London. Schweizer Tennisprofi Roger Federer schlägt im Halbfinale von Wimbledon Rafael Nadal. Im Finale geht es gegen Novak Djokovic.

Es liegt im Wesen eines Gigantenduells, dass sich einer der Riesen am Ende wie ein Zwerg fühlen muss. Am Freitagabend war dies bei den All England Championships der Spanier Rafael Nadal (33/Nr. 2 der Welt), der im Halbfinale gegen seinen Dauerrivalen Roger Federer (37/Nr. 3) das Nachsehen hatte. Der Schweizer Grand-Slam-Rekordsieger gewann nach 3:03 Stunden Spielzeit mit 7:6 (7:3), 1:6, 6:3, 6:4 und steht zum zwölften Mal im Wimbledon-Endspiel.

Dort wartet am Sonntag (15 Uhr MEZ/Sky) der serbische Weltranglistenerste Novak Djokovic, der im direkten Vergleich mit 25:22 in Führung liegt. Zuletzt traf man sich im Herbst 2018 beim Hallenmasters in Paris, Djokovic siegte 7:6, 5:7, 7:6. „Ich bin sehr glücklich, dass ich es hier wieder ins Finale geschafft habe. Rafa zu besiegen ist immer etwas Besonderes, er hat mir alles abverlangt. Gegen Novak wird es am Sonntag aber nicht einfacher“, sagte Federer.

Der Titelverteidiger wackelt nur einen Satz lang

Der Titelverteidiger wackelte am Freitag – aber nur einen Satz lang. Als sein Gegner Roberto Bautista Agut nach 2:49 Stunden Spielzeit den fünften Matchball nicht mehr abwehren konnte, sondern mit einer Vorhand am Netz hängen blieb, dankte der 32-Jährige, die Arme gen Himmel erhoben, höheren Mächten. Djokovic gewann mit 6:2, 4:6, 6:3 und 6:2 gegen den Spanier (31/Nr. 22) und zog zum sechsten Mal in seiner Karriere ins Wimbledon-Endspiel ein, das er viermal gewann. „Hier erneut im Finale zu stehen, ist ein großer Traum. Ich werde es sehr genießen. Roberto hat nach dem ersten Satz sehr stark gespielt, es war ein hartes Stück Arbeit für mich“, sagte der 15-fache Major-Sieger.

Duell zweier Ausnahmesportler

Das war es zweifellos auch für die Protagonisten des zweiten Semifinales. „In Pursuit of Greatness“ – im Streben nach Größe: So lautet das Motto, mit dem Wimbledon wirbt. Für Nadal und Federer gilt das kaum, mit insgesamt 38 Grand-Slam-Titeln, die beide fast brüderlich untereinander teilen (20:18 für Federer), werden sie maximal von Djokovic einzuholen sein. Sie streben nicht danach, die Größten zu sein, sie sind es schon. Und an das epische Finale von 2008, bei dem sie sich in ihrem letzten Aufeinandertreffen an der Church Road über fünf Sätze und 4:48 Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit aneinander abgearbeitet hatten, reichte das 40. Duell dann tatsächlich auch fast heran.

Federer überraschend offensiv

Im ersten Durchgang sah es allerdings so aus, als seien beide bestrebt, dieses Mal im Sonnenschein den Court zu verlassen. Das Tempo hoch, die Aufschlagspiele perfekt; so musste vor 14.979 Zuschauern auf dem ausverkauften Center-Court – darunter der Hamburger Wimbledon-Champion von 1991, Michael Stich, in der Royal Box – der Tiebreak entscheiden. Federer, der kaum überraschend offensiver agierte und öfter ans Netz ging, siegte 7:3.

Der Satzverlust indes schien den Mallorquiner, der 2008 und 2010 in Wimbledon triumphieren konnte, anzutreiben. Nadal erhöhte sein Aggressivitätslevel von der Grundlinie, schaffte das erste Break des Matches zum 3:1 und ließ sich diese Führung vom nun schwächer aufschlagenden und weniger präzise agierenden achtfachen Wimbledon-Sieger nicht mehr streitig machen.

Federer erholt sich von einem klaren Satzverlust

Sich von einem 1:6 schnell zu erholen, schaffen nicht viele; Federer gelang es mit der Leichtigkeit, die sein Spiel über all die Jahre zum Meisterwerk erhoben hat. Als er seinen ersten Breakball im dritten Durchgang zum 3:1 nutzte, wurde auf den Rängen gefeiert, als hätten Englands Fußballer einen EM-Titel gewonnen. Und als der „Maestro“ im darauffolgenden Spiel zwei Breakbälle abwehrte, war England gefühlt Weltmeister. Je zwei erfolgreiche Aufschlagspiele später war es nach Federers 6:3-Satzgewinn das Match, auf das die Tenniswelt hingefiebert hatte.

Nadal wagte unter dem Druck des Rückstands viel, ihm gelangen sehenswerte Gewinnschläge mit der cross gespielten Rückhand. Doch es war Federer, der in den entscheidenden Phasen die noch etwas bessere Antwort wusste. Er nahm dem Spanier den Aufschlag zum 2:1 ab, blieb bei seinem eigenen Service stabil und verwandelte schließlich seinen fünften Matchball zum 16. Sieg im 40. Aufeinandertreffen mit Nadal.

Im Finale scheinen Federer die Sympathien des Publikums sicher

Die Sympathien des Publikums dürften im Finale eindeutig zugunsten Federers verteilt sein. Djokovic wird, das war in den vergangenen 14 Tagen zu spüren, respektiert für seine Leistungen, geliebt aber wie seine beiden größten Gegenspieler wird er nicht. Das mag auch daran liegen, dass der frühere Schützling des deutschen Tennisidols Boris Becker (2013 bis 2016) bisweilen von Arroganz-Attacken geplagt wird. Dass er bei klaren Vorsprüngen versucht, den Gegner noch vorzuführen, kommt nicht nur im außenseiter-verliebten England schlecht an.

Dennoch versuchte er in diesen Tagen, betont zurückhaltend und bescheiden aufzutreten. Auf die immer wiederkehrende Frage nach den Gründen für die Dominanz der großen Drei ordnete er sich bewusst hinter Nadal und Federer ein. „Ich bin mir der großen Ehre und Besonderheit bewusst, dieser Generation angehören zu dürfen. Roger und Rafa inspirieren mich und treiben mich zu den Leistungen an, die ich bringen muss, um weiter dazuzugehören. Ohne sie wäre ich nie dort angekommen, wo ich jetzt bin“, sagte er.

Am Sonntag darf er wieder einmal beweisen, dass er den beiden immerhin spielerisch in nichts nachsteht.