Berlin. Nach seinem Wahltriumph im dritten Anlauf sollte der neue CDU-Chef Friedrich Merz jetzt nach der Macht greifen, kommentiert Jörg Quoos.

Wer sich in der CDU mit führenden Köpfen über den katastrophalen Bundestagswahlkampf 2021 unterhält, hört oft, dass es nicht nur an den Fehlern des Spitzenkandidaten lag. Armin Laschet habe auch der nötige Biss und der unbändige Willen zum Sieg gefehlt. Das können die 380.000 CDU-Mitglieder über ihren neuen Chef nicht behaupten.

Gleich dreimal hatte sich Friedrich Merz zur Wahl gestellt und erst im dritten Anlauf nach anstrengenden Touren durch die Partei gesiegt. Merz, dessen Gegner gerne behaupten, er sei „kalt wie ein Fisch“, war nach der Verkündung des überraschend guten Wahlergebnisses an diesem Wochenende sichtbar gerührt und konnte nur mit tränenerstickter Stimme weitersprechen.

Merz ist keiner, der sich einen solchen Gefühlsausbruch von Beratern ins Parteitagsdrehbuch schreiben lässt. In diesen wenigen Sekunden zeigte Merz wirklich, dass es ihm um viel mehr als nur einen Posten ging. Merz erfüllt sich mit dem Vorsitz der Konservativen einen Lebenstraum und überwindet gleichzeitig ein Lebenstrauma – die Absetzung als Fraktionschef durch Angela Merkel.

CDU-Chef: Merz brennt für seine Aufgabe

Man muss kein Psychologe sein, um festzustellen: Da brennt jemand für diese Aufgabe, und das ist gut für die CDU. Angriffslust, inneres Feuer, Mut zur rhetorischen Attacke, gesunde Skepsis gegenüber allzu „woken“ Erziehungsversuchen sind genau das, was Deutschlands größter Volkspartei derzeit fehlt. Das haben die Delegierten offenbar gespürt und es Merz mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuss gedankt.

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Merz hat mit seiner Wahl auch zwei Vorurteile besiegt, die dem Westfalen seit seinem Comeback in den Kleidern hängen: Er sei zu lange aus der Politik raus und irgendwie aus der Zeit gefallen. Beides mag stimmen – aber waren das wirklich Nachteile? Es ist ganz offensichtlich, dass Friedrich Merz außerhalb der Tagespolitik als Jurist und Geschäftsmann seinen Blick auf die echte Welt geschärft hat. Das kann einer zunehmend von Funktionären dominierten Politik nur guttun. Und als ein „Aus-der-Zeit-Gefallener“ findet Merz leichter wieder die Seele einer Partei, die sich auf dem Weg zu Merkels Mitte gewaltig verbiegen musste.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Dirk Bruniecki

Merz muss jetzt auf Angriff schalten

Jetzt muss der neue CDU-Vorsitzende die Gefühle schnell in den Griff bekommen und auf Angriff schalten. Ein neuer Chef muss Grausamkeiten sofort begehen, sonst ist irgendwann das ideale Momentum für radikale Erneuerung weg. Da kann Merz tatsächlich von Angela Merkel lernen, die damals nicht zögerte, ihn beiseitezuräumen, um in der Opposition die maximale Macht zu haben.

Natürlich wird der neue CDU-Chef einen ganz anderen Durchschlag haben, wenn er sich den Fraktionsvorsitz sichert und auch im Parlament der klare Gegenspieler des SPD-Kanzlers ist. Für die Union werden diese vier Jahre der laufenden Legislatur zu einer schicksalhaften Zeit. Verpasst sie den schnellen Wechsel zurück an die Macht, droht ihr ein langsamer Tod in der Opposition. Denn der Zeitgeist meint es nicht gut mit konservativen, bürgerlichen Parteien.

Jede Wiederwahl eines Kanzlers Scholz kann die Union weiter an den Abgrund rücken. Also braucht es mutiges Powerplay statt eine Politik der Gremien, in denen ständig eine Balance zwischen Partei und Fraktion austariert werden muss.

Vielleicht erkennt das auch Ralph Brinkhaus und macht den Weg für Merz nun freiwillig frei. Dieser wirkt mit seinen 66 Jahren zwar munterer als mancher aus der Jungen Union, aber er hat dennoch nicht viel Zeit für das nächste Ziel: das Kanzleramt, das ein CDU-Chef von Gewicht immer im Auge haben muss.