Brüssel. Bei seinem ersten EU-Gipfel wird Kanzler Olaf Scholz freundlich empfangen. Aber die Probleme drängen. Eine Warnung erhält Russland.

Der Empfang für Olaf Scholz bei seinem ersten EU-Gipfel war freundlich, aber nicht überschwänglich. Vor ein paar Wochen war Angela Merkel hier im riesigen Sitzungssaal S 3 des Brüsseler Ratsgebäudes von den EU-Regierungschefs mit großem Bahnhof verabschiedet worden – was in der Klage gipfelte, ohne die deutsche Kanzlerin würden die Treffen wie „Paris ohne Eiffelturm“ werden.

Diesen Verlust vor Augen startete der neue Bundeskanzler lieber leise und geschäftsmäßig.

Scholz kennt die europäische Bühne

Scholz lief als einer der ersten Regierungschefs am Morgen über den roten Teppich ins Ratsgebäude, knapp war sein Statement für die wartenden Journalisten. Im Sitzungssaal begrüßte Ratspräsident Charles Michel den Neuen mit der Corona-Faust, hinter ihren schwarzen Masken hielten sie einen kurzen Plausch, dann nahm Scholz auch schon vorzeitig Platz und blätterte in seinen Unterlagen. Scholz kennt die europäische Bühne ja bereits aus seiner Ministerzeit.

Und für seine Kollegen verbot sich großes Aufheben um den Kanzler des größten EU-Landes schon deshalb, weil auch die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und der österreichische Kanzler Karl Nehammer ihre Gipfel-Premiere hatten.

Und im Europäischen Rat sind schließlich alle 27 Staatslenker durch ihr Vetorecht einander gleichgestellt und verhalten sich auch so, egal ob sie nun 80 Millionen Bürger vertreten oder nur eine Million.

Der letzte EU-Gipfel des Jahres

Für ein langes Willkommen war ohnehin weder Zeit noch die richtige Stimmung: Der letzte EU-Gipfel des Jahres wurde zum Krisengipfel – von Corona bis hin zu Russland reichten die heiklen Themen.

Scholz fand sich gleich mehrmals in ungemütlicher Position wieder, weil sich eine größere Anzahl von Regierungschefs gegen Berlin stellte: Mit Blick auf die drohende russische Invasion in der Ukraine wollten Teilnehmer die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 problematisieren.

Übereinstimmung über Nord Stream 2 und Russland

Litauens Präsident Gitanas Nauseda etwa verlangte umfassende Wirtschaftssanktionen gegen Russland und ergänzte, die Pipeline sei jetzt eines der starken Instrumente der EU gegenüber Moskau.

In Brüssel herrscht breite Übereinstimmung, dass die Pipeline spätestens im Fall einer russischen Invasion nicht in Betrieb gehen dürfe. Scholz versucht zu bremsen: Es gebe keinen Sinn, Nord Stream 2 jetzt gezielt herauszugreifen, hatten hohe Regierungsbeamte in Berlin vorab erklärt. Es gebe ein rechtlich klar geregeltes Verfahren.

Massive Konsequenzen angekündigt

In der am Abend beschlossenen Gipfelerklärung wird die Gasleitung nicht erwähnt, stattdessen wird Russland aufgefordert, die durch seinen Truppenaufmarsch entstandenen Spannungen zu entschärfen. Erneut droht die EU, dass jede militärische Aggression gegen die Ukraine „massive Konsequenzen und Kosten“ nach sich ziehen werde; was damit genau gemeint ist, lässt der Gipfel absichtlich offen.

Jenseits ihrer Warnungen sind sich die EU-Staaten indes uneins: Luxemburgs Premier Xavier Bettel etwa warb energisch für neue Gespräche mit Moskau. Mit Sanktionen werde es nicht besser in den Beziehungen. „Wenn wir nicht mit Russland reden, wird es schwer, eine Lösung zu finden“, warnte Bettel. Scholz warb diplomatisch für eine doppelte Botschaft – drohen und „Wege finden, um mit Russlands ins Gespräch zu kommen“.

Atomkraft als nachhaltige Energie?

Der Kanzler nimmt zusammen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron eine Schlüsselrolle in dem Konflikt ein, die beiden sollen mit der Ukraine sprechen und möglichst auch im Viererformat mit Russland. Macron war freilich bei einem anderen Thema Gegenspieler des Kanzlers: Der Präsident kämpft dafür, dass die EU Atomkraft als nachhaltige Energie einstuft und fördert, Scholz ist dagegen. Die Entscheidung steht kurz bevor, Macron wird sich offenbar durchsetzen.

Scholz hätte den Streit deshalb gern nur hinter verschlossenen Türen behandelt, sein österreichischer Kollege tat ihm den Gefallen nicht. „Wir sind gegen Greenwashing von Atomenergie, wir werden die Diskussion nicht scheuen“, polterte Nehammer zum Auftakt.

Breiter Raum für Kampf gegen Corona

Als Verbündeten nannte er Luxemburg, Deutschland erwähnte er nicht. Breiten Raum nahm der Kampf gegen Corona ein: Der Gipfel rief dazu auf, jetzt dringend Booster-Impfungen zu beschleunigen. Offen blieb die Frage, ob und wann die europaweit anerkannten Impfpässe ihre Gültigkeit verlieren, wenn der Booster-Eintrag fehlt.

Größere Diskussionen löste aus, dass erste EU-Länder wie Italien und Griechenland jetzt bei Einreisen einen negativen Corona-Test auch von Geimpften verlangen. Solche Maßnahmen seien die falsche Antwort, klagte nicht nur der Luxemburger Premier Bettel.

Die Gipfelerklärung ermahnte die EU-Staaten zum koordinierten Vorgehen bei Reisebeschränkungen. Doch Italiens Premier Mario Draghi beeindruckt das nicht. Mit Hinweis auf die relativ niedrige Verbreitung der Omikron-Variante in Italien stellte Draghi klar: „Vorsicht hat Vorrang vor Koordinierung.“