Leipzig. Die Tickets für die Spiele gegen Russland und die Niederlande sind bisher Ladenhüter. Kaum einer mag die Löw-Elf live im Stadion sehen.

Als es am Ende darum ging, ein gemeinsames Foto zu erstellen, fehlte so ganz viel nicht mehr bis zum Tumult. Die Schüler der 94. Oberschule in Leipzig stürmten aus dem Auditorium der Aula auf die Bühne, wo Julian Brandt („Ohmeingott“) saß. Und Timo Werner. Und Manuel Neuer. Und Leroy Sané („Ohmeingott, ohmeingott“). Und ein vergleichsweise älterer Herr namens Oliver Bierhoff, der seine Tore schoss, als diese Kinder noch längst nicht geboren waren. Heute hat er den Rang des Direktors im Deutschen Fußball-Bund inne und freute sich sichtlich über die schönen Bilder, die da entstanden. Bilder von der Nähe zur Basis, von der Nähe zu den Fans.

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Bilder, wie sie der viele Monate lang zu hoch fliegenden Nationalmannschaft nach dem Absturz bei der Weltmeisterschaft in Russland gerade sehr gut tun. Am Nachmittag besuchten die Spieler in Kleingruppen noch ein paar heimische Fußball-Vereine. Auch: schöne Bilder. Alles wie geplant.

„Wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir in Kontakt mit Fans, mit Jugendlichen und Kindern treten können und wollten es mal anders machen: Nicht, dass die Fans zu uns kommen, sondern wir zu den Fans“, sagt der Herr Bierhoff oben auf der Bühne, wo er nur wegen einer Planänderung Platz nahm. Denn eigentlich war eine öffentliche Trainingseinheit am Dienstagvormittag in Leipzig vorgesehen gewesen. Möglich aber, dass dann doch in der vergangenen Woche auffiel, dass der Termin nicht so ganz überragende Resonanz hervorruft, weil die Kinder zu der Zeit in der Schule und viele Erwachsene bei der Arbeit sein könnten. Leere Ränge braucht keiner. Doch so sieht im Spätherbst des Jahres 2018 die Realität dieser Nationalmannschaft aus.

DFB-Tickets entpuppen sich als Ladenhüter

Begegnungen mit den Stars rufen gerade in der jüngeren Bevölkerung zwar noch immer größte Verzückung hervor (Ohmeingott“). Aber zum Spiel gehen? An einem Donnerstagabend (20.45 Uhr / RTL live) zum Beispiel, wenn es in einem Freundschaftsspiel gegen Russland geht? Viel Geld bezahlen? Möglicherweise schlecht unterhalten werden? Nö, lieber nicht.

Karten für diese Partie entpuppen sich bisher als Ladenhüter. Erst knapp 30.000 der verfügbaren 42.000 Tickets waren am Dienstagmittag verkauft. Deutschland droht die große Leere. Viel besser gehen selbst die Eintrittskarten für die Nations-League-Partie vier Tage später in Gelsenkirchen gegen den Erzrivalen Niederlande nicht weg. Und das obwohl es dann – bestenfalls für die deutsche Mannschaft – noch gegen den Abstieg aus der Gruppe A des neu geschaffenen Wettbewerbs geht. Hier sind etwa 38.000 Karten verkauft, das Stadion bietet bei internationalen Spielen aber Platz für fast 55.000. Bereits im September beim Test gegen Peru konnte die vergleichsweise niedliche Arena in Hoffenheim (26.000) erst in letzter Sekunde als ausverkauft gemeldet werden konnte.

„Wir spielen immer gern vor vollem Haus, in Leipzig war immer gute Stimmung, das wissen wir seit dem Confed-Cup 2005“, erinnert sich Bierhoff. Damals spielte die DFB-Elf gegen Mexiko um Platz drei. Ausverkauft war‘s. Dieses Mal vermutlich nicht. Bundestrainer Joachim Löw und seine Spieler ziehen nicht mehr.

Leipzig dürstet nicht nach Fußball wie früher

„Das hängt natürlich mit uns zusammen, weil unsere Leistungen gerade in den letzten sechs Monaten nicht zufriedenstellend waren“, sagt Bierhoff und untertreibt auf gerade noch zulässige Weise. Erstmals in der Geschichte des Verbandes schied die Vorzeigemannschaft in der Vorrunde einer WM aus, erstmals in der Geschichte des Verbandes gab es sechs Niederlagen in einem Kalenderjahr.

Aber es gibt auch andere Entwicklungen, die es schwer machen, die Menschen von sich zu überzeugen – selbst in Leipzig, wo der DFB im Jahre 1900 gegründet wurde. Die Rasenballsportler bieten dort mittlerweile jede Woche Bundesliga und auch regelmäßig internationalen Fußball. Die Stadt dürstet nicht nach Fußball wie früher einmal. Überhaupt dürstet heutzutage kaum noch jemand nach Fußball wie früher einmal.

„Es läuft viel Fußball im Fernsehen“, sagt Bierhoff, „und auch aufgrund der Anstoßzeiten“, die vom europäischen Verband Uefa in Absprache mit den übertragenden Fernsehsendern festgelegt würden, sei es schwierig. „Natürlich machen wir uns Gedanken über die Ticketpreise“, sagt der DFB-Direktor. Die regulären Tickets kosten 25 bis 80 Euro. Eine Familie mit zwei Kindern zahlt mindestens 64 Euro für den Abend – bei ungewissem Spaßfaktor. „Für uns heißt es“, sagt Oliver Bierhoff, „mit begeisterndem Fußball wieder Lust auf die Nationalmannschaft zu machen.“ Schöne Bilder wären das in Leipzig.