Samara/Sotschi. Seit der WM 1986 brachte die belgische Fußball-Nationalmannschaft nicht mehr einen solch vielversprechenden Kader zu einem Turnier.

Sie sah verdammt trostlos aus: Die Plastiktüte, die Kevin De Bruyne nach dem letzten WM-Spiel der belgischen Nationalmannschaft durch eine stickige Mixed Zone trug, in der der Rotschopf aus lauter Enttäuschung jeden Kommentar verweigerte. Die Augen waren immer noch gerötet, so viele Tränen hatte der begabte Hochgeschwindigkeitsfußballer bereits auf dem Rasen des nach dem brasilianischen Weltmeisters Mané Garrincha benannten Nationalstadions von Brasilia nach einer 0:1-Niederlage gegen Argentinien vergossen.

Head-to-Head: Belgien vs. Panama

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    Der Traum der Roten Teufel, vielleicht mit ihrer vielversprechenden Rasselbande das zweite Male nach 1986 in ein WM-Halbfinale zu kommen, war im Viertelfinale vor vier Jahren geplatzt. Der Gegner war damals gewiss nicht besser, sondern schlicht cleverer. „Die Argentinier haben unseren Rhythmus zerstört, sie haben 45 Sekunden für einen Einwurf gebraucht. Ich habe ein sehr gewöhnliches Team gesehen“, sollte Marc Wilmots in der Pressekonferenz auf den späteren Finalisten schimpfen und ihm jede Titelreife absprechen.

    Martinez lässt sich Cruyff und Guardiola inspirieren

    Seit dem besagten 5. Juli 2014 ist viel passiert. Einer wie De Bruyne spielt nicht wie damals noch für den VfL Wolfsburg, sondern für Manchester City. Und einer wie Wilmots ist, nachdem sich bei der EM 2016 die feinen Risse zwischen Trainer, Mannschaft und Medien sich zu unüberbrückbaren Gräben auswuchsen, die in ein peinliches Viertelfinalaus gegen Wales (1:3) mündeten, durch Roberto Martinez ersetzt. Ihn hatte bei der Nachfolgesuche niemand so recht auf dem Zettel, aber einen Gegenentwurf zum leutseligen, impulsiven, aber auch reizbaren „Kampfschwein“ Wilmots zu installieren, war gewiss nicht verkehrt.

    Der 44-jährige Martinez wird als Fußball-Intellektueller beschrieben, der sich von Johan Cruyff oder Pep Guardiola inspirieren ließ, der immerhin sieben Jahre in der Premier League zubrachte und mit Wigan Athletic vor fünf Jahren mal sensationell den FA-Cup gewann. Seine taktische Expertise ist anerkannt. Ein Vorwurf, der Wilmots ja immer wieder erreichte. Überdies gilt Martinez für die Flamen und Wallonen ein recht passender Kosmopolit. Gebürtiger Spanier, aber verheiratet mit einer Schottin, die gemeinsame Tochter ist Engländerin.

    „Bei der WM wird ein Großteil meiner Familie England unterstützen“, hat Martinez im Vorlauf des Turniers in Russland verlauten lassen, was direkt in den Interessenskonflikt und die Konstellation in Gruppe G mündet, in der nach dem Auftaktgegner Panama am Montag (17 Uhr MESZ/ARD) und Tunesien (23. Juni) eben auch die Engländer (28. Juni) als Gegner warten. Bestenfalls haben sich aber zwei hoch eingeschätzte europäische Teams dann bereits fürs Achtelfinale qualifiziert und können durchrechnen, ob sie im Viertelfinale beispielsweise auf Deutschland treffen können.

    Hoffen auf guten Turnierstart

    Weil aber Hochmut bekanntlich zu Fall kommt, waren aus dem noblen belgischen Teamquartier im Moscow Country Club, 35 Kilometer von der Hauptstadt entfernt in einem Waldgebiet gelegen, viele demütige Töne zu vernehmen. Richtig weit blickten meist nur außenstehende Experten voraus, die in dem Starensemble schon mehr als einen Geheimfavoriten sehen. Es gibt nicht wenige, die halten die Generation um Romelu Lukaku, Eden Hazard oder Alex Witsel für befähigt, sogar einem Weltmeister das Stoppschild unter die Nase zu halten.

    Aber gemach, gemach. Zunächst geht es darum, einen guten Start ins Turnier zu erwischen. „Das Spiel ist für uns besonders wichtig“, beteuert Martinez. Wer aber bei seinen Generalproben die WM-Teilnehmer Ägypten (3:0) und Costa-Rica (4:1) mühelos debütiert, der sollte doch auch in Sotschi mit Panama keine Probleme bekommen, selbst wenn mit Thomas Vermaelen und Vincent Kompany zwei Abwehrstützen verletzt fehlen.

    „Er steht vielleicht für unser drittes Spiel zur Verfügung“, sagte der Trainer am Samstag auf einer Pressekonferenz. Noch immer hat der 32 Jahre alte Kompany eine hartnäckige Leistenverletzung nicht gänzlich ausgeheilt. Weil Martinez in einem 3-4-2-1-System spielen lässt, ist die Abstimmung unter den Abwehrspielern besonders wichtig. Gegen den Außenseiter sollte aber zuvorderst die Offensivabteilung auftrumpfen, in der Mittelstürmer Lukaku mit seinem Abschluss, Hazard mit seinem Tempo und De Bruyne mit seiner Technik eigentlich jeden Gegner beeindrucken können. Nur damals vor vier Jahren in Brasilien reichten die Komponenten noch nicht.