Berlin. Russlands Krieg gegen die Ukraine wirft auch ein Schlaglicht auf den Zustand der Bundeswehr. Wie blank ist die deutsche Armee wirklich?

Die Versprechen der Bundesregierung an die Nato-Staaten klingen entschlossen. „Ohne Wenn und Aber“, werde das Bündnis seine Mitgliedstaaten in Osteuropa gegen eine russische Aggression verteidigen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Angriff auf die Ukraine.

„Deutschland und seine Verbündeten wissen sich zu schützen“, so Scholz. Doch ist die Bundeswehr dazu in der Lage? Davon gehen nicht einmal die Spitzen der militärischen und politischen Führung selbst aus.

Verteidigung gegen Russland: Bundeswehr ist „blank“

Als mehr oder weniger „blank“ stehe die Bundeswehr der Bedrohung durch Russland gegenüber, heißt es aus der Truppe: Geäußert hat dies kein Geringerer als Alfons Mais, der Chef des deutschen Heeres.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) warnte bereits kurz vor der russischen Invasion in der Ukraine, angesichts der zu dem Zeitpunkt bereits beschlossenen Aufstockung deutscher Soldaten an der Nato-Ostflanke: Wenn es weitere Aufgaben geben sollte, stoße sie „als Verteidigungsministerin an meine Grenzen der Möglichkeiten“.

Die Nato-Ostflanke soll verstärkt werden - auch mit deutscher Unterstützung, so SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Doch die Bundeswehr ist laut militärischen Spitzen
Die Nato-Ostflanke soll verstärkt werden - auch mit deutscher Unterstützung, so SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Doch die Bundeswehr ist laut militärischen Spitzen "blank". © dpa

Nato-Ostflanke: Ausstattung der Bundesweht ist katastrophal

Inzwischen ist die Welt eine andere. „Klar ist, dass die Bundeswehr in dieser Krise gefordert sein wird“, richtete sich Lambrecht Donnerstag in einem Tagesbefehl an die Truppe. Die Bundesregierung bot der Nato am Freitag weitere Bundeswehr-Kräfte für die Verstärkung der Präsenz in Osteuropa an.

Die Ausstattung der deutschen Soldaten vor Ort ist bereits jetzt katastrophal. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) beklagt erschreckende Ausrüstungsmängel der Einheiten, die in Litauen auf dem Militärstützpunkt Rukla die russische Armee abschrecken sollen. Es fehle an dicken Jacken und warmer Unterwäsche, sagte Högl der „Augsburger Allgemeinen“. „Alles was sie brauchen, um gut gegen Kälte und Nässe geschützt zu sein. Und das dürfte es in einem der reichsten Länder der Welt, in der Mitte Europas, eigentlich nicht geben.“

Bundeswehr hat den Ruf als Pannentruppe

Die Klagen sind nicht neu, von Soldaten im Einsatz in Afghanistan oder Mali gab es in der Vergangenheit ähnliche Beschwerden. Und die Mangelwirtschaft bezieht sich nicht nur auf Kleidung, Helme und Schutzbrillen, sondern auch auf schweres Gerät. Die Bundeswehr hat schon seit Jahren einen Ruf als Pannentruppe, deren Hubschrauber nicht fliegen, Schiffe nicht schwimmen und Gewehre nicht schießen. Und das ist kein Klischee, wie gerade der neueste Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft aufgelistet hat.

Von den Hubschraubern der Bundeswehr sind derzeit 40 Prozent einsatzbereit. Von den Marinehubschraubern NH90 NTH SEA LION fliegt sogar nur ein Fünftel. Die Marine meldet zudem, dass „zur Teilnahme an Operationen hoher Intensität“ weniger als ein Drittel der schwimmenden Hauptwaffensysteme „uneingeschränkt einsatzfähig sind“.

Vom Schützenpanzer Puma hat die Bundeswehr 350 Stück geordert, um den vier Jahrzehnte alten Marder abzulösen. Davon sind allerdings nur 40 für den Nato-Einsatz aufgerüstet. Auf die Frage, ob Deutschland sich im Ernstfall verteidigen könne, sagte der frühere Nato-General Egon Ramms im ZDF: „Kurze, klare Antwort: Nein.“

Ampel will künftig mehr Geld für Verteidigung ausgeben

Die Ampel-Regierung verschleierte im Koalitionsvertrag, ob sie an dem in der Nato vereinbarten Ziel festhalten will, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftskraft zu steigern. Unter dem Eindruck des russischen Einmarschs in der Ukraine bekräftigen die Koalitionspartner nun den Willen, mehr für die Bundeswehr auszugeben.

„Sinkende Verteidigungsausgaben, die passen nicht mehr in die Zeit“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). „Wir müssen uns mit der Tatsache vertraut machen, dass unsere Streitkräfte seit vielen, vielen Jahren auf Verschleiß gemanagt wurden.“ Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) betonte, Deutschland müsse darauf achten, „dass wir eine voll wehrfähige Armee haben, die einsatzfähig und robust ist“.

Experte: Geld allein wird der Bundeswehr nicht viel nützen

Doch allein mit mehr Geld ist es nicht getan. „Wir zahlen rund 50 Milliarden Euro jedes Jahr in den Verteidigungsetat, die Russen haben etwa 60 Milliarden und versetzen damit die ganze Welt in Schrecken“, sagt der ehemalige deutsche Brigadegeneral Erich Vad unserer Redaktion. „Die Lektion, die wir jetzt lernen: Wir müssen uns anders aufstellen.“

Dies sei jetzt die letzte Gelegenheit. „Denn wenn Putin jetzt auf den Geschmack kommt, weil es in der Ukraine funktioniert, dann könnte er weitermachen mit dem gesamten postsowjetischen Raum“, warnt der frühere militärpolitische Berater von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Die Bundeswehr muss deswegen jetzt so schnell wie möglich einsatzbereit werden.“

Nato: Seit 2014 hat sich wenig in der Praxis verändert

In den Jahren vor der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland 2014 konzentrierte sich die Bundeswehr in Ausrüstung, Ausbildung und Strategie vor allem auf Auslandseinsätze wie in Afghanistan. Danach fand in Deutschland und dem Rest der Nato ein Umdenken statt, der Auftrag lautete: zurück zur Bündnis- und Landesverteidigung. Doch in der Praxis folgte daraus zu wenig.

„Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, zeigte sich Lambrechts Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Mittwoch auf Twitter zerknirscht. Nichts sei vorbereitet worden, „was Putin wirklich abgeschreckt hätte“.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid fordert, die Modernisierung der Bundeswehr zu beschleunigen. „Wir stellen viel Geld bereit, aber die Beschaffung muss schneller werden“, sagt Schmid unserer Redaktion.

Von der Entscheidung zum Kauf eines Kampfflugzeugs oder eines Panzers bis zum tatsächlichen Einsatz vergehen aktuell Jahre. Lambrecht hat angekündigt, dem Beschaffungswesen Beine machen zu wollen. Das hatten ihre beiden Vorgängerinnen Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen (CDU) allerdings auch versprochen – ohne Erfolg.

Verteidigung Deutschlands: ist die Bundeswehr zu langsam?

Die Einsatzfähigkeit der Truppe hängt jedoch nicht nur von der Höhe des Rüstungsetats und der zähen Beschaffung ab. Es dauert aktuell auch einfach zu lange, bis Soldaten in Krisenlagen zum Einsatz bereit sind. Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten vergangenes Jahr Eckpunkte für eine Reform der Bundeswehr vorgelegt, um diesem Problem mit organisatorischen Umstellungen zu begegnen

„Die Bundeswehr muss in der Lage sein, ohne lange Vorlaufzeiten auf eine Konflikteskalation zu reagieren“, also „Kräfte der ersten Stunde“ insbesondere an den Nato-Außengrenzen einzusetzen, heißt es darin.

Lambrecht hat das Papier allerdings einkassiert, von der Webseite des Ministeriums wurde es gelöscht. Sie habe nicht vor, „die nächste große Strukturreform auf den Weg zu bringen“, sagte die SPD-Politikerin kürzlich unserer Redaktion. Doch Lambrecht ist nun gefordert. Ex-General Vad wünscht sich eine „eine durchgreifende politische Führung“ des Wehrressorts. „Da ist Deutschland leider seit Jahren nicht gut aufgestellt.“