Amsterdam. Nach dem 0:3 von Amsterdam wartet der DFB jetzt das Frankreich-Spiel und das Holland-Rückspiel ab. Aber der Druck wächst.

Solche Nächte sollten eigentlich der Vergangenheit angehören. Nächte, in denen alles in Zweifel gezogen werden muss. Nächte, in denen jene, die etwas zu sagen haben im Deutschen Fußball-Bund (DFB), zusammensitzen, in die eine Richtung argumentieren, in die andere – und irgendwie die eine Lösung nicht finden, die ihnen garantiert, nicht bald wieder so dasitzen zu müssen wie in der Nacht zu Sonntag: enttäuscht, müde und auch ein bisschen ratlos in den entscheidenden Fragen: Auf was steuert der deutsche Fußball da zu? Und wie geht es weiter mit Bundestrainer Joachim Löw?

Mit 0:3 (0:1) hatte die deutsche Nationalmannschaft am Samstagabend in Amsterdam das Nations-League-Spiel gegen die Niederlande hergegeben. Nie verlor eine deutsche Mannschaft höher gegen den ungeliebten Nachbarn. Jenes Land, das nach zwei verpassten Großturnieren (EM 2016 und WM 2018) einen Umbruch vollzogen hat und vermehrt auf junge Talente setzt.

Es droht die sechste DFB-Niederlage im Jahr 2018

So ähnlich hatten sie sich das in Deutschland auch gedacht nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland. „Tiefgreifende Veränderungen“ waren von DFB-Präsident Reinhard Grindel schnell ausgerufen worden. Doch der Abend von Amsterdam wirkte wie eine schmerzhafte Fortsetzung dieses Desasters. In der neu geschaffenen Nations League droht der Abstieg, was nicht einmal das Bedenklichste ist. Schlimmer schmerzt die Tatsache, dass am Dienstag in Paris beim Aufeinandertreffen mit Weltmeister Frankreich die sechste Niederlage in einem Kalenderjahr droht. Deren fünf hatte es zuletzt 1985 gegeben. Tiefpunkt, Tiefpunkt, tieferer Tiefpunkt?

Während des Spiels riefen ein paar deutsche Fans „Jogi raus“. Direkt nach der Partie musste sich Löw fragen lassen, ob dies schon eines seiner letzten Spiele als Bundestrainer gewesen sein könnte. „Da müssen wir einen anderen Verantwortlichen holen, der die Frage beantwortet“, sagte Löw in seinem schwarzen Rollkragenpullover. Denkt er an Rücktritt? „Im Moment nicht.“ Dann zog er einen Mundwinkel leicht nach oben. Hatte er einen Scherz machen wollen?

Die Angelegenheit ist ernst. Die schwarz-rot-goldene Reisegruppe umtrieb die Frage nach der Zukunft in der Nacht. Der Zustand des einstigen Vorzeigeprodukts macht auch der Führung um Grindel und DFB-Direktor Bierhoff Sorge. Doch es gibt im Präsidium berechtigte Zweifel, ob es helfen würde, Löw zeitnah zu entlassen.

Löw bekommt eine Schonfrist beim DFB

„Dass der Weg unserer Mannschaft nach der WM auch Rückschläge mit sich bringen kann, war uns allen klar. Umso wichtiger ist es, jetzt gemeinsam auf und neben dem Platz als ein Team zusammenzustehen“, ließ Grindel also am Sonntag wissen. Die Konzentration gelte nun dem Spiel gegen Frankreich und dem Rückspiel gegen die Niederlande im November. Spätestens danach aber wird geredet werden müssen, deutet einer an, der mitzuentscheiden hat. Schonfrist für Löw, den die neuerliche „sehr brutale Niederlage“ schmerzte.

Vor allem, weil sie jene herbeispielten, denen er die Zukunft vor die Füße gelegt hatte: die 2014er Weltmeister um Kapitän Manuel Neuer (32), Jerome Boateng (30), Mats Hummels (29), Toni Kroos (28) und Thomas Müller (29). Löws Achse. Löws Achillesferse. Die Treue zu denen, die in unterschiedlicher Ausprägung, aber eben nicht erst seit Amsterdam träge oder wenigstens glücklos wirken, macht ihn angreifbar.

„Niemand wird nach dem War-Zustand bewertet, sondern nach dem Ist-Zustand. Vor vier Wochen haben wir mit diesen Spielern ein gutes Spiel gegen den Weltmeister Frankreich gemacht. Man braucht ein paar Spieler, die Erfahrung haben, die schon etwas erreicht haben.“ Vermutlich hat Löw damit Recht. Aber verhängnisvoller Weise fehlen schon länger Ergebnisse, die das belegen.

Was sind die Gründe für die DFB-Krise?

Die Fahndung nach Gründen läuft längst auf Hochtouren. Mangelndes Selbstvertrauen, gewiss. Die schon obligatorische fehlerhafte Chancenverwertung. Die Bayern-Krise. Und die Verletzten: Marco Reus, Ilkay Gündogan, Leon Goretzka. Irgendwas ist halt immer. Julian Draxler, nach seiner Einwechslung zwar engagiert, aber alles andere als fehlerfrei, scheint das zunehmend zu nerven: „Mir persönlich geht das alles zu langsam. Es ist zu berechenbar“, legt der Profi von Paris Saint-Germain den Neuanfang in Trümmer: „Es fehlen die Ideen, die Risikobereitschaft. Wir spielen immer so ein bisschen hin und her, bis wir den Ball verlieren und den Konter kassieren. So können wir nicht weitermachen.“

Doch nach Veränderung klingt noch nicht, was Löw meint. „Jetzt gilt es, alles genau unter die Lupe zu nehmen. Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen und in Paris Charakter zeigen.“ Sätze, die wie eine Wiederholung aus Russland klingen. „Wir müssen ausblenden, was jetzt auf uns einprasseln wird.“ Dabei ist im deutschen Fußball schon ausreichend ausgeblendet worden. Auch in durchwachten Nächten.