Dortmund. Johannes Weißenfeld startet mit dem deutschen Ruder-Achter bei der EM - doch er blickt schon längst Richtung Olympia.

Johannes Weißenfeld ist erfolgsverwöhnt. Seit 2017 ist der 26 Jahre alte gebürtige Herdecker Teil des deutschen Paradebootes: Er ist Bugmann im Deutschland-Achter. Dreimal ist er schon Weltmeister geworden, an diesem Wochenende kämpft er im italienischen Varese um seinen fünften EM-Titel. Bereits heute steigt er dafür zum Bahnverteilungsrennen ins Boot, am Sonntag steht das Finale an (15.36 Uhr). Trotz all der Erfolge fehlt dem Dortmunder, der an der Ruhr-Universität Bochum Medizin studiert, aber noch ein besonderer Triumph: der Olympiasieg. Der Blick von Johannes Weißenfeld reicht also nicht nur bis zum EM-Finale – sondern richtet sich schon auf den Sommer und die Olympischen Spiele in Tokio.

Herr Weißenfeld, Sie sind im Deutschland-Achter der Bugmann. Das heißt, Sie sitzen ganz vorn im Boot. Oder ganz hinten in der Reihe der Ruderer – das ist ja etwas kompliziert in Ihrem Sport. Wie lebt es sich so auf dieser Position?
Johannes Weißenfeld: Gut. Ich rudere dort schon fast mein ganzes Leben. Ich saß zwar auch mal auf Schlag oder in der Mitte, aber es hat sich gezeigt, dass ich da hinten ganz gut klarkomme. Ich habe eine gute Übersicht, kann auch mal technische Ansagen machen, das hilft auf dieser Position.

Johannes Weissenfeld.
Johannes Weissenfeld. © Michael Gottschalk / FUNKE Foto Services

Sie sind mit 1,99 Metern der Größte im Boot. Spielt das eine Rolle bei der Platzwahl?
Nein, gar nicht. Die Größe bringt nur eine bessere Hebelwirkung mit sich. Wenn man kleiner ist, muss man sich ein bisschen mehr strecken, es ist etwas unbequemer und anstrengender, in die Schlag-Ausgangsposition zu kommen. Ich kann ganz entspannt sitzen und den gleichen Weg machen wie ein kleinerer Ruderer.

Kleiner und größer – der Kleinste bei Ihnen im Boot ist ja immerhin auch noch 1,90 Meter groß.
1,89 Meter. Darauf legen wir alle viel Wert. Auch wenn er behauptet, er sei über 1,90 Meter.

Wer ist das?
Wir haben zwei mit knapp 1,90 Meter: Torben Johannesen und Richard Schmidt. Das sind die zwei Kleinsten. Dafür haben sie starke Beine. Wir wissen halt, dass wir sie mit der Körpergröße ein bisschen necken können. Aber das passiert auf eine ganz liebe Art und Weise.

Schlagmann Hannes Ocik gilt neben dem Steuermann als der Tonangeber im Boot, was er macht, müssen alle anderen nachmachen. Sie müssen sich an die sieben Männer vor Ihnen anpassen. Ist das nicht eigentlich viel schwieriger?
Ein guter Bugmann macht nicht nach, sondern er antizipiert. Ich versuche vorherzusehen, wie sich die anderen bewegen. Und dann bewege ich mich gleichzeitig. Wenn man etwas nachmacht, ist man immer ein bisschen hinterher. Es zeichnet gute Bugleute aus, dass die sich mitbewegen, so dass es wie eins wirkt. Das darf nicht aussehen wie bei einem Tausendfüßler, so nacheinander, sondern muss absolut symmetrisch und zeitgleich sein.

2016 bei Olympia in Rio waren Sie Ersatzmann und mussten zusehen, wie der Deutschland-Achter von den Briten geschlagen wurde. Wie war das?
Ich war ein bisschen traurig. Im Jahr vorher, meiner ersten Saison in der offenen Klasse der Männer, haben wir den Vierer ohne Steuermann für Rio qualifiziert. Das hatte uns niemand zugetraut, da waren wir sehr stolz. 2016 kam dann ein vorher verletzter Athlet zurück, und ich bin aus dem Vierer gerutscht. Da war ich natürlich erstmal total enttäuscht. Ich habe mich dann aber mit der Situation abgefunden. Ich wusste: In vier Jahren habe ich noch mal die Chance. Also habe ich wieder richtig Gas gegeben.

2017 haben Sie es dann direkt in den Achter geschafft, der seither von Sieg zu Sieg rudert. Nun kommen die Olympischen Spiele. Wäre alles andere als der Gewinn von Gold eine Enttäuschung?
Wenn ich ganz ehrlich bin, ein bisschen schon. Wir haben vier Jahre lang – durch die Verschiebung der Spiele, eigentlich sind es ja nur drei – alles gewonnen. Wenn wir das jetzt nicht über die Ziellinie bringen, wäre das natürlich traurig. Wenn wir allerdings Zweiter werden, obwohl wir ein Hammer-Rennen gefahren und absolut zufrieden mit unserer Leistung sind, wenn einfach nicht mehr ging, dann kann man auch sagen: Okay, die anderen waren besser.

Wie lautet Ihr Ziel jetzt bei der EM?
Die EM ist für uns extrem wichtig, da haben wir die erste Bestandsprobe gegen die Engländer, die Holländer und auch die Rumänen. Das sind ziemlich starke Konkurrenten. Es wird der erste Wettkampf nach einer sehr, sehr langen Zeit sein und damit eine Rückmeldung für uns, ob wir in den letzten Monaten gut gearbeitet haben.

Durch die Corona-Pandemie konnten Sie sich nicht so vorbereiten wie üblich. Seit einem Jahr trainieren Sie hauptsächlich in Dortmund. Ist der Deutschland-Achter trotzdem so gut wie vor Corona?
Wir wissen es noch nicht. Uns fehlen die Wettkämpfe, wir haben keinen direkten Vergleich. Wenn wir unsere Trainingsleistungen nur mit uns selber aus den letzten Jahren vergleichen, sind wir sehr gut drauf. Aber wir wissen nicht, wie stark die anderen sind. Vielleicht haben die einen Riesensprung gemacht.

Sie hatten im letzten Jahr positive Corona-Fälle im Team. Was hat das gemacht mit der Mannschaft im Umgang mit der Pandemie?
Das hat uns ganz schön bewegt. Die Jungs sind Hochleistungssportler, superfit und durchtrainiert…

… also eigentlich genau die, von denen man glaubt, dass Corona ihnen nichts anhaben kann.
Das denkt man so. Aber Corona nimmt keine Rücksicht. Natürlich ist es besser, wenn man in einem gesunden Allgemeinzustand ist. Aber am Ende kann es jeden erwischen. Die Jungs bei uns im Team sind relativ glimpflich davongekommen, von Geschmacklosigkeit über Schüttelfrost bis Fieber war dennoch alles dabei. Und: Sie haben vier Wochen Training verloren. Einen solchen Ausfall kurz vor den Spielen könnten wir nicht verkraften. Deshalb sind wir alle supervorsichtig geworden. Das ist schon sehr belastend.

Finden Sie, dass Sie als Olympiateilnehmer geimpft werden sollten, bevor Sie nach Tokio reisen?
Ich würde es mir wünschen. Rudern ist keine Kontaktsportart, dafür bin ich dankbar. Wir könnten da eine ganze Regatta abhalten, ohne dass ich jemand Fremden näher als zwei, drei Meter an mich heranlassen müsste. Ich fände es aber gut, durch eine Impfung eine geringere Gefahr für einen schweren Verlauf zu haben, falls ich mich doch infiziere.

Junge, fitte Menschen, die vor älteren oder kranken geimpft werden – das birgt Aufregungspotenzial.
Ja, wir sollten uns nicht vordrängen. Andererseits: Wie viele Olympiasportler gibt es denn?

Vor vier Jahren in Rio waren rund 450 deutsche Athleten am Start.Natürlich sollten aus ethischen Gründen erst die geimpft werden, die gefährdeter sind. Vollkommen richtig. Aber langsam nimmt die Impf-Kampagne ja trotz anfänglicher Fehler Fahrt auf. Ich hoffe daher, dass der Deutsche Olympische Sportbund noch vor den Spielen Impfstoff bekommt.

Alle sind sich einig, dass Tokio anders wird, als wir es von Olympia kennen. Was erwarten Sie?
Ich weiß, wie es in Rio war. Es war laut, viele Leute haben nur gefeiert, es ging in erster Linie um Werbung, Geld und alles Mögliche. Ich hatte wenig das Gefühl, dass der Sport im Vordergrund steht. Vielleicht ändert sich das jetzt. Vielleicht zählt die sportliche Leistung wieder mehr. Vielleicht wird Olympia wieder ein Wettkampf für Sportler, und nicht für Firmen, reiche Menschen und Werbepartner. Mich stört es überhaupt nicht, wenn die Spiele deutlich kleiner werden als zuletzt. Ich will da nicht wegen des Mega-Events hin. Ich will da hin, um den höchsten sportlichen Wettkampf zu gewinnen, den es zu gewinnen gibt.

Es wird alles sehr steril ablaufen. Sie werden aus einer Trainings- in die Olympiablase und nach dem Wettbewerb nach Hause transportiert. Schön klingt das nicht.
Ich kann jeden verstehen, den das stört. Ich bin sehr froh, dass ich 2016 dabei war. Ich habe alles aufgesogen, ich kann sagen: Ich habe Olympia schon mal erlebt. Deshalb werden mich all die Einschränkungen in Tokio nicht stören. Das ist natürlich eine egoistische Sichtweise. Aber was sonst? Absagen? Boah, nein, bitte nicht!