New York/Berlin. Der US-Präsident tritt leiser auf als sein Vorgänger, wie jetzt vor den UN. Aber auch er setzt in vielen Punkten auf „America First“.

„Wir sind wieder zurück am Tisch der internationalen Gremien“: US-Präsident Joe Biden sang bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am Dienstag ein Loblied auf die Diplomatie und auf die Stärke der Bündnisse.

Er habe die „geheiligte Nato-Allianz“ wieder bekräftigt, so Biden. Der Präsident beschwor den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, die Corona-Pandemie und die globale Armut. Doch jenseits der Harmonie-Rhetorik: Bei einigen Themen knüpft Biden an den „America First“-Kurs seines Vorgängers Donald Trump an.

Afghanistan

In der Afghanistan-Politik bewegt sich US-Präsident Joe Biden auf der Linie von Donald Trump. Dieser hatte mit den Taliban den Abzug aller US-Truppen aus Afghanistan bis zum 1. Mai 2021 vereinbart. Biden setzte den Kurs fast eins zu eins um: Er datierte das Ende der Militärmission zunächst auf den 11. September, den 20. Jahrestag der Terroranschläge in New York und Washington.

Joe Biden verunglimpft die EU nicht als „Feind“ wie sein Vorgänger. Doch der generelle Grundsatz „America First“ gilt auch für ihn.
Joe Biden verunglimpft die EU nicht als „Feind“ wie sein Vorgänger. Doch der generelle Grundsatz „America First“ gilt auch für ihn. © AFP | EDUARDO MUNOZ

Später wurde die Frist auf Ende August vorverlegt. Die Verbündeten fühlten sich überrumpelt. Eine strategische Debatte fand nicht statt. Auch die Modalitäten des Abzugs wurden nicht besprochen. Der überhastete Rückzug beschleunigte die Machtübernahme der radikalislamischen Taliban.

Rolle des Weltpolizisten

Mit dem Afghanistan-Rückzug hat Biden eine epochale Wende der amerikanischen Außenpolitik vollzogen. Die Botschaft: „Nation Building“ ist passé. „Bei dieser Entscheidung geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, die Ära militärischer Operationen mit dem Ziel, andere Länder umzugestalten, zu beenden“, sagt Biden Ende August. Es klingt wie ein Echo auf Trump. Der hatte zu seinem Mantra erhoben, die „Zeit der endlosen Kriege“ abzuschließen.

China

Die Volksrepublik ist die Top-Priorität der US-Außenpolitik. Bidens Ziel ist es, den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg Pekings einzudämmen. Deshalb verstärken die USA ihre Flottenpräsenz im Südchinesischen Meer. In wirtschaftlicher Hinsicht setzen die Vereinigten Staaten auf den Boykott von Staatsfirmen aus dem Reich der Mitte.

„Wir werden sicherstellen, dass marktwirtschaftliche Demokratien und nicht China oder irgendwer sonst die Regeln des 21. Jahrhunderts für Handel und Technologie festlegt“, betonte Biden. Es werde „extremen Wettbewerb“ geben. Die Amerikaner bezeichnen ihre China-Politik als „Decoupling“ („Entkoppelung“). Es geht darum, jede ökonomische Abhängigkeit zu vermeiden, die Peking als politischen Machthebel einsetzen könnte.

Unter US-Präsident Donald Trump waren die Beziehungen zu Ländern wie Deutschland frostig.
Unter US-Präsident Donald Trump waren die Beziehungen zu Ländern wie Deutschland frostig. © AFP | Andrew Caballero-Reynolds

Das klingt hart, aber nicht so schrill wie Trumps Anti-China-Rhetorik. Der Ex-Präsident hatte seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping einen „Feind“ genannt. Zudem verhängte er Strafzölle gegen die Export-Großmacht. Trotz der weniger konfrontativen Tonlage Bidens warnen Skeptiker vor einer Fortsetzung der Trump-Agenda mit diplomatischeren Mitteln: Weniger lautstark, weniger plump – aber umso effektiver.

Bündnistreue zur Nato

Biden bekennt sich zwar zu Bündnissen wie der Nato. Ein Austritt aus der westlichen Militärallianz, wie ihn Trump 2017 noch angedroht hatte, ist für ihn tabu. Doch bei der Abstimmung mit den Partnern hakt es.

Dies zeigt sich nicht nur beim Afghanistan-Rückzug, sondern auch beim U-Boot-Streit im Indopazifik. Amerika, Großbritannien und Australien gaben vor einer Woche ein „Sicherheitsbündnis“ bekannt. Zugleich ließ Australien einen 56-Milliarden-Euro-U-Boot-Deal mit Frankreich platzen, zugunsten eines Geschäfts mit Washington und London. Die französische Regierung schäumte. Biden habe eine „brutale“ Entscheidung nach dem Motto „Amerika zuerst“ seines Vorgängers getroffen, polterte Außenminister Jean-Yves Le Drian.

Wirtschaft und Handel

Auch hier ist der Stil ein völlig anderer als unter Trump. Biden verunglimpft die EU nicht als „Feind“ wie sein Vorgänger. Doch der generelle Grundsatz „America First“ gilt auch für die Wirtschaft. Biden will die heimische Konjunktur durch eine mehrere Billionen Dollar schwere Finanzspritze wieder auf Trab bringen. Sein Leitmotto lautet, „Außenpolitik für die Mittelschicht“ zu machen.

Der US-Handel soll vor allem dem amerikanischen Kernland nützen. So ist im Konflikt um die von Trump erhobenen Schutzzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa keine schnelle Lösung in Sicht. Entspannungssignal: Die EU und die USA setzen für fünf Jahre Strafzölle aus, die sie wegen illegaler Subventionen für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing gegeneinander verhängt hatten.

Unterschiede zu Trump

Bidens Stil lässt sich in keiner Weise mit Trumps Elefant-im-Porzellanladen-Auftritten vergleichen. Seine Rhetorik ist versöhnlich und nicht polarisierend. Zudem bekannte er sich eindeutig zum Artikel 5 des Nato-Vertrags, wonach der Angriff auf ein Bündnismitglied die gesamte Allianz zum Beistand verpflichtet.

Auch kehrte Amerika unter Biden in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Weiterer Unterschied zu Trumps Kohle- und Stahl-Kurs: Die USA wollen bis 2050 klimaneutral werden.