Klixbüll. Bis zur Bundestagswahl ist nicht mehr viel Zeit, um das Image der Grünen wieder aufzupolieren. Wie Robert Habeck es schaffen will.

Robert Habeck konzen­triert sich auf seine Aufgabe. Die Augen leicht zusammengekniffen, die Stirn mit einer Hand gegen die Sonne abgeschirmt, schaut der Grünen-Chef abwechselnd in den Himmel und in seinen Schoß. Auf den Beinen hat er einen klobigen schwarzen Kasten mit Knöpfen und kleinen Steuerknüppeln. Was aussieht wie die Steuerung einer alten Videospielkonsole, kontrolliert einen riesigen Flugdrachen. 100 Quadratmeter Stoff schweben am Himmel über Schleswig-Holstein, wo sie die Energie des Windes einsammeln und nutzbar machen sollen.

Erst vorsichtig, dann sicherer drückt der Grünen-Chef Hebel, die den Drachen steuern, mal nach links, mal nach rechts. Der Drache sinkt und steigt, zieht Kurven. Normalerweise legt ein Computer die Flugbahn fest, optimiert für die Ausnutzung des Windes.

Robert Habeck muss Grüne aus Umfrageloch holen

Aber es kommt nicht alle Tage ein Grünen-Chef auf Wahlkampftour vorbei, deshalb darf Habeck die Kreise des Drachens bestimmen. Macht er nicht so schlecht, findet der Firmenchef. „Mit ein paar Stunden Übung können Sie blieben“, witzelt Stephan Wrage. Geht aber nicht, sagt Habeck. „Ich hab noch was vor, ich muss noch ein paar Prozente holen heute Abend.“ Das ist sein eigentlicher Job in diesen Wochen: Robert Habeck, frisch zurück aus dem Urlaub, muss seine Partei aus dem Umfrageloch holen, in das sie sich in den letzten Wochen gegraben hat.

Der Co-Vorsitzende der Grünen ist auf Wahlkampftour in seinem Heimatland Schleswig-Holstein. Zwei Wochen wird Habeck im Juli an der Küste unterwegs sein, wird Milchviehhalter treffen und Umweltschützer, wird auf Freilichtbühnen stehen und auf Wochenmärkten. Und eben an Windkraftanlagen.

Erster Stopp ist am Montag „Skysails“ in Klixbüll. Auf einem windigen Feld nahe der dänischen Grenze entsteht hier, hoffen die Macher, die Technik für die Windenergie der Zukunft. Der Lenkdrache, der am nordfriesischen Himmel Achter­figuren beschreibt, zieht bei seinem Aufstieg ein Seil nach oben, das an einen Generator gekoppelt ist. Die dabei erzeugte Kraft wird – stark vereinfacht – zu Strom. 200 Kilowattstunden könne man so produzieren, genug für 200 Haushalte, sagen die Betreiber. Geplant sind Anlagen im Gigawattbereich. Und es geht fast lautlos, ohne Windräder, mit einem Bruchteil der Ressourcen, die sonst für die Produktion von Windkraft nötig sind.

Der Grünen-Wahlkampf wurde bisher überschattet von Turbulenzen

Es sind genau die Themen und Ideen, über die die Grünen reden wollen in diesem Wahlkampf: Wie kann das Land zuverlässig mit billigem erneuerbarem Strom versorgt werden? Wo gibt es innovative Konzepte? An welchen Stellschrauben muss die Politik drehen?

Es sind freilich nicht die Themen, über die sie in den vergangenen Wochen reden mussten. Der Grünen-Wahlkampf, mit der Nominierung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin im April mit spektakulären Umfragewerten gestartet, ist in den vergangenen Wochen in heftige Turbulenzen geraten.

Zuerst waren da die wiederholten Korrekturen an Baerbocks Lebenslauf und nachgemeldete Einkünfte. Dann fanden Plagiatsjäger Stellen in ihrem Buch, die ganz offenbar aus öffentlich zugänglichen Quellen kopiert sind – mehr und immer mehr.

Mann im Kornfeld: Robert Habeck in Klixbüll auf seiner Wahlkampftour durch Schleswig Holstein.
Mann im Kornfeld: Robert Habeck in Klixbüll auf seiner Wahlkampftour durch Schleswig Holstein. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Vorwürfe gegen Annalena Baerbock: Habeck schwieg lange

Die Partei ruderte plötzlich zwischen Kommunikationsstilen hin und her, wirkte unkoordiniert und unvorbereitet auf die Härten des Wahlkampfs. Auch in den Umfragen schlug sich das nieder – zuletzt lagen die Grünen, die zwischenzeitlich die Union überflügelt hatten, unter 20 Prozent.

So heftig wurde der Sturm um ­Baerbock, dass sogar die Konkurrenz – unter anderem in Person von Innenminister Horst Seehofer und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz – sich für sie in die Bresche warf.

Und Habeck? Schwieg eisern. Kein Wort der Erklärung oder gar der Verteidigung seiner Co-Parteichefin, keine Absage an die zwischendurch zirkulierenden Szenarien, die Grünen könnten kurz vor der Wahl statt Baerbock ihn im Rennen ums Kanzleramt aufstellen.

Habeck statt Baerbock? Der Co-Chef wiegelt ab

Erst am Samstag, nach zwei Wochen der Funkstille, in denen die Kanzlerkandidatin und das Grünen-Team unter Dauerbeschuss standen, meldete er sich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ zurück, um Spekulationen, er könnte als Kanzlerkandidat eingewechselt werden, als „Kokolores“ zurückzuweisen.

„Tüddelkram“ seien diese Überlegungen, sagt Habeck auch am Montag. Die Aufstellung für den Wahlkampf sei gefunden, daran ist nichts mehr zu rütteln. Ansonsten bemüht er sich um Optimismus: Wo es nach unten gehe, gehe es bald – ganz wie beim Flugdrachen am Himmel – auch wieder nach oben. „Mal weht der Wind, mal weht er nicht.“ Lesen Sie auch: Baerbock: Das sind die Berater der Grünen-Kanzlerkandidatin

In Klixbüll jedenfalls gibt es Rückenwind. Firmenchef Wrage erinnert sich an die Unterstützung, die Habeck schon als Minister für das Projekt geleistet habe – und „ohne die es das hier nicht gäbe“. Bürgermeister Werner Schweizer wünscht gute Erholung, damit der Grünen-Chef das Megaprojekt Energiewende nach der Wahl angehen könne. Robert Habeck, machen beide deutlich, hat eine Aufgabe.