Berlin. Der G7-Gipfel ist für den neuen US-Präsidenten Joe Biden der erste Auftritt in Europa. Doch für Angela Merkel ist es ein Abschied.

Wenn sich Joe Biden, Angela Merkel und Emmanuel Macron vorbereiten wollen auf ihr großes G7-Gipfeltreffen ab diesem Freitag, könnte ausnahmsweise die Lektüre von Rosamunde Pilcher hilfreich sein. Das Luxushotel Carbis Bay Estate, in dem die Staatslenker drei Tage lang konferieren, liegt ja nicht nur mitten im malerischen Cornwall im Südwesten Englands, das deutschen TV-Zuschauern als Rosamunde-Pilcher-Land bestens vertraut ist. Die Nobelherberge hat Pilcher auch gleich in zwei Herzschmerz-Romanen verewigt.

Carbis Bay Estate scheint also wie geschaffen für mindestens gefühlsbeladene, wegweisende Begegnungen. Und die dürfte es gleich mehrfach geben: Denn dieser Gipfel ist nicht nur Schauplatz von Joe Bidens erstem großen internationalen Auftritt als US-Präsident, sondern auch von Merkels Abschied von der internationalen Bühne.

G7-Gipfel: Für Merkel ein schwerer Termin

Von den vielen letzten Malen, die die scheidende Kanzlerin in diesen Wochen und Monaten erlebt, dürfte der G7-Gipfel für Merkel – anders als etwa Karnevalsempfänge oder Staatsbesuche bei Donald Trump – zu den schwereren gehören. Denn die internationale Bühne und mehr noch vor allem das beharrliche Verhandeln in kleiner Runde hat Merkel schon immer gelegen. Zumal am Ende auch noch die Gravität einer Regierungschefin hinzukam, die alle anderen Staatslenker politisch überlebt hatte.

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In ihrer Amtszeit hatte Merkel es unter anderem mit vier verschiedenen US-Präsidenten, vier französischen Präsidenten und sieben italienischen Ministerpräsidenten zu tun. Allein beim G7-Gipfel kommt sie auf eine längere Amtszeit als die anderen sechs Regierungschefs zusammen.

Merkel: Gestaltete internationale Beziehungen pragmatisch-nüchtern

Auf die wichtigsten Begegnungen hat sie sich mit ihrem engen Beraterteam immer sehr minutiös vorbereitet, die Gewohnheiten des jeweiligen Gesprächspartners studiert. Der Legende nach soll sie als Vorbereitung auf das erste Treffen mit Frankreichs früherem Präsidenten Nicolas Sarkozy Louis-de-Funès-Filme geschaut haben, um besser dessen Temperament zu verstehen.

Anders als ihrem Vorgänger Gerhard Schröder blieben Merkel zu Beginn ihrer Amtszeit große Krisen wie die Kriege im Kosovo und im Irak erspart. Sie sollten später mit der Finanz- und Flüchtlingskrise sowie der Pandemie kommen. Aber der frühen Kanzlerin gab das die Gelegenheit, pragmatisch-nüchtern die internationalen Beziehungen zu gestalten.

Orban bat Merkel, doch bitte weiterzumachen

Die Wiederaufnahme des durch den Irak-Krieg zerrütteten transatlantischen Verhältnisses fiel ihr leichter als der Umgang mit Wladimir Putin, dem sie stets misstraute. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet der Streit über das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 einer der heikelsten Punkte in der Begegnung zwischen Merkel und Biden sein wird.

Weitere große Themen in Cornwall sind der Klimaschutz, als Vorbereitung auf die UN-Klimakonferenz im November, sowie die Handelsbeziehungen. Mit Joe Biden als neuem amerikanischen Counterpart wird beides leichterfallen als mit seinem Vorgänger Donald Trump.

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Früher als andere erkannte Merkel, dass sich China auf dem Weg zur neuen Weltmacht befindet. Vom Kernstück dieses Expansionskurses – dem Projekt neue Seidenstraße – sprach sie, als andere mit dem Begriff noch wenig anzufangen wussten. Dass Merkels Abschied eine Lücke auf der internationalen Bühne reißen wird, ist in Europa seit Monaten ein Thema. Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat die Kanzlerin sogar unter vier Augen dringlich aufgefordert, doch bitte weiterzumachen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hielt kürzlich beim Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrats eine berührende Abschiedsrede, lobte die „außergewöhnliche Zusammenarbeit“ und sagte an Merkel gewandt: „Deine Tatkraft, manchmal deine Geduld und deine Entschlossenheit waren entscheidend.“

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Macron gelegentlich einen engeren Schulterschluss gewünscht hätte – aber Merkel hat stets auch darauf geachtet, dass die vielen anderen, kleineren EU-Staaten nicht den Eindruck haben, vom deutsch-französischem Tandem bevormundet zu werden; genau das macht ihre Beliebtheit in Europa aus. Den Laden zusammenzuhalten – das war eines der eisernen Grundprinzipien von Merkels Außenpolitik, nicht nur in Europa.