Berlin. Der Dresdner Tatort „Rettung so nah“ beschreibt ziemlich realistisch den Alltag von Rettungssanitätern, die unter Beschuss stehen.

„Wer denkt sich denn sowas aus“, stöhnt Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach), nachdem er sich am Dresdner Elbufer über den bereits bekannten Tatvorgang aufklären ließ: Während eines Einsatzes am frühen Morgen war der Rettungssanitäter Tarik Wasir in seinem RTW erst mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt, dann mit Kabelbindern am Lenkrad fixiert und mit einer Plastiktüte über dem Kopf erstickt worden.

Zu sehen war der Überfall im Fernsehen nicht, glücklicherweise. Es wären womöglich nur zwei weitere qualvolle (Todeskampf-)Minuten geworden. Denn das, was Schnabel gleich am Anfang sagt, lässt sich auch von dem gesamten „Tatort“ an diesem Sonntag behaupten: Der Fall ist kompliziert, überladen mit Nebenhandlungen, Andeutungen und bedeutungsschweren Blicken. Zudem ist der TV-Krimi atmosphärisch so belegt wie das Wetter: Sehr viel grauer Himmel, bedrückte Stimmung in Elbflorenz.

Schwierige Dreharbeiten beim Dresden-"Tatort"

Dass die Geschichte so trist erscheint, hat mehrere Gründe. Erst einmal waren die Dreharbeiten schwierig: Begonnen im kühlen März 2020, musste die Produktion wegen des ersten Lockdowns für mehrere Wochen unterbrochen werden. Als weitergearbeitet werden konnte, war schon der Frühling da – und mit ihm neue Probleme, wie anderes Licht, andere Kostüme, zusätzliche Hygieneauflagen.

Weshalb dann ausgerechnet eine „grassierenden Grippe“ ins Drehbuch kam, bleibt irritierend. Für die Geschichte von „Rettung so nah“ ist diese Nebenhandlung entbehrlich. Aber bei triefenden Nasen, Fieber, Erschöpfung und Husten dachte auch im letzten Frühsommer schon jeder nur noch an Corona. Es anders zu nennen, wird doch wohl nicht eine vertrackte Anspielung auf das „Tal der Ahnungslosen“ gewesen sein, in dem Dresden bis zum Mauerfall redensartlich lag?

Wegen dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte der MDR die Dreharbeiten zum
Wegen dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte der MDR die Dreharbeiten zum "Tatort" aus Dresden unterbrochen. © MDR/Hardy Spitz | MDR/Hardy Spitz

Dresdner Empfindlichkeiten kommen im "Tatort" zu kurz

Mit Isabel Braak (Regie), Christoph Busche (Drehbuch) und Lars Liebold (Kamera) standen zumindest gleich drei „Tatort“-Neulinge an entscheidender Stelle. Alle drei haben zwar ausgiebig andere TV-Krimi-Erfahrung. Aber sie kommen ausnahmslos aus Nord- bzw. Süddeutschland und kannten die speziellen Dresdner Empfindlichkeiten offenbar nur vom Hörensagen.

Gemeint ist vor allem das empfindliche Verhältnis zwischen den beiden Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie „Leo“ Winkler (Cornelia Gröschel), das immer noch erstaunlich wenig Entwicklungspotential zeigt.

Von Beginn ihrer Zusammenarbeit an, waren sie nicht gerade innigste Kolleginnen. Wer den Dresdner „Tatort“ kennt, wird die Folge „Das Nest“ aus dem April 2019 erinnern, wo durch einen Fehler der „Neuen“ Winkler die Kollegin Gorniak schwer mit einem Messer verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Drei abgeschlossene Folgen weiter, in „Parasomnia“ vom November 2020, haben sich beide zwar endlich ausgesprochen und versöhnt. Nun zeigt sich aber, dass längst noch nicht alles gut ist. Zwischen ihnen steht immer noch die alte Geschichte. Noch einmal muss sich Winkler bei ihrer Kollegin ausdrücklich entschuldigen, diesmal weil sie sie niemals im Krankenhaus besuchte. Gibt es denn darüber heraus nichts, was sie inzwischen verbinden könnten? Auch in ihrem fünften gemeinsamen Fall fehlt den Oberkommissarinen ein eigenes, unverwechselbaren Profil.

Das Verhältnis von Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie „Leo“ Winkler (Cornelia Gröschel) bleibt trotz guter Möglichkeiten weiter blass.
Das Verhältnis von Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie „Leo“ Winkler (Cornelia Gröschel) bleibt trotz guter Möglichkeiten weiter blass. © MDR/MadeFor/Hardy Spitz | MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Dresden-"Tatort" kann vor allem mit dem Setting punkten

Am interessantesten an diesem Dresdner „Tatort“ ist noch das ungewohnte Setting, in dem der Mord geschieht (sowie zwei weitere Mordversuche). Rettungssanitäter standen bisher selten im Mittelpunkt eines Krimis. Man kennt ihre gefährlichen, nervenaufreibenden Einsätze höchstens aus US-amerikanischen TV-Serien wie „Chicago Fire“. Oder aus dem spanischen Netflix-Drama „The Paramedic“, das einen invaliden Sanitäter auf Rachefeldzug zeigt.

In “Die Rettung so nah“ aber ist der unspektakuläre Alltag der Erstversorger ziemlich aktuell recherchiert und realistisch abgebildet: Die Sanitäter sind in der Regel jung und ihren „Kunden“ zugetan, dazu Tag und Nacht im Schichteinsatz unterwegs. Trotzdem werden sie neuerdings beschimpft und bedroht.

Dabei wollen sie helfen – im Film wie in der Wirklichkeit. Die neueste Polizeistatistik zählt für 2019 aber mehr als 1.500 körperliche Übergriffe, die in Deutschland auf Rettungsassistenten und Feuerwehr verübt wurden. Das sind durchschnittlich mehr als vier pro Tag. Und die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, denn verbale Angriffe kommen gar nicht mehr zur Anzeige.

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"Tatort" zeigt realistische Einsätze von Rettungssanitätern

Auch wie vielseitig und flexibel die Sanitäter reagieren müssen, macht dieser „Tatort“ durch die zwar ungewöhnlichen, aber doch mehr oder weniger alltäglichen medizinischen Notfälle klar. Wie zum Beispiel bei den stark blutenden, entzündeten Füßen der Obdachlosen. Das ist eine häufige Folgeerkrankung von Diabetes: Der erhöhte Blutzuckerwert schädigt die Nerven, wodurch die Schmerz- und Druckempfindung abnimmt. Das wiederum führt dazu, dass Verletzungen und kleinere Wunden an den Füßen lange Zeit nicht bemerkt werden und sich entzünden.

Oder der Anaphylaktischen Schock eines Kindes, das zu ersticken drohte: Sind bei einer allergischen Reaktion die Atemwege durch eine Kehlkopfschwellung blockiert, wird intubiert, also ein „Beatmungsrohr“ in die Luftröhre geschoben. Als das misslang, hätte die Rettungssanitäterin Greta Blaschke (Luise Aschenbrenner) „zur Abwendung der lebensbedrohlichen Atemnot“ nur noch eine Koniotomie (Luftröhrenpunktion) durchführen können, bei der mit einer Hohlnadel die Haut und das weiche Band des Kehlkopfes durchstochen wird.

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