittlich über eine Million Impfungen täglich gehabt. In einer dynamischen Lage wäre es jedoch falsch, bestimmte Maßnahmen ein für alle Mal auszuschließen. Für mich ist klar: Wir müssen alles tun, um einen erneuten Lockdown zu verhindern. Schulschließungen können nur Ultima Ratio sein.

Wie feiern Sie Weihnachten und Silvester?

Buschmann: Silvester gehört meiner Frau und mir. Da sind wir traditionell zu zweit. Weihnachten feiern wir diesmal wegen der Pandemie ebenfalls in sehr kleinem Kreis, nur zusammen mit meinen Schwiegereltern. Leicht fällt mir das nicht. Aber ich kann uns allen nur raten: Wir sollten jetzt unsere Kontakte einschränken. Und wir sollten uns regelmäßig testen.

Im neuen Jahr wird der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht entscheiden. Wie stimmen Sie ab?

Buschmann: Wir haben es hier mit einem sehr kon­troversen medizinethischen Thema zu tun. Da darf man es sich nicht zu leicht machen. Wir wollen deswegen nicht als Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen, sondern setzen auf fraktionsübergreifende Gruppenanträge, wie es das Parlament schon bei vergleichbaren Fragen wie der Sterbehilfe oder der Frage von Schwangerschaftsabbrüchen getan hat ...

Lesen Sie hier: Paragraf 219a soll abgeschafft werden - darum geht es

„Niemand soll gegen seinen Willen mittels physischen Zwangs geimpft werden“: Marco Buschmann im Justizministerium.
„Niemand soll gegen seinen Willen mittels physischen Zwangs geimpft werden“: Marco Buschmann im Justizministerium. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

... und verschleiern damit, dass die Ampel-Koalition keine Mehrheit hat.

Buschmann: Das sehe ich anders. Der Weg über die Gruppenanträge schafft mehr Akzeptanz und ist das angemessenere Verfahren. Solche Debatten gehören zu den Sternstunden des Parlaments. Das ist einer so schwierigen Frage angemessen. Ich persönlich werde mich erst entscheiden, wenn alle Anträge vorliegen.

Es gibt einen Antrag, der eine Impfpflicht ablehnt. Es wird sicherlich einen Antrag geben, der in Richtung einer allgemeinen Impfpflicht geht. Und es wird wahrscheinlich einen dritten Antrag geben, der mit einer nach dem Lebensalter gestaffelten Impfpflicht arbeitet. Details sind aber noch nicht bekannt.

Ein Ja zur Impfpflicht hieße, liberale Grundsätze über Bord zu werfen.

Buschmann: Die Behauptung übersieht eines: Wir befinden uns in einem Dilemma. Wir haben einerseits das Grundrecht auf körperliche Integrität. Jeder Mensch soll grundsätzlich selbst frei entscheiden, in welche medizinischen Eingriffe er einwilligt oder nicht. Wir sehen andererseits, dass Corona die körperliche Integrität vieler Menschen gefährdet und die persönliche Freiheit massiv einschränkt.

Klar ist: Niemand soll gegen seinen Willen mittels physischen Zwangs geimpft werden. Das wäre nach Ansicht vieler Juristen verfassungswidrig. Denkbar wäre es stattdessen, einen Verstoß gegen die Impfnachweispflicht als Ordnungswidrigkeit zu behandeln.

Als Sanktion kämen dann Bußgelder infrage. Denkbar wäre auch, bei der Bemessung die finanzielle Lage im Einzelfall zu berücksichtigen. Wir müssen allerdings auch weiter auf Aufklärung und Überzeugung setzen. Wir brauchen Überzeugungsstrategien für Menschen, die eine ausgeprägte Angst vor der Impfung haben.

Die Szene der Impfgegner radikalisiert sich. Was tun?

Buschmann: Morddrohungen oder im Netz verbreitete Feindeslisten sind gezielte Einschüchterungsversuche. Da sollen Menschen mundtot gemacht werden. Das verstößt gegen die Prinzipien der offenen Gesellschaft. Jeder soll grundsätzlich angstfrei seine Meinung sagen können.

Auch das Strafrecht ist hier eindeutig: Wer zu Gewalt aufruft, andere mit Mord bedroht oder Feindeslisten verbreitet, begeht eine Straftat. Dagegen müssen Polizei und Justiz in den Ländern entschieden vorgehen.

Wie gehen Sie mit der Onlineplattform Telegram um, die zu einem Forum von Corona-Leugnern und Extremisten geworden ist?

Buschmann: Telegram bietet offene Kanäle an und dient daher nicht nur der Individualkommunikation. Es ist insofern auch soziales Netzwerk und unterliegt den entsprechenden deutschen Regeln.

Danach muss Telegram einen Vertreter benennen, an den sich deutsche Behörden wenden können, um schnell Auskünfte zur Aufklärung von Straftaten zu erhalten. Die Durchsetzung ist in der Praxis bislang aber schwierig, denn das Unternehmen sitzt in Dubai. Wir legen die Hände aber nicht in den Schoß, sondern treiben die einschlägigen Verfahren weiter voran.

Zudem möchte die französische Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr den „Digital Services Act“ abschließen, der die Regeln für soziale Netzwerke in Europa harmonisiert. Auch das wird in Zukunft helfen.

Konkret?

Buschmann: Ein gemeinsames Vorgehen macht auf die Betreiber von Telegram mehr Eindruck, als wenn das jedes Land allein versucht. Beim Umgang mit dem IS ist es auf diese Weise gelungen, dass die Kanäle der Terrororganisation einfach abgestellt wurden.

Telegram will zudem mit Werbung Geld verdienen. Die Betreiber dürften also ein Interesse daran haben, weiterhin Zugang zum zahlungskräftigen europäischen Markt zu haben. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass wir Hass und Hetze beenden, wenn wir gegen Telegram alle Regeln durchsetzen. Radikale werden sich neue Wege und Plattformen suchen.

Wichtig ist deswegen, dass wir besser verstehen, wie und warum sich Menschen im Netz radikalisieren. Wir wissen noch zu wenig darüber. Daher hat mein Haus mehrere Forschungsaufträge dazu vergeben. Das Thema ist viel größer als Telegram.

Ermittler fordern mehr Zugriff auf Daten – auch um Kinderpornografie oder Menschenhandel besser verfolgen zu können. Bleibt die Vorratsdatenspeicherung für Sie tabu?

Buschmann: Ich lehne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab und möchte sie endgültig aus dem Gesetz streichen. Sie verstößt gegen die Grundrechte. Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert wird, dann fühlt sich niemand mehr frei.

Daher haben Gerichte die Anwendung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung immer wieder gestoppt. Mein Vorschlag lauter daher: Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.

Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der die Daten aller Bürgerinnen und Bürger gespeichert werden, soll das aber eben nur anlassbezogen bei bestimmten Personen erfolgen. Dieses Verfahren soll nur bei dem Verdacht auf das Vorliegen schwerer Straftaten möglich sein. Das wäre rechtsstaatlich sauber und würde den Ermittlern wieder ein Instrument für die Aufdeckung von Straftaten in die Hand geben. Das wäre ein Gewinn für Freiheit und Sicherheit zugleich.

Justizminister sind die natürlichen Gegenspieler der Innenminister. Wie kommen Sie mit Ihrer SPD-Kollegin Nancy Faeser klar?

Buschmann: Sie ist sympathisch und pragmatisch. Der Austausch funktioniert wunderbar. Wir haben uns schon viele SMS geschrieben. Als eines der ersten Projekte möchte ich mit Nancy Faeser eine Überwachungsgesamtrechnung auf den Weg bringen. Und wir wollen in dieser Wahlperiode die Sicherheitsgesetze unabhängig wissenschaftlich evaluieren. Es geht darum, die Bürgerrechte zu stärken.