Berlin. Gas ist in Deutschland knapp: Die Speicher sind noch zu leer, Nord Stream 1 liefert eingeschränkt. Schaffen wir es durch den Winter?

Die Bundesregierung hat die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Die Energiefirmen sollen die Gasspeicher über die Sommermonate schneller füllen – damit auch im Winter die Wohnungen warm bleiben und die Fabriken nicht still stehen müssen.

Russland drosselt deutlich die Gasmenge, die es normalerweise durch die Leitungen nach Deutschland schickt. Für die Speicher beginnt deshalb jetzt ein Sprint, damit die zum Winter voll genug sind. Noch bleibt genug Zeit die anvisierten Füllstände zu erreichen. Das klappt nur, wenn das Gas weiterhin fließt.

Nord Stream 1: Kein Gas im Juli

Doch das ist alles andere als sicher. Im Juli wird die wichtige Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 gewartet. Die Bundesnetzagentur schließt nicht aus, dass danach Russland die Gaslieferung gänzlich einstellt.

Schon jetzt fließt insgesamt etwa 60 Prozent weniger russisches Gas durch die Hauptleitungen nach Greifswald und Waidhaus als Anfang Juni. Besonders Nord Stream 1 hat die Gasmenge drastisch reduziert. Laut russischen Angaben fehlen aufgrund der Sanktionen notwendige Ersatzteile für eine Reparatur. Die geplante Wartung erfolgt zwischen dem 11. und 25. Juli – währenddessen bleibt der Gashahn zu.

Gasspeicher Rehden: Füllt sich der Speicher schnell genug?

Der größte Gasspeicher Deutschlands steht im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Kapazität. Der Speicher wurde von der Firma Astora betrieben – einem Tochterunternehmen von Gazprom Germania. Anfang des Jahres war der Speicherstand historisch niedrig, er lag bei nichtmal einen Prozent. Daraufhin hat die Bundesnetzagentur die Kontrolle übernommen und lässt den Speicher über Drittfirmen zu befüllen. Mittlerweile ist der Speicher zu rund 16 Prozent gefüllt.

Der Bundestag hat in seinem Gasspeichergesetz erstmal verbindliche Vorgaben für die Füllstände erlassen. Zum 1. Oktober müssen die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sein, einen Monat später muss der Speicherstand 90 Prozent betragen.

Ist es realistisch, dass der Speicher in Rehen sich schnell genug füllt? Die orange gepunktete Linie führt das aktuelle Wachstum fort. Dazu wird der durchschnittliche Gaszufluss der letzten 7-Tage hinzuaddiert. Die Wartung von Nord Stream 1 wird zusätzlich berücksichtigt.

In diesem stark vereinfachten Szenario würde Rehden das 80-Prozent-Ziel um einige Tage verfehlen. Am 9. Oktober wäre der Speicher ausreichend gefüllt. Die Füllmenge von 90 Prozent würde hingegen schon am 23. Oktober erreicht werden.

podcast-image

Würde von einem zum anderen Tag kein Gas mehr in den Großspeicher fließen, dann bliebe bis zum 15. Juli Zeit, andere Gaslieferanten aufzutreiben. Das Datum markiert den spätestens Zeitpunkt, an dem der Speicher mit voller Kapazität befüllt werden müsste, um das Oktober-Ziel zu erreichen. Die Tages-Füllgrenze wurde seit Beginn 2022 nur einmal erreicht. Dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich.

Deutsche Gasspeicher auf dem Weg ins Ziel

Die restlichen deutschen Speicher sind in der Lage den niedrigen Füllstand von Rehden teilweise auszugleichen. Wären zum Oktober alle anderen Speicher zu 90 Prozent gefüllt, müsste der Speicher in Rehden nur zu einem Drittel gefüllt sein. Dann könnten die deutschen Gasreserven das Oktober-Ziel erreichen.

Im Moment sind die anvisierten Füllstände noch realistisch. Die orange gepunktete Linie führt die aktuelle Befüllung anhand der Gasmenge der vergangenen sieben Tagen fort. Macht Deutschland im selben Tempo weiter, dann sind die 80 Prozent bereits Anfang September erreicht; Anfang Oktober würden die Stände bei 90 Prozent liegen.

Im Vorjahr waren die deutschen Gasspeicher schon Mal besonders leer. ​​Sie waren am heutigen Tag gerade mal zu 40 Prozent gefüllt. Die blau gepunktete Linie führt das tägliche Wachstum von 2021 zum heutigen Füllstand fort. In diesem Szenario wären die Speicher pünktlich zum 1. September zu 80 Prozent gefüllt, ungefähr einen Monat später wären die 90 Prozent erreicht.

Russland und das Gas: Die große Ungewissheit

Alle Überlegungen basieren auf einer Annahme: Genug Gas strömt weiter durch die Leitungen. In der jetzigen Situation ist das nicht sicher. Bleibt Nord Stream 1 nach der Wartung im Juli leer, dann wird es richtig knapp. Zudem würde in den Speichern im Februar gähnende Leere herrschen – ausgerechnet in einem der kältesten Monate. Das Gasspeichergesetz sieht hingegen einen Füllstand von 40 Prozent für Februar vor.

Für Deutschland geht es daher nun darum, mehr Gas aus anderen Ländern zu bekommen. Norwegen hat sich schon bereiterklärt, mehr durch seine Leitung in die Europäische Union zu pumpen. Schwimmende Terminals die Flüssiggas (LNG) in die deutschen Netze einspeisen helfen ebenfalls.

Der Energieverbrauch ist ebenfalls entscheidend. Jeder soll laut Wirtschaftsminister Habeck so viel Energie sparen, wie nur möglich. Für alle mit einer Gasleitung ins Haus dürfte das im eigenen Interesse sein: Während die Füllstände der Speicher eher langsam steigen, sind die Gaspreise längst an ihnen vorbeigezogen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.