Leipzig. Der Generationenwechsel hat längst begonnen im DFB-Team. Wo die Jungen schon die Alten abgelöst haben und wo es bevorsteht:

Jerome Boateng arbeitet jetzt im Spätkauf. Es handelt sich hier zwar nicht um eine berufliche Umschulung des bayrischen Innenverteidigers, sondern eher um eine Werbeaktion. Aber der Sonntagabend, als der 30-Jährige in einem Kreuzberger Kiosk selbst hinter der Kasse stand, um sein frisch auf den Markt gebrachtes Sport-, Lifestyle- und Musik-Magazin „Boa“ anzupreisen, erzählt dennoch etwas Grundlegendes: über Boateng und den deutschen Fußball. Beide befinden sich auf der Schwelle. Der eine vom Profi zur reinen Lifestyle-Ikone. Der andere von der Vergangenheit mit den alten Helden zu einer Zukunft ohne sie.

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Während Boateng an seiner Karriere abseits des Rasens werkelte, reiste sein sieben Jahre jüngerer Bayern-Kollege Niklas Süle (23) einen Tag später zur deutschen Nationalelf nach Leipzig, wo er am Donnerstag auf Russland trifft (20.45 Uhr/RTL). Bundestrainer Joachim Löw hat erstmals freiwillig auf die Dienste Boatengs verzichtet. Obwohl dieser am Sonnabend im Spitzenspiel gegen Dortmund in der Startelf stand – statt Süle. Aber Löw ist zur Überzeugung gelangt, dass es nach dem WM-Debakel und der Verlängerung bis zur Nations-League-Pleite gegen die Niederlande vor einem Monat (0:3) einer Wachablösung bedarf.

„Bei uns ist jetzt die Zeit gekommen, dass wir junge Spieler einbauen, Platz für sie schaffen“, sagte der 58-Jährige. Boateng erhalte „eine Pause, weil wir auf seiner Position junge Spieler haben“, so Löw. Neben Süle und dem Etablierten Mats Hummels (29) stehen noch der Leverkusener Jonathan Tah (22), der Gladbacher Matthias Ginter (24) und der Londoner Antonio Rüdiger (25) als Innenverteidiger im Aufgebot. Auch der Pariser Allrounder Thilo Kehrer (22) versteht sich als solcher.

Schleichendes DFB-Ende für Boateng?

Dass aus der Pause ein schleichendes Ende der Karriere Boatengs in der Nationalelf werden könnte, ist durchaus wahrscheinlich. Auch wenn Nationalelf-Direktor Oliver Bierhoff am Dienstag in Leipzig eine Rückkehr nicht ausschloss: „Solange jemand seine Leistung abruft, kann er jederzeit wieder für die Nationalelf nominiert werden“, sagte Bierhoff.

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Wie schon bei Sami Khedira, den Löw nach der WM leise aussortierte, vermeiden sie beim DFB Endgültiges: „Es gibt zu keinem Spieler finale Aussagen“, so Bierhoff. Aber der 50-Jährige bekräftigte, dass sich nach der Erfahrung vom Spiel gegen Frankreich (1:2) im Oktober, als Deutschland mit einer verjüngten Elf erfrischend auftrat, etwas Größeres tut. Er nannte es selbst „Umbruch“. Bierhoff sagte: „Wir wollen unser Gesicht ändern. Wir wollen den jungen Spielern mehr Chancen geben. Sie haben gegen Frankreich gezeigt, welches Potenzial in ihnen steckt. Wir wissen aber auch, dass es ein Prozess ist.“

Der Prozess ist auf manchen Positionen weiter fortgeschritten als auf anderen. Torwart Manuel Neuer (32) etwa, der nicht mehr so heldenhaft wirkt wie früher, bleibt trotz der herausragenden Konkurrenz von Marc-André ter Stegen noch unbehelligt. „Ich bin in einer guten Form und mit mir im Reinen“, sagte Neuer am Dienstag. Ter Stegen hat wegen Schulterbeschwerden abgesagt. Vor Neuer nimmt Süle Boatengs Platz ein und dürfte in der Innenverteidigung der Mann der Zukunft sein.

Die neue Angreifer-Generation steht bereit

Besonders augenscheinlich ist die beginnende Wachablösung auf den Offensivpositionen. Der Leipziger Timo Werner (22) hat längst die Sturmführerschaft übernommen. Leroy Sané (22) konnte gegen Frankreich erstmals im Nationaltrikot überzeugen. „Man hat gesehen, dass wir jungen Spieler zuletzt mehr Einsatzzeit bekommen haben. Gegen Russland können wir uns jetzt beweisen und etwas mehr Druck ausüben“, sagte der Flügelspieler von Manchester City.

Druck auf die Etablierten wie Thomas Müller (29). Auch Serge Gnabry (23) wusste gegen Frankreich zu gefallen. Dazu kommen der Leverkusener Julian Brandt (22) und der Münchner Leon Goretzka (23). Es ist also der Jahrgang der 1995/1996-Geborenen, der das Gerüst der Zukunft bilden wird. Löw dürfte den Test gegen Russland nutzen, um zu schauen, wie belastbar es heute schon ist.