Berlin. Attila Hildmann wurde offenbar von einer Justiz-Mitarbeiterin aus Berlin mit Infos versorgt. Die Spur führt in die Querdenker-Szene.

  • Attila Hildmann wird weiterhin per Haftbefehl gesucht
  • Nun kam heraus, wer ihn offenbar vor den Ermittlungen warnte
  • Die Spur führt in die Querdenker-Szene

Die Radikalisierung von Attila Hildmann hat mit Schulden begonnen und weite Kreise gezogen. Bis vor den Reichstag und hinein in die Berliner Justiz, aus der ihm eine Mitarbeiterin der Generalstaatsanwaltschaft Informationen zugesteckt haben soll. Der Fall Hildmann entwickelt sich so von einem Strafverfahren gegen einen Verschwörungstheoretiker wegen Volksverhetzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einem folgenschweren Justizskandal.

Ende 2020 flüchtete Hildmann im Angesicht der ihm drohenden Strafverfolgung in Deutschland in die Türkei. Der 40-Jährige, der vor seinem Auftreten als Corona-Leugner und einflussreicher Verschwörungstheoretiker als Autor veganer Kochbücher bekannt geworden war, soll sich noch immer dort aufhalten. Er besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit. Eine Auslieferung durch die Türkei hat er nicht zu befürchten.

Fall Hildmann: Maulwurf bei der Generalstaatsanwaltschaft fliegt auf

Aber Hildmann bleibt auch im Ausland im Fokus der Ermittler. Im neuesten Fall wegen der Enttarnung eines Maulwurfs in den Behörden: Nach Recherchen des ARD-Politmagazins „Kontraste“ und dem Rechercheformat STRG_F vom NDR hat eine 32 Jahre alte Angestellte, Efstathia M., aus der IT-Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin Hildmann mit Dokumenten versorgt, die Aufschluss über den Stand der Ermittlungen geben.

Die Mitarbeiterin sei inzwischen fristlos entlassen worden, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Zudem werde gegen die Frau wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses und der versuchten Strafvereitelung ermittelt.

Nach den Berichten von „Kontraste“ und STRG_F war die Polizei der 32-Jährigen bei Einsätzen in der Querdenker-Szene begegnet. Infolge dessen sei überprüft worden, welche Daten die Mitarbeiterin im System eingesehen hatte. „Es ergaben sich unberechtigte Abfragen zu verschiedenen Personen der rechtsextremen und der Querdenker-Szene“, erklärte demnach Behördensprecher Martin Steltner. Bei einer Durchsuchung der Wohnung der Angestellten seien Datenträger sichergestellt worden.

Kai Enderes – der Mann hinter Hildmanns Telegram-Erfolg

Doch es gab noch einen weiteren IT-Experten, der Attila Hildmann unterstützte. Sein Name: Kai Enderes. Er verhalf Hildmann lange Zeit zu großer Reichweite auf sozialen Plattformen. Allein beim Messenger-Dienst Telegram, auf der er seine radikalen Verschwörungstheorien verbreitete und mit Neonazis anbandelte, verzeichnete Hildmann zwischenzeitlich mehr als 100.000 Follower.

Enderes hatte laut einem Bericht des „Spiegel“ mehrere Telefonnummern bei Telegram für Hildmann hinterlegt, sodass dieser sich auch nach der Konfiszierung seiner Handys durch die Polizei weiter mit hetzerischen Inhalten an seine Gefolgschaft wenden konnte. Als der Druck der Strafverfolgungsbehörden zu groß wurde, hätten sie zusammen den Entschluss gefasst zu fliehen. Zunächst in Richtung Schweden, dann über Ungarn in die Türkei. Hintergrund: Attila Hildmanns Telegram-Kanal gesperrt

Zwei Terabyte an Daten über Hildmann

Enderes will zu diesem Zeitpunkt bereits längst den Entschluss gefasst haben, Hildmann zu hintergehen. So erzählte er es dem „Spiegel“. Maulwurf M. versorgte den geflüchteten Hildmann unterdessen weiter mit Informationen aus dessen Akte, etwa über den in Berlin erlassenen Haftbefehl gegen ihn. Wenig später reiste auch M. in die Türkei – zu Hildmann und seinem IT-Berater.

Dem Bericht zufolge wollten sie sich von dort in die Systeme der Berliner Staatsanwaltschaft hacken, um Daten abzugreifen. Die Versuche seien jedoch fehlgeschlagen und M. daraufhin wieder abgereist. Enderes sei noch eine Weile bei Hildmann geblieben. Angeblich, um Daten über ihn zu sammeln, wie er heute behauptet. Lesen Sie hier: Attila Hildmann gehackt: Anhänger sollen Beweise vernichten

Die gesammelten Informationen übermittelte Enderes inzwischen den Behörden und der Presse. Auch die Hackergruppe Anonymous stellte mehr als zwei Terabyte an Daten über Hildmann zur Verfügung.

Verschwörungstheoretiker Hildmann spricht von „Massenmord“

Die Auswertung der Daten durch „Kontraste“ und STRG_F legte unter anderem offen, dass Hildmann mit mehreren Hunderttausend Euro verschuldet war, ehe er sich zum Anführer der Verschwörungstheoretiker aufschwang. Das beides zusammenhänge, verneint Hildmann.

Er habe „Millionenumsätze gehabt mit meinem Bio-Unternehmen“, sagte er dem „Spiegel“. Weil er die „Wahrheit“ über die Corona-Pandemie gesagt habe, seien ihm dann die Händler abgesprungen. Im Ausland wolle er sein Geschäft wieder groß machen und die Schulden bezahlen. Dann fügte er noch eine Bemerkung über die Corona-Impfungen an: „Allerdings wird mir bald die Kundschaft fehlen, denn wir erleben aktuell einen Spritzen-Massenmord.“

Behörden wollen Zugang zu sensiblen Daten beschränken

Zu den konkreten Vorwürfen über Maulwurf M. wollte sich Hildmann bislang nicht äußern. Dafür behauptete er, Enderes sei tatsächlich für die Hetze auf seinen Plattformen verantwortlich gewesen. Auch M. selbst verweigert bislang eine Stellungnahme zu den Recherchen.

Die Berliner Behörden kündigten hingegen Konsequenzen an. Um einen Datenskandal wie diesen künftig zu verhindern, soll genauer überwacht werden, wer auf sensible Dokumente im System zugegriffen hat. Auch der Zugriff als solcher soll eingeschränkt werden. Wie das gelingen kann, soll nun geprüft werden.

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