Berlin . Der von Russland losgetretene Ukraine-Krieg weckt die Furcht vor einem Atomkrieg. Vor allem ein Satz von Präsident Putin irritiert.

  • Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine tobt dort ein grausamer Krieg
  • Präsident Putin hat inzwischen auch seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt
  • Könnte es im Ukraine-Krieg zum Einsatz von Atomwaffen kommen?

Die Nato nennt es "verantwortungslos". Viele Menschen sind besorgt. Russlands Präsident Wladimir Putin hat Anfang März seine "Abschreckungswaffen" in Alarmbereitschaft versetzen lassen. Er nannte nicht explizit Atomwaffen, aber nur sie können gemeint sein. Welche Rolle spielen sie im Ukraine-Krieg?

Putin hat viele angebliche Gründe für den russischen Einmarsch genannt – sie alle sind vorgeschoben und sollen seinen Krieg gegen ein demokratisches Land rechtfertigen. Der Ukraine warf er sogar vor, Atomwaffen bauen zu wollen. Weitet sich der Konflikt zu einer nuklearen Dimension aus?

Atomwaffen: Putins indirekte Drohung

In seiner "Kriegsrede" verkündete Putin, "jeder, der versucht, sich bei uns einzumischen, oder mehr noch, eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass Russlands Antwort sofort erfolgen und zu solchen Konsequenzen führen wird, wie Sie sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben!“ Das wurde im Westen vielfach als Drohung interpretiert, auch Atomwaffen einsetzen zu wollen.

Der Ukraine wirft Putin vor, Atomwaffen bauen zu wollen. Über das nötige Know-How verfügt das Land tatsächlich – aus der Sowjetzeit. Nach deren Ende hatte die Ukraine ihre Atomwaffen an Russland abgegeben – unter anderem als Gegenzug dafür, dass der große Nachbar die Souveränität des Landes anerkannte. Diese stellt Putin nun infrage.

Und auch über die Trägersysteme für solche Waffen verfügt die Ukraine: Flugzeuge sowie die taktischen Präzisionsraketen sowjetischer Bauart Tochka-U. Fest steht aber: Atomwaffen gibt es in der Ukraine nicht. "Aber sie können mehr tun; es ist nur eine Frage der Zeit", versuchte Putin in einer "Kriegsrede" Ängste zu schüren. Der Aggressor versucht offensichtlich, die Opfer als Täter zu verunglimpfen.

Nuklearwaffen – Atomkrieg aus Versehen möglich

Die Ukraine verfolgt keine solchen Absichten. Sie könnte Vorbereitungen dazu unmöglich geheim halten. Und die Möglichkeit, dass sich Kiew irgendwann in der Zukunft um nukleare Waffensysteme bemühen könnte, kann kein Argument sein, um das Land anzugreifen. Dennoch tut es Russland. Ist damit auch der Einsatz von Atomraketen denkbar?

Das wäre aktuell im Ukraine-Konflikt militärisch unsinnig und überzogen. Zum einen ist die Überlegenheit Russlands mit konventionellen Waffen erdrückend. Auch wenn der russische Vormarsch derzeit stockt, scheint die Ukraine auf Dauer nicht in der Lage, sich gegen die Übermacht Russlands zur Wehr zu setzen. Zum anderen könnte Putin bei einem Atomangriff nicht einhalten, was er versprochen hat: die Zahl der Verluste unter den Zivilisten im Brudervolk auf ein Minimum zu begrenzen. Das wäre im eigenen Land schwer erklärbar. Fakt ist aber auch, dass russische Truppen zuletzt mit Raketen geübt haben, die atomar bestückt werden könnten.

Atomraketen: Die kurzen Flugzeiten erzeugen Angst

Die nukleare Bedrohung spielt seit Langem eine Rolle in Putins Überlegungen. Immer wieder sprach er davon, dass die Nato "Angriffssysteme" im Nachbarland stationieren könnte. Deren Flugkörper würden Moskau dann in sieben bis zehn Minuten erreichen. Bisher gibt es solche Systeme aber nicht.

Die kurzen Flugzeiten sind der Grund, warum ein atomarer Erstschlag mit Mittelstreckenraketen so gefürchtet wird. 1987 schlossen die USA und die damalige Sowjetunion den INF-Vertrag über ein Verbot nuklearer Mittelstreckensysteme. Das führte zur Abrüstung aller bodengestützten Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern auf beiden Seiten.

Atomwaffen: Russland stellte Kurzstreckenraketen

Den Vertrag hat US-Präsident Donald Trump im Oktober 2018 gekündigt. Der Grund: Russland hat nach Überzeugung der USA eine Waffe mit etwa 2500 Kilometern Reichweite entwickelt und getestet: den Marschflugkörper 9M729, Nato-Bezeichnung: SSC-8 Screwdriver.

Der Vorteil ist, dass die Russen sie mit Lastwagen schnell verlegen und abfeuern können. Mehrere Bataillone wurden mit dem neuen Waffensystem bestückt – und im Militärbezirk West stationiert, der nach dem Einmarsch in die Ukraine noch näher an die Nato-Staaten rückt. Zuletzt hatte man überdies atomwaffenfähige Kurzstreckenraketen in der Exklave Kaliningrad zwischen Polen und Litauen aufgestellt.

Trotz all dieser Schreckensmeldungen ist derzeit nicht davon auszugehen, dass es zu einem Atomkrieg kommt. Ein Einsatz von nuklearen Waffen auf russischer Seite würde die Nato dazu zwingen, im Ukraine-Krieg selbst aktiv zu werden. Das dürfte Russland nicht riskieren. Das Verhalten von Wladimir Putin muss viel mehr als Abschreckung und Drohgebärde verstanden werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.

Ukraine-Krise – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt