Berlin. Der Antisemitismusbeauftragte fordert zum 77. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung intensive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung fordert anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar eine Erinnerungskultur, die nicht in Ritualen erstarrt. „Wir können nur eine Zukunft gestalten, wenn wir unsere Vergangenheit kennen. Und wir können unsere Gesellschaft, wie sie heute ist, nur verstehen, wenn wir uns an unsere Geschichte erinnern“, sagte Felix Klein unserer Redaktion. Am 27. Januar vor 77 Jahren wurde das deutsche Konzentrationslager Auschwitz in Polen durch die Alliierten befreit.

„Die unfassbaren Verbrechen der NS-Zeit, die industrialisierte Ermordung von Millionen Menschen, gehören zur deutschen Geschichte“, betonte Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Sie prägen das Verständnis von Demokratie, Freiheit, Recht und Unrecht und damit die ganze Gesellschaft. „Schon deshalb ist der Ruf einzelner Stimmen nach einem Schlussstrich so derart unsinnig“, so Klein weiter.

Auschwitz-Gedenken: Die Erinnerungskultur darf nicht in Ritualen erstarren

Ganz wichtig sei dabei eine Erinnerungskultur, die nicht in Ritualen erstarre, sondern die Herzen erreiche und in der es nicht um Schuld gehe, sondern um Verantwortung. „Darum setze ich mich auch dafür ein, dass wir den Schwung aus dem vergangenen Jubiläumsjahr 1700 Jahre jüdisches Leben mitnehmen und daran mit vielfältigen Aktivitäten anknüpfen und diese fortsetzen“, sagte Klein.

In Warschau betonte Marian Turski, Auschwitz-Überlebender und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees: „Auch wenn Europa nach der Befreiung von Auschwitz und dem Ende des 2. Weltkrieges 80 Jahre eines relativen Friedens erleben durfte, ist viel zu wenig von dem, was wir uns als Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager von der Zukunft erhofft hatten, Realität geworden: Der Antisemitismus frisst sich wieder und wieder in die Gesellschaft hinein.“

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Die Ausgrenzung von Minderheiten präge noch immer den Alltag Europas und Rechtsextremismus und populistische Verschwörungstheorien führen zu neuer Aggression, Hass und Gewalt. „Dies alles war für uns bei unserer Befreiung aus den Händen der Nazis unvorstellbar.“

Im August 2018 in Auschwitz: Der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD, l) besuchte das ehemalige deutsche Konzentrationslager und legte einen Kranz nieder. Mass wurde von Marian Turski (mit Krücken), ein ehemaliger Insasse von Auschwitz und Vorsitzender des Internationalen Auschwitz Komitees, begleitet.
Im August 2018 in Auschwitz: Der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD, l) besuchte das ehemalige deutsche Konzentrationslager und legte einen Kranz nieder. Mass wurde von Marian Turski (mit Krücken), ein ehemaliger Insasse von Auschwitz und Vorsitzender des Internationalen Auschwitz Komitees, begleitet. © dpa | Michael Kappeler

Auschwitz-Überlebende hofften nach der Befreiung auf ein Zeitalter des Friedens

Die Auschwitz-Überlebenden hätten sich nach ihrer Befreiung ein „neues Zeitalter der Toleranz und des Friedens erhofft, so wie es viele von uns im Schwur von Buchenwald formuliert haben“. Gerade aber in diesen Tagen sei zudem die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung in Europa bedrohlich nahe an herangerückt. „Wir haben es mit einer Situation zu tun, die den Ereignissen und Entwicklungen um die Kuba-Krise in den 60er-Jahren sehr ähnlich ist. Damals gab es die Gefahr eines Weltkrieges“, mahnte Turski. Die Auschwitz-Überlebenden hofften daher, dass die gegenwärtige Krise im Interesse aller beteiligten Nationen und zum Wohle der gesamten Menschheit friedlich gelöst werden könne.

Auschwitz-Überlebende- Ich will meine Seele nicht mit Hass beschmutzen

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    „Wir gedenken der Millionen von Menschen, die in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert und dort ermordet worden sind“, sagte der Bundespräsident. Die Verantwortung heute laute, allen Formen des Antisemitismus, des Rassismus und der Diskriminierung entschieden entgegenzuwirken.

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