Silverstone. Der Ferrari-Pilot scheint in der Formel-1-WM abgehängt. Auch wenn er es selbst zu verdrängen versucht: Unter Druck macht Vettel zu viele Fehler.

Eine Lücke, die dann doch keine war. Ein spektakulärer Dreher zweier Formel-1-Rennwagen. Eine logische Strafe. Ein drittletzter Platz beim Großen Preis von Großbritannien. Sebastian Vettel hat in dieser 37. Runde mehr verloren als nur die Kontrolle über seinen Ferrari, der in das Heck von Max Verstappen krachte. Es ist wohl der Crash seiner Titelhoffnungen. Zum wiederholten Mal.

100 Punkte Rückstand in der WM auf den Tabellenführer Lewis Hamilton, der nach seinem 80. Sieg in der Form seines Lebens ist. Das sind vier Siege Rückstand bei noch elf Rennen. Und jetzt kommt Hockenheim. Im badischen Motodrom begann vor einem Jahr die Fehlerserie, als Vettel in Führung liegend auf nasser Strecke von der Piste rutschte und Rivale Hamilton von Rang 14 aus zum Triumph fuhr und anschließend gleich durch zum fünften Titel. „Ein kleiner Fehler mit großen Auswirkungen“, erinnert sich der Heppenheimer, „das hat sehr weh getan.“ Lädierte Frontflügel kann man austauschen, die Seele eines Rennfahrers und die Stimmung in einem Rennstall nicht. Der 32 Jahre alte Hesse besitzt seinen eigenen Verdrängungsmechanismus: „So ist das mit dem Rennfahren. So wunderschön es sein kann, so grausam ist es manchmal.“

Unter Druck macht Vettel Fehler

In der Begründung der Rennkommissare, die dem Unfallverursacher zehn Sekunden Zeitstrafe und zwei Strafpunkte aufbrummten, liest sich der Vorfall distanziert: „Beim Auto mit der Startnummer fünf blockierten die Vorderräder während des Bremsvorgangs. Deshalb krachte es ins Heck des Autos mit der Startnummer 33.“ Vettel hatte sich beim Versuch, im Kampf um Platz drei wieder am Red-Bull-Honda vorbeizukommen, einfach beim Spurwechsel und beim Bremsen verschätzt: „Das war schon doof, es geht auf meine Kappe. Ich sah eine Lücke, wo dann keine mehr war. Ich habe mein Rennen selbst zerstört.“ Dafür hat er sich nach dem Rennen sofort beim Niederländer entschuldigt. Das, was unter dem Strich bleibt, ist die Feststellung: Unter Druck macht der vierfache Weltmeister zu viele Fehler.

Ähnlich große Auswirkungen wie in der WM-Tabelle hat das Ergebnis auch intern. Zum dritten Mal in Folge lag sein Widersacher Charles Leclerc vor ihm, bis auf drei Pünktchen ist der Monegasse jetzt an dem beim Ferrari an Nummer eins gesetzten Vettel heran gekommen. Leclercs Duell mit Verstappen war über zehn Runden hinweg die packendste Auseinandersetzung der ganzen Saison. Aus allem zusammen schöpft der 21-Jährige natürlich die Hoffnung, dass die Scuderia die Stallorder zu Gunsten seines Teamkollegen lockert, oder vielleicht ganz aufgibt. „Zu Beginn der Saison hat Sebastian mehr profitiert, aber ich denke, es wird immer alles mit Blick auf das Wohl des ganzen Teams entschieden“, antwortet Leclerc höflich – und dennoch fordernd – auf die Frage nach einer Wachablösung. Ein Fall für den Gleichstellungsbeauftragten Mattia Binotto, der immer noch auf seinen ersten Sieg als Ferrari-Teamchef wartet. In Italien werden die Sympathien schon seit Vettels Patzer im Duell mit Hamilton im zweiten Rennen des Jahres in Bahrain mehr und mehr in Richtung des Junior-Partners verschoben.

Erinnerungen an letzte Red-Bull-Saison

Leclerc kommt mit dem SF 90 H besser zurecht als Vettel, der vor allem über eine nervöse Hinterachse klagt, die einfach nicht zu seinem Fahrstil passen mag. Die Schwierigkeiten erinnern stark an das Abschiedsjahr Vettels bei Red Bull Racing, als dieser sieglos geblieben war und das Nachsehen gegen das Talent Daniel Ricciardo hatte – am Ende der Saison wechselte er frustriert zu Ferrari. Einen Vergleich, den er selbst für nicht zulässig hält, die Sachlage sei eine andere gewesen damals. Insgesamt sei er nicht in Sorge, behauptet Vettel. Aber man spürt förmlich, wie der Misserfolg an ihm nagt. Gebeten, seine bisherige Saison in einem Wort zu beschreiben, lässt er sich das Wort „Sch.....“ nicht in den Mund legen. Er grinst nur und sagt dann: „Schwierig.“

Vettel weiß: Es kommt nur auf ihn selbst an

Vielleicht tut es Vettel, der sich wie kaum ein anderer in der Formel 1 über den Respekt definiert, dass sein Widersacher Lewis Hamilton ihn noch nicht abschreiben will: „Er ist einer der Großen dieses Sports. Er wird stärker zurückkommen, davon bin ich überzeugt. Denn das machen großartige Athleten so.“ Den direkten Zweikampf mit dem WM-Vierten vermisst der Triumphator, der auf dem besten Weg ist, jene Rekordmarken zu setzen, die Vettel sich mit Ferrari erhofft hatte, allerdings nicht: „Für so etwas bin ich nicht der Typ. Ich vermisse eher meine Hunde und solche Dinge.“

Umgekehrt ist die Sehnsucht eine deutlich größere. Hamilton kann minutenlange Monologe darüber halten, welch unglaubliches Vertrauen er in seinen Rennwagen und sein Team habe, und wie dieses sein eigenes Selbstwertgefühl beeinflusst. Das Bewusstsein bei Sebastian Vettel ist ein anderes: er spürt, es kommt jetzt vor allem auf ihn selbst an. Das erhöht den Druck noch weiter.