Washington. Es deutet sich eine Schlammschlacht ums Weiße Haus an. Das Rennen ist offen. Doch Donald Trump reklamierte den Sieg bereits für sich.
- Donald Trump und Joe Biden bieten sich bei der US-Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen
- Derzeit liegt Biden mit 253 Wahlmännerstimmen vor Donald Trump mit 214
- Trump erklärte sich bereits am späten Dienstagabend (Ortszeit) zum Sieger – dafür gab es Kritik auch aus den eigenen Reihen
Die fröhlich klingenden Fanfaren-Klänge, die Donald Trumps Auftritt im East Room des Weißen Hauses gegen 2.20 Uhr am frühen Mittwochmorgen begleiteten, waren trügerisch. Dem US-Präsidenten, das verriet sein Mienenspiel, war nach Kampfansage zumute. Und was für einer. Während das Land im Tiefschlaf lag und noch Millionen Stimmen auf Auszählung warteten, rief sich Trump vorzeitig zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen aus, die er sich mit Hilfe des Obersten Gerichtshof sichern will.
15 Stunden später der Kontrapunkt: Sein Herausforderer Joe Biden, der am Mittwochabend laut US-Medien 253 von 270 nötigen Stimmen im Wahlmänner-Gremium auf seiner Seite hatte, erklärte in seinem Heimatort Wilmington, dass er und Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris die Sieger sein werden, wenn die Zählung in den noch ausstehenden Bundesstaaten beendet ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte Trump erst 214 Stimmen im „electoral college”, das am 14. Dezember auf Basis der Abstimmung vom Dienstag den US-Präsidenten bestimmt. Lesen Sie hier: Wann gibt es bei der US-Wahl 2020 ein Ergebnis? Alle Ergebnisse.
Biden gibt sich staatsmännisch
Biden gab sich staatsmännisch. „Ich werde als amerikanischer Präsident regieren und genauso hart für die kämpfen, die mich nicht gewählt haben.”
Genau das will Trump verhindern. „Ehrlich gesagt, haben wir gewonnen”, behauptete er vor mehreren Hundert Gästen in der Nacht und kündigte den Gang vor den Supreme Court an. Mit dem Ziel, die laufende Auszählung von Stimmzetteln, die per Briefwahl oder vorgezogener Stimmabgabe eingegangen waren, in Schlüsselstaaten des Mittleren Westens sowie Georgia und North Carolina unterbinden zu lassen. Trump wörtlich: „Wir wollen, dass alle Stimmabgaben aufhören.”
Ein Novum, das selbst hart gesottene Republikaner frösteln ließ. Ben Shapiro, Trump-Fan mit Millionen Anhängern in sozialen Medien, warf dem Präsidenten vor, „zutiefst unverantwortlich” zu sein: „Nein, Trump hat die Wahl nicht schon gewonnen.” Ähnlich formulierte Chris Christie, Ex-Gouverneur von New Jersey. „Ich rede als früherer Staatsanwalt”, sagte der langjährige Berater Trumps entrüstet und erklärte, für Trumps Attacke gebe es „heute keine Grundlage”.
Donald Trump wittert Wahlbetrug
Der Grund: Der Oberste Gerichtshof in Washington hatte den Bundesstaaten Pennsylvania und North Carolina genau das gestattet, was Trump torpediert: Dort dürfen aufgrund des immens hohen Briefwahlaufkommens im Gefolge der Coronavirus-Pandemie (landesweit fast 70 Millionen) Stimmzettel bis zum 6. bzw. 12. November ausgezählt werden. Vorausgesetzt, sie tragen den Poststempel 3. November.
Trump ging noch weiter. Er beschuldigte die Gegenseite um seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden diffus des Betruges. „Das ist eine Blamage für unser Land.” Auf Twitter schrieb der Präsident: „Wir sind weit vorne, aber sie versuchen, die Wahl zu stehlen.” Worauf der Onlinedienst die Anmerkung mit einem Warnhinweis versah: „irreführend”.
• Hintergrund: Es kommt auf die Briefwähler an
Biden hatte zuvor in seinem Heimatort Wilmington noch in der Nacht seinen Anhängern Durchhaltevermögen verordnet. „Wir sind auf Kurs, diese Wahl zu gewinnen.” Der Alt-Vizepräsident, der - anders als Umfragen zuvor nahelegten - in Bundesstaaten wie Iowa, Texas und Ohio gegen Trump klar unterlag, bat um Geduld. „Es ist nicht an mir oder Donald Trump, den Sieg zu erklären, sondern Sache des amerikanischen Volkes.” Biden fügte hinzu: „Es ist nicht vorbei, bevor die letzte Stimme ausgezählt ist.”
Biden entscheidet Swing State Wisconsin für sich
Nach Angaben führender US-Medien lag Biden am Mittwochabend mit 253 von 270 nötigen Wahlmänner-Stimmen im „electoral college” vorn. Trump kam auf 214.
Mit nur 20.000 Stimmen Vorsprung wurde Biden am Abend der wichtige Swing State Wisconsin (zehn Wahlmänner) zugeschlagen, den Trump 2016 mit 10.000 Stimmen Vorsprung vor Hillary Clinton geholt hatte. Trumps Kampagne beantragte umgehend eine nachträgliche Auszählung. Begründung: Es habe „Unregelmäßigkeiten” gegeben. Die Ergebnisse sollen nächste Woche vorliegen. Auch Michigan (16 Wahlleute) wurde dem 77-Jährigen von den Sendern CNN und NBC zugesprochen.
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In Georgia (16), Pennsylvania (20), Nevada (6) und North Carolina (15) rechnet sich der Demokrat ebenfalls gute Chancen aus, durch höhere Briefwahl-Zahlen Trump auszustechen, um die restliche Stimmen zum Sieg zu generieren.
In North Carolina waren nach Angaben der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) noch 200.000 Briefwahlstimmen nicht berücksichtigt, darunter erfahrungsgemäß viele Stimmen für Biden. Im Südstaat Georgia waren bis Mittwochabend noch vier Prozent der Stimmen ungezählt. Betroffen: zwei Landkreise mit vielen demokratischen Wählern.
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Aktivisten kündigen in Portland einen „Aufstand“ an
Überall lagen Amtsinhaber und Herausforderer eng beieinander. „Biden wie Trump haben Chancen, auf 270 Stimmen zu kommen”, sagten Analysten im Sender MSNBC, „noch ist nichts entschieden. Aber Biden hat jetzt mehr Optionen.”
Mit seinem Versuch, die laufende Auszählung gerichtlich untersagen zu lassen, was Trump bereits vor Tagen in wütenden Statements angedeutet hatte, wird die turbulenteste Präsidentschaftswahl seit Jahrzehnten in den USA zur riskanten Schlammschlacht.
In Portland/Oregon, bekannt für Ausschreitungen zwischen linken und rechten Extremisten, tauchten bewaffnete Aktivisten vor dem dortigen Gericht auf. US-Flaggen wurden verbrannt, Parolen skandiert. Wenn Trump gewinnt, werde es einen „Aufstand” geben, sagte ein Teilnehmer. Die Sicherheitskräfte hielten sich (noch) zurück. In Washington, wo sich in der Wahlnacht über 1000 Demonstranten am Weißen Haus versammelt hatten und gegen Trump agitierten, blieb es vorläufig friedlich.
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Latinos älterer Jahrgänge wählten vermehrt Trump
Für den 77-jährigen Biden war bereits am Dienstagabend gegen 22 Uhr Ortszeit klar, dass der von Demoskopen fälschlicherweise für möglich gehaltene Erdrutschsieg ausbleiben würde. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass Florida, ein Schwergewicht unter den Swing States (29 Wahlmännerstimmen), an Trump gehen würde. Hätte Biden den „Sunshine State“ geholt, der Abend hätte früher eine andere Wendung genommen.
Schnell wurden die Ursachen bekannt. Biden blieb im Ballungsraum Miami-Dade mit seinen vielen Latinos noch unter dem Ergebnis von Hillary Clinton, die dort 2016 knapp 63 Prozent errungen hatte. Landesweit, so das Meinungsforschungsinstitut Edison, haben Latinos älterer Jahrgänge zu 40 Prozent Trump gewählt. Vor vier Jahren waren es 25 Prozent.
Am Mittwoch spielten diese Facetten keine Rolle. Team Biden attackierte Trumps Vorstoß. Rechtmäßige Auszählungen abbrechen zu wollen, weil der Präsident eine Niederlage fürchte, sei „unverschämt, beispiellos und inkorrekt”, erklärte Wahlkampf-Chefin Jen O’Malley Dillon. Beide Seiten bereiten sich auf den Kampf vor den Gerichten vor. Lesen Sie auch: US-Wahl: Entscheidet am Ende das Oberste Gericht die Wahl?