Berlin. Die Corona-Impfpflicht soll ein Druckmittel sein. In der Praxis ist sie jedoch zahnlos, kommentiert unser Autor Alessandro Peduto.

Nach zwei Jahren Pandemie greift der deutsche Staat im Kampf gegen das Coronavirus zur Drohgebärde. Als solche darf man die geplante Einführung einer allgemeinen Impfpflicht durchaus verstehen.

Alle Bürgerinnen und Bürger sollen in Zukunft per Gesetz dazu verpflichtet werden, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Mit einer obligatorischen Anti-Corona-Spritze will die Politik dem Krankheitserreger beikommen. Ob der oder die Einzelne Zweifel an dieser Maßnahme hat, soll künftig keine Rolle mehr spielen.

Alessandro Peduto, Politik-Korrespondent
Alessandro Peduto, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ob dieses Vorhaben tatsächlich umgesetzt wird, ist derzeit allerdings offen. Nachdem die Politik zunächst mehrheitlich entschieden gegen eine allgemeine Impfpflicht war, kam plötzlich der Kurswechsel – und fast alle waren dafür. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte im November an, dass Ende Februar die allgemeine Impfpflicht kommen könnte.

Die Ampel schiebt das Thema Impfpflicht auf den Bundestag ab

Doch wie es aussieht, ist dieser ambitionierte Zeitplan nicht zu halten. Der Elan bei der Impfpflicht hat spürbar nachgelassen. Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP scheint uneins zu sein – und hat daher beschlossen, das Thema auf den Bundestag abzuschieben.

Jetzt sollen sich die Abgeordneten mit den kniffligen Details der Umsetzung herumschlagen. Die Parlamentarier dürfen nun klären, wie der Staat künftig in Erfahrung bringen will, wer bereits geimpft ist und wer seiner Pflicht noch nicht nachgekommen ist. Der Bundestag soll überlegen, wie und wo die Einhaltung kontrolliert wird und was mit all denjenigen passiert, die sich weiterhin der Anti-Corona-Spritze verweigern. Die meisten Fragen hierzu sind ungeklärt.

Ja, es ist völlig absurd, dass sich ausgerechnet die Bundesregierung bei einem so zentralen Instrument der Pandemiebekämpfung heraushalten will. Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der eigentlich ein bekennender Befürworter der allgemeinen Impfpflicht ist, erklärt, er wolle sich mit eigenen Gesetzesvorschlägen zu diesem Thema zurückhalten und sich als Regierungsmitglied „neutral“ verhalten.

Impfpflicht ist in der Praxis sehr schwer umzusetzen

Doch wie neutral war bitte sein Chef, der Kanzler, als er vollmundig eine Regelung in den ersten Monaten des Jahres ankündigte? Es war doch Scholz, der den Impuls für eine allgemeine Impfpflicht gab, nicht das Parlament. Es sieht derzeit schwer danach aus, als wolle die Ampel ihr groß angekündigtes Projekt auf die lange Bank schieben, weil inzwischen die Zweifel an einer wasserdichten Regelung überwiegen.

Wie schwer die Umsetzung in der Praxis sein dürfte, zeigt sich bereits an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Sie wurde Ende 2021 beschlossen und soll Mitte März in Kraft treten. Vorgesehen ist, dass Beschäftigte etwa in der Pflege- und Gesundheitsbranche eine Corona-Impfung vorweisen müssen, um am Arbeitsplatz erscheinen zu dürfen.

Was aber auf den ersten Blick wie ein unerbittlicher Imperativ des Staates daherkommt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als weicher Konjunktiv. Denn Betriebe sind laut dem Gesundheits­ministerium künftig nicht verpflichtet, impfunwillige Beschäftigte auf der Stelle nach Hause zu schicken. Diese Entscheidung obliegt vielmehr den Gesundheitsämtern. Die Behörde kann im Einzelfall auch beschließen, dass Ungeimpfte ­weiter im Betrieb mitarbeiten dürfen, falls es die Personalsituation erforderlich macht.

Es stellt sich also durchaus die Sinnfrage einer solchen Regelung. Sie wirkt wie eine leere Drohung. Juristen warnen zudem vor einer Unmenge arbeitsrechtlicher Unklarheiten nach dem Inkrafttreten der einrichtungsspezifischen Impfpflicht. Das lässt grob erahnen, wie viele Unklarheiten es erst bei einer generellen Impfpflicht geben dürfte.