Washington/Berlin. Spezialkräfte spürten den gesuchten IS-Anführer in Syrien auf. US-Präsident Biden: Haben die Welt zu einem sichereren Ort gemacht.

Es war ein Einsatz im Morgengrauen. Amerikanische Kampfhelikopter kreisten über einem dreistöckigen Haus in der nordsyrischen Stadt Atmeh. Der Ort liegt in der Rebellenprovinz Idlib, nahe der türkischen Grenze.

US-Kräfte forderten die Bewohner per Lautsprecher auf Arabisch auf, sich zu ergeben. Doch niemand meldete sich. Danach beschossen amerikanische Spezialeinheiten, unterstützt von Reaper-Drohnen und Militär-Jets, das Haus. Die Bewohner erwiderten das Feuer. Nach mehr als dreistündigen Gefechten waren die Kämpfe beendet. Dabei wurde auch der Anführer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi, getötet.

Das zerstörte Haus, in dem sich der IS-Anführer selbst in die Luft gesprengt haben soll.
Das zerstörte Haus, in dem sich der IS-Anführer selbst in die Luft gesprengt haben soll. © AFP | AAREF WATAD

US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Militäroperation als bedeutenden Schlag im Kampf gegen den Terror. „Gestern Nacht haben US-Einheiten auf meinen Befehl hin im Nordwesten Syriens erfolgreich einen Antiterroreinsatz ausgeführt, um die amerikanische Bevölkerung und unsere Verbündeten zu schützen und die Welt zu einem sichereren Ort zu machen“, erklärte Biden bei einer kurzen Ansprache im Weißen Haus. „Alle Amerikaner sind sicher von dem Einsatz zurückgekehrt.“ Der Islamist sei „vom Schlachtfeld genommen worden“, sagte Biden.

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Der Präsident bestätigte, dass sich al-Kuraschi bei dem Einsatz in einem Akt „verzweifelter Feigheit“ gemeinsam mit Familienmitgliedern, darunter Frauen und Kinder, selbst in die Luft gesprengt habe. Ausweislich eines vom Weißen Haus veröffentlichten Fotos verfolgten Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris den Antiterroreinsatz per Live-Videoübertragung mit.

Zehn Millionen Dollar Kopfgeld

Die Vereinigten Staaten hatten bereits vor Monaten zehn Millionen Dollar Kopfgeld für Hinweise ausgelobt, die zur Ergreifung al-Kuraschis führen würden. Laut Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei der Luftlandeoperation 13 Zivilisten getötet, unter ihnen auch vier Kinder.

Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi
Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi © AFP | Handout

Bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors folgt Biden ziemlich genau den Spuren seines Vorgängers Donald Trump. 27 Monate nach dessen Befehl, den damaligen IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi töten zu lassen, nahm Biden dessen Nachfolger ins Visier. Die Stadt Atmeh ist wenige Kilometer von dem Ort entfernt, wo auch al-Baghdadi starb.

Aus Reihen des Verteidigungsministeriums in Washington war zuvor zu hören, dass die Aktion die Vergeltung für einen tagelangen IS-Angriff darstellt.

Ein Aktivist in der Region sagte, dass der IS-Anführer verdächtigt werde, Drahtzieher des schweren Anschlags auf ein Gefängnis im Nordosten Syriens zu sein. Dabei wurden in der Stadt Al-Hassaka Ende Januar mehr als 300 Menschen getötet. Das Terrornetzwerk wollte inhaftierte Kämpfer befreien. Der Angriff galt als der schwerste seit vielen Jahren. Beobachter befürchteten ein Wiedererstarken der Dschihadisten.

IS weiterhin in Syrien und Irak aktiv

Al-Kuraschi wurde am 31. Oktober 2019 nach dem Tod al-Baghdadis als neuer Chef des IS präsentiert. Über seine Identität wurde lange gerätselt. Nach Angaben des britischen „Guardian“ ist davon auszugehen, dass sich hinter dem Pseudonym ein Mann namens Amir Mohammed Abdul Rahman al-Mawli al-Salbi verbirgt.

Al-Kuraschi war wie al-Baghdadi ein studierter Theologe. Er soll als IS-Ideologe 2014 die Massaker an den Jesiden im nordirakischen Sindschar und die Versklavung von deren Frauen religiös gerechtfertigt haben. Laut einem Bericht des „Guardian“ ist al-Kuraschi bereits 2004 von den US-Amerikanern im irakischen Camp Bucca inhaftiert worden. Dort habe er auch al-Bagh­dadi kennengelernt.

Im Bürgerkriegsland Syrien kämpft eine Militärkoalition unter Führung der USA gegen die Terrormiliz IS. Die Dschihadisten hatten im Sommer 2014 große Gebiete im Norden des Irak in ihre Gewalt gebracht. Kurz darauf riefen sie ein Kalifat aus, zu dem auch Regionen im Nachbarland Syrien gehörten. Militärisch wurde die Terrormiliz im März 2019 besiegt. Sie ist jedoch weiter in beiden Ländern aktiv und verübt immer wieder Anschläge.