Hanau/Berlin. Was der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau leisten kann – und was nicht.

Hätten sich drei der Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau durch den Notausgang der Arena Bar retten können? Warum war der Notruf am 19. Februar 2020 für Vili Viorel Păun nicht zu erreichen? Und warum hatte der Täter trotz psychischer Erkrankung eine Waffenbesitzkarte? Diese Fragen, die auch die Angehörigen der Opfer von Hanau immer wieder stellen, soll ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Hessen klären.

Dieser hat anderthalb Jahre nach den Morden an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin im Sommer 2021 seine Arbeit aufgenommen. Der Vorsitzende Marius Weiß (SPD) teilte unserer Redaktion mit, dass untersucht wird, was im Vorfeld, am Tatabend und anschließend bei den Ermittlungen falsch gelaufen ist. In den ersten Sitzungen wurden im vergangenen Jahr die Angehörigen gehört. Bis Ende dieses Jahres sei mit Ergebnissen zu rechnen.

Rechtsextremer Täter des Attentats in Hanau hat sich nicht im Internet radikalisiert

In der Sitzung am 7. Februar ging es um den Täter, Tobias R., der sich nach den Morden selbst getötet hat. Psychiater Henning Saß, der unter anderem auch über die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, ein Gutachten erstellt hatte, schätzt laut Marius Weiß ein, dass sich Schizophrenie und Rassismus miteinander verwoben haben. Vor einigen Jahren habe man den Täter wegen Verfolgungswahns in die Psychiatrie eingewiesen, aber keine Fremdgefährdung festgestellt.

Wie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses weiter berichtet, sei die spätere Entwicklung damals wahrscheinlich noch nicht erkennbar gewesen. Radikalisiert habe sich der Täter allerdings nicht durch Internet-Foren oder Messenger, sondern habe seine rassistischen Einstellungen „aus dem Elternhaus mitbekommen“, so Weiß.

Angehörige des Hanauer Attentats fordern lückenlose Aufklärung

Gegen den Vater des Täters, der noch immer im gleichen Hanauer Stadtteil wie einige der Angehörigen der Ermordeten lebt, war im vergangenen Jahr auch ermittelt worden. Das Verfahren ist allerdings im Dezember eingestellt worden: Die Bundesanwaltschaft war zu dem Schluss gekommen, dass Tobias R. keine Mitwisser oder Helfer bei der Planung seiner Gewalttat hatte. Im Untersuchungsausschuss wird sich im März ein Gutachter mit dem Mann befassen und seine Rolle für den Sohn und seine Taten beleuchten.

Angehörige der neun Opfer wie auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober (FDP), fordern lückenlose Aufklärung der ungeklärten Fragen vom Untersuchungsausschuss. „Für die Opfer ist es relevant, Tathergang und Tatmotive genau zu kennen“, sagt er unserer Redaktion. Das helfe beim Verarbeitungsprozess und könne ebenso dazu beitragen, das Vertrauen in den Staat wieder zu stärken. Er selbst wolle sich dafür bei den Mitgliedern des Ausschusses einsetzen.

Entschädigungen für Angehörige des Hanauer Attentats sollen leichter zugänglich werden

Die Kritik der Angehörigen an langen Verfahrensdauern für Entschädigungszahlungen sei berechtigt, räumt Kober ein. Leistungen müssten leichter zugänglich werden. Sein Vorschlag: „Versorgungsämter müssen ähnlich proaktiv auf die Betroffenen zugehen wie die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nach einem Arbeitsunfall“.

Pascal Kober (FDP) ist seit Mitte Januar Opferbeauftragter der Bundesregierung. Auch er fordert eine lückenlose Aufklärung des rassistischen Attentats von Hanau.
Pascal Kober (FDP) ist seit Mitte Januar Opferbeauftragter der Bundesregierung. Auch er fordert eine lückenlose Aufklärung des rassistischen Attentats von Hanau. © imago images

Die Liste der Versäumnisse ist lang, die die Hinterbliebenen auf der Internet-Seite der Initiative 19. Februar Hanau ein Jahr nach dem Attentat veröffentlicht haben. Der Untersuchungsausschuss des Landtags, für den sich auch die derzeitige Innenministerin Nancy Faeser (SPD), eingesetzt hatte, soll klären, was vor, während und nach der Tat falsch gelaufen ist.

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In der aktuellen Stunde im Bundestag zum Gedenken an die Opfer sagte auch Faeser am Mittwoch: „Der Staat schuldet den Familien der Opfer eine transparente und lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags“. Der Ausschussvorsitzende Marius Weiß dämpft dagegen die Erwartungen: „Wir werden nicht alle Fragen beantworten können“.

Notruf funktioniert nach Terror-Anschlag in Hanau

Dennoch werde alles Mögliche getan und man könne beispielsweise herausfinden, warum der Notruf am 19. Februar 2020 nicht erreichbar war. Inzwischen habe man diesen so umgestellt, dass eine Weiterleitung in eine andere Leitstelle erfolgt, berichtet Weiß weiter.

Als Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschusses hofft der Vorsitzende, Handlungsempfehlungen geben zu können für Behörden im Umgang mit Opfern rechtsextremer Terror-Anschläge. Hinweise, wie solche Attentate künftig verhindert werden könnten, seien aber zu viel verlangt.

11. März wird nationaler Gedenktag für Opfer von Terror-Anschlägen

Bessere Prävention fordert auch der Bundes-Opferbeauftragte Kober: „Nach Möglichkeit sollten solche Taten frühzeitig vereitelt werden“, sagt er unserer Redaktion. Innenministerin Faeser hat sich die Bekämpfung von Rechtsextremismus zur Priorität gemacht. Am Mittwoch kündigte sie im Bundestag an, bis Ostern einen Aktionsplan vorzulegen.

Ihr Ministerium setze alles daran, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten die Waffen entziehen. Demokratisches Engagement solle gestärkt werden, weshalb sie gemeinsam mit Familienministerin Anne Spiegel das Demokratiefördergesetz schnell voranbringen werde. Ebenfalls am Mittwoch habe das Kabinett beschlossen, dass ab diesem Jahr „der 11. März der Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt“ sei, so Faeser.

Noch vor dem neuen Gedenktag geht es am 7. März im Untersuchungsausschuss UNA 20/2 zum Attentat in Hanau weiter. Als Zeuge werde ein Fachmann für Einsatztaktik die Arbeit der Polizei am Abend des Attentats bewerten, teilt Marius Weiß mit. Insgesamt stehen derzeit noch etwa 40 Personen auf der Zeugenliste des Ausschusses.