Berlin. Bettina Stark-Watzinger ist die neue FDP-Bildungsministerin der Ampel-Regierung. Jetzt kümmert sie sich um die Schulen in der Pandemie.

Als Chancenministerium bezeichnet Bettina Stark-Watzinger ihr Haus gerne. Aber zum Start muss sich die neue Ministerin für Bildung und Forschung vor allem mit den Risiken der Corona-Pandemie befassen – und mit den Schwächen des deutschen Bildungssystems. Im Interview mit unserer Redaktion sagt sie, was ihr trotzdem Hoffnung macht.

Sie haben Ihr Abitur auf einer katholischen Mädchenschule absolviert, anschließend Volkswirtschaft und später noch Psychologie studiert. Wie prägt dieser Bildungsweg Ihren Blick auf die Pandemie?

Bettina Stark-Watzinger: Er hilft, zu verstehen, was wir im Augenblick alles erleben. Warum es etwa Menschen gibt, die sich wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen – und wie wir damit umgehen. Bildungseinrichtungen wie Schulen spielen in dieser Frage eine wichtige Rolle, auch bei der Aufklärung.

Führt die Omikron-Welle wieder zu Schulschließungen?

Stark-Watzinger: Wir müssen alle bekannten Maßnahmen nutzen, um Schulschließungen möglichst zu vermeiden: Hygienekonzepte, das Tragen von Masken im Unterricht, das Testen, die schnelle Impfung von Schülern und das Boostern von Lehrern. Bisher sind die Schulen kein Pandemie­treiber. Omikron breitet sich sehr schnell aus, aber die Wissenschaft hat noch kein endgültiges Urteil über die Gefährlichkeit gefällt. In dieser Situation dürfen wir jedoch nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen Vorkehrungen auch für den Bildungsbereich treffen, falls Omikron schlimm wird.

An welche Vorkehrungen denken Sie?

Stark-Watzinger: Die erste Priorität ist natürlich, die Schulen offen zu halten. Deshalb hat die Bundesregierung zum Beispiel gerade das Luftfilterprogramm verlängert. Vorbereiten müssen wir uns auf die Gestaltung von Wechselunterricht, wenn er wieder erforderlich wird. Wir müssen die digitale Ausstattung der Schulen rasch verbessern und dafür sorgen, dass die Gelder des Digitalpakts schneller abfließen. Und wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass Schulschließungen notwendig werden könnten – nicht flächendeckend, aber regional.

Wir sind im zweiten Pandemiewinter. Wie kann es sein, dass Fragen von Luftfiltern und Wechselunterricht immer noch nicht geklärt sind?

Stark-Watzinger: Wir brauchen fraglos mehr Tempo. Beispiel Digitalpakt: Die Gelder, die der Bund bereitstellt, werden von den Ländern zu zögerlich abgerufen. Wir sind an vielen Stellen noch zu bürokratisch. Um die Prozesse zu vereinfachen, müssen sich Bund, Länder und auch Kommunen an einen Tisch setzen. Das Geld ist da. Jetzt müssen wir die Umsetzung gemeinsam beschleunigen.

Zeigt sich in der Pandemie, dass der Bildungsföderalismus gescheitert ist?

Stark-Watzinger: Wir haben im Koalitionsvertrag aus gutem Grund ein Kooperationsgebot von Bund und Ländern vereinbart. Wir werden grundsätzlich über eine sinnvolle Zusammenarbeit sprechen müssen. Bei großen Themen wie der Digitalisierung sehen wir, dass der Bund besonders helfen kann.

Klingt nicht, als ließe sich das Problem kurzfristig lösen.

Stark-Watzinger: Die grundsätzliche Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern muss auf die Tagesordnung. Zuerst möchte ich jedoch zügig pragmatische Lösungen bieten – etwa damit das Geld aus dem Digitalpakt schneller in den Schulen ankommt.

Sie haben das Impfen von Schülern angesprochen. Kennen Sie die Impfquote an den Schulen?

Stark-Watzinger: Von den 12- bis 17-Jährigen sind 61 Prozent mindestens einmal und 51 Prozent vollständig geimpft. Impfbereitschaft ist also vorhanden. Wichtig sind niedrigschwellige Impffangebote. In Absprache mit Schulen und Eltern sollten mehr mobile Impfteams an Schulen eingesetzt werden, wie es beispielsweise in Schleswig-Holstein gemacht wurde. Man impft ja auch in Fußballstadien. Warum also nicht an Schulen?

Viele Jugendliche lassen sich nicht impfen, weil sie im Netz hanebüchene Geschichten über Nebenwirkungen und Spätfolgen gelesen haben. Wie werden die Lehrer ihrer Verantwortung gerecht?

Stark-Watzinger: Die Lehrerinnen und Lehrer gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Studien zeigen, dass sie zu über 90 Prozent geimpft sind. Jeder sollte in seinem Umfeld für Impfungen werben. Das gilt natürlich auch für Lehrer.

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Impfstoffe für Grundschulkinder sind inzwischen zugelassen, trotzdem hat die Ständige Impfkommission keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen. Enttäuscht Sie das?

Stark-Watzinger: Mein Wunsch wäre, dass die Ständige Impfkommission schneller wird. Wir müssen uns die Aufstellung dieses Gremiums anschauen, denn die Mitgliedschaft ist ein Ehrenamt. Und wir müssen der Stiko die Daten zur Verfügung stellen, die sie braucht, um zügiger zu einer Empfehlung zu kommen. Wir müssen uns fragen, ob die Stiko in ihrem jetzigen Format pandemiefit ist.

Würden Sie ein eigenes Kind im Grundschulalter impfen lassen?

Stark-Watzinger: Ich würde mich mit einem oder zwei Ärzten meines Vertrauens austauschen und dann mit dem Kind darüber sprechen. Meine Tendenz wäre allerdings ganz klar, dass mein Kind geimpft wird.

Stiko-Chef Thomas Mertens hat diese Frage – vor der offiziellen Stellungnahme seines Gremiums - mit Nein beantwortet.

Stark-Watzinger: Wir alle haben eine Verantwortung, wie wir nach außen auftreten. Und wenn man die Stiko führt, muss man schon überlegen, welche Signale man sendet. Herr Mertens hat im Nachhinein sein Bedauern geäußert.

Im neuen Jahr wird der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht abstimmen. Wie fällt das Votum der Abgeordneten Stark-Watzinger aus?

Stark-Watzinger: Ich werde mich dann entscheiden, wenn die Gruppenanträge vorliegen. Es gibt unterschiedliche Konzepte einer allgemeinen Impfpflicht – auch eine teilweise Impfpflicht für eine bestimmte Altersgruppe oder für Menschen mit einem besonderen Risiko. Wir sollten diese Debatte respektvoll und auf breiter Basis führen.

Wie muss der Antrag gestaltet sein, damit Sie zustimmen?

Stark-Watzinger: Vor allem muss er verhältnismäßig sein. Es muss etwa Klarheit herrschen, ob wir mit dieser Form der Impfpflicht die Krise nachhaltig bekämpfen können. Meine persönliche Tendenz geht zu einer partiellen Impfpflicht. Genauso wichtig ist allerdings, dass wir die entsprechende Impf-Infrastruktur bereitstellen. Dass wir Impfzentren abgebaut haben, war aus heutiger Sicht falsch. Das darf nicht wieder passieren.

Den gesellschaftlichen Konflikt, der mit einer Impfpflicht verbunden wäre, nehmen Sie hin?

Stark-Watzinger: Man darf sich nicht von einer kleinen, lautstarken, sehr radikalen Gruppe den Weg vorgeben lassen. Dennoch ist es ein hoch emotionales Thema. Impfen ist – auch bei den sehr sicheren Corona-Impfstoffen – ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Es ist gut, dass wir diese Debatte öffentlich und in ihrer Breite über Fraktionsgrenzen hinweg im Bundestag führen.

Brauchen wir ein nationales Impfregister, damit der Staat einen Überblick bekommt, wer geimpft ist und wer nicht?

Stark-Watzinger: Darüber bin ich mit Karl Lauterbach im Gespräch. Wir müssen ganz allgemein die Datenlage in der Pandemie deutlich verbessern. Die bestehenden Daten sollten sinnvoll zusammengeführt werden. Die Einführung eines Impfregisters könnte helfen, allerdings viel Zeit kosten. Lesen Sie auch: Karl Lauterbach – Vom Corona-Mahner zum FDP-Moderator

Wann rechnen Sie mit Impfstoffen, die an die Omikron-Variante angepasst sind?

Stark-Watzinger: Die Bundesregierung rechnet mit der ersten Jahreshälfte 2022. Die jetzigen Impfstoffe sind innerhalb eines Jahres auf den Markt gebracht worden. Das gab es noch nie. Jetzt werden alle Hersteller mit Hochdruck an einer Weiterentwicklung arbeiten. Trotzdem sollte niemand abwarten. Auch die bisherigen Impfstoffe schützen vor Omikron, insbesondere vor schweren Verläufen. Das Impfen und Boostern muss in hohem Tempo weitergehen, auch über Weihnachten.

Biontech-Chef Ugur Sahin überlegt, ob er überhaupt einen angepassten Omikron-Impfstoff produzieren soll. Können Sie das nachvollziehen?

Stark-Watzinger: Es gibt unterschiedliche Wege, auf Omikron zu reagieren. Wir tasten uns an eine Krankheit heran, die sich ständig weiterentwickelt. Deswegen ist es gut, wenn in der forschenden Pharmaindustrie verschiedene Ansätze konkurrieren.

Welche Rolle spielen die sogenannten Totimpfstoffe, die in diesen Wochen zugelassen werden?

Stark-Watzinger: Das ist eine schöne Alternative im Portfolio der Impfstoffe. Wer noch immer Bedenken hat, sich einen mRNA-Impfstoff verabreichen zu lassen, kann jetzt auf diese herkömmliche Technologie zurückgreifen.

Frau Stark-Watzinger, wie verbringen Sie dieses zweite Weihnachtsfest in der Pandemie?

Stark-Watzinger: Ich feiere zu Hause in Bad Soden mit meiner Familie, dann darf ich kochen. Ich empfehle allen, an den Feiertagen die Kontakte so weit wie möglich einzuschränken und sich möglichst täglich zu testen. Und wer ältere Menschen trifft, kann vor dem Fest einen PCR-Test machen. Die meisten handeln sehr verantwortungsvoll, das zeigen Mobilitätsdaten. Viele Menschen haben sich schon stark eingeschränkt.